Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1339: Vorwand Bürgerkrieg - plant der Westen eine Militärintervention in Libyen? (SB)


Hektische Aktivitäten internationaler Akteure wegen Libyen

Die an Ghaddafi gerichteten Forderungen würde kein westlicher Staat in vergleichbarer Situation erfüllen


Nach Agenturmeldungen befinden sich weite Teile Libyens, so der Osten des Landes sowie die Region um die Hauptstadt Tripolis, bereits unter der Kontrolle aufständischer Regimegegner, die am Freitag aus allen "befreiten" Städten, wie sie es nennen, zu einem "Marsch der Millionen" aufgerufen haben mit dem erklärten Ziel, Präsident Ghaddafi zu stürzen. In keinem Staat der Welt würden die herrschenden Kräfte, seien sie nach westlichem Vorbild als parlamentarische Demokratie organisiert oder nicht, in einer solchen Situation anders als mit dem Einsatz gewaltsamer Mittel reagieren. In der Bundesrepublik Deutschland, die über ein großes Protestpotential unzufriedener Bürger verfügt, wenn man nur an das Millionenheer der aus dem regulären Produktionsbetrieb ausgegrenzten und als Hartz-IV-Empfänger verelendeten Menschen denkt, stünde der Einsatz massivster und im Extremfall sogar militärischer Mittel, sollte sich eine kaum noch zu kontrollierende Protestmenge mit der klaren Absicht, die Regierung zu stürzen, auf Berlin zu bewegen, überhaupt nicht in Frage. Für derartige, wenn auch bislang noch nicht in Erscheinung getretene Fälle wurde eigens die Notstandsverfassung geschaffen und gegen massive Widerstände seitens der Studentenbewegung durchgesetzt.

Dieser Vergleich hinkt, wie ein Vergleich nur hinken kann, schließlich ist die Bundesrepublik Deutschland nicht Libyen und Libyen nicht Deutschland. Doch worin bestehen die fundamentalen Unterschiede zwischen beiden Staaten tatsächlich? Jeder Nachrichtenkonsument wird angesichts der katastrophalen Ereignisse in Libyen die Auffassung vertreten, daß der dortige Diktator Krieg gegen die eigene Bevölkerung führe, wodurch eine Situation geschaffen worden sei, die nach vorherrschender Meinung der sogenannten internationalen Gemeinschaft härteste Maßnahmen ihrer selbst - militärische inklusive - nicht nur erlaube, sondern sogar verlange. Der humanitär scheinbegründete Interventionismus ist keine Erfindung der Gegenwart, sondern weist bereits eine kriegerische Vorgeschichte auf, um nur an die Bosnischen Bürgerkriege sowie den NATO-Krieg gegen Jugoslawien zu erinnern, die de facto zu einem einzigen Gewaltakt zusammengezogen werden können, weil sie dem Zweck dienten, die Bundesrepublik Jugoslawien zu zerschlagen und das Völkerrecht der sogenannten Nachkriegsweltordnung auszuhöhlen.

Und so weist die aktuelle Entwicklung nicht von ungefähr Parallelen zur Zerschlagung Jugoslawiens auf. Auch dort stand die Absicht westlicher Staaten, einen ihnen unliebsamen Staat zu zerschlagen, am Anfang und wurde in einer nicht anders als perfide zu nennenden Art und Weise schließlich auch umgesetzt. Dabei steht die unmittelbare Gewaltanwendung erst am Ende einer bis ins kleinste Detail durchdachten Strategie, die auf einer Instrumentalisierung sozialer, politischer, ethnischer oder sonstiger Spannungen in dem zum "Regime change" vorgesehenen Staat beruht und bei der diese aufs subtilste angeheizt und die dafür nützlichen Oppositionsgruppen massiv unterstützt und finanziert werden. Ein wesentliches Moment, noch immer weit vor der Anwendung unmittelbarer militärischer Gewalt, ist die Dämonisierung und Bezichtigung des künftigen Gegners, um diesen nach besten Kräften seiner Unterstützung in der eigenen Bevölkerung zu berauben und ihn international zu isolieren.

Sobald die repressiven Organe des insofern auf "zivilen" Wegen angegriffenen Staates in Erscheinung treten, was wohl in keinem Staat der Welt ausbleiben würde, wenn die von ausländischen Kräften, Instituten und/oder Geheimdiensten massiv angeheizten "Proteste" einen bestimmten Toleranzpegel überschritten haben, hat der zum Regimesturz vorgesehene Staat so gut wie verloren. Er steht, was auch immer er nun tut, als Bösewicht dar, und mit jeder Polizeiaktion und militärischen Maßnahme, die er in dieser Situation ergreift, treibt er seine eigene Demontage nur weiter voran. So "gewaltfrei", wie die Proteste in der internationalen Darstellung präsentiert werden ganz unabhängig davon, ob sich Demonstranten für ihre Angriffe auf Polizeistationen bewaffnet haben oder nicht, sind diese keineswegs. Sie zielen darauf ab, eine Gemengelage zu erzeugen, in der eine Militärintervention aus dem Ausland ermöglicht wird oder der beabsichtigte Sturz unmittelbar vollzogen werden kann.

Diese Schwelle scheint in der gegen Libyen allem Anschein nach nach diesem Strickmuster in Stellung gebrachten Eskalationsstrategie inzwischen schon erreicht worden zu sein. Am Freitag überschlugen sich die diplomatischen Aktivitäten der internationalen Gemeinschaft, wie sich die Kernstaaten der kapitalistischen Welt in Europa und den USA gern nennen. Der Weltsicherheitsrat kam auf Antrag abtrünniger libyscher Diplomaten zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig erklärte, daß über weitere Maßnahmen gegen Tripolis nachgedacht werden müsse, da die dortigen Machthaber der Aufforderung, die Gewalt gegen die Bevölkerung einzustellen, nicht nachgekommen seien. Ein US-Diplomat bekundete, seine Regierung schließe keine Möglichkeit aus, Sanktionen seien eine davon. US-Außenamtssprecher Crowley ließ wissen, daß das US-Militär an den Diskussionen beteiligt gewesen sei.

Die militärischen Drohgebärden des Westens sind unübersehbar, gleichwohl heißt es, es werde nicht unmittelbar über militärische Maßnahmen nachgedacht. Der UN-Menschenrechtsrat in Genf tagte ebenfalls am Freitag, ihm liegt eine Beschlußvorlage für den Ausschluß Libyens vor. Sollte dieser angenommen werden, wäre dies ein weiterer Schritt auf der Stufenleiter in einen womöglich beabsichtigten Krieg gegen Libyen und eventuell auch weitere Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Libyen steht als einer der erdölreichsten Staaten der Welt ganz oben auf der Interessenliste westlicher Staaten, doch dies dürfte schwerlich der tatsächliche Grund für einen zivilgesellschaftlich initiierten und, sollte der nicht nur zum Exzentriker, sondern zum Psychopathen erklärte "Despot" nicht freiwillig abtreten, im letzten Schritt mit militärischer Erzwingungsgewalt vollzogenen Machtwechsel sein. Ghaddafi werden viele Dinge zum Vorwurf gemacht, doch daß er die Öllieferungen nicht einhielte, die schließlich die materielle Grundlage des nationalen Einkommens bilden, die dem Land das höchste Pro-Kopf-Einkommen Afrikas sowie das am weitesten entwickelte Sozialsystem des Kontinents ermöglichten, ist nicht anzunehmen.

Ghaddafi ist aus Sicht des Westens ein unsicherer Kantonist, denn wenngleich er dem westlichen Druck nachgegeben und in den zurückliegenden Jahren eine moderate Haltung eingenommen hat, um nach langen Sanktionsjahren wieder in die internationale Gemeinschaft aufgenommen zu werden, wird ihm dies nicht in gleicher Münze honoriert. Schließlich ist und bleibt er der letzte Repräsentant der Revolutionen in den arabischen Ländern der 1950er und 1960er Jahre, die sich aus Erhebungen des Militärs gegen feudale Regime entwickelten und in den Bevölkerungen auf breite Unterstützung stießen.

Daß die sogenannten Revolutionen der Gegenwart, die zunächst in Tunesien, dann in Ägypten zu Personalwechseln führten, tatsächlich "von der Straße" ausgingen, ist eine Annahme, die in den dominierenden Medien wie eine unhinterfragbare Tatsache behandelt wird, so als wäre es unvorstellbar und ohne historisches Beispiel, daß von ausländischen Institutionen derartige Proteste angestachelt oder gar initiiert werden könnten, um einen zum "Regime change" vorgesehenen Staat in innere Unruhen zu treiben, die den beabsichtigten Umsturz entweder selbst zu bewirken in der Lage sind oder eine Vorwandslage für harte Sanktionen und im letzten Schritt Militärinterventionen aus dem Ausland liefern. Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal eine verläßliche Nachrichtenlage über die Ereignisse in Libyen besteht, kann nicht ausgeschlossen werden, daß hier eine wohlorchestrierte Eskalationsstrategie zum Tragen kommt, die in vollem Umfang dem Konzept der sogenannten "bunten Revolutionen" entspricht.

Das Engagement westlicher Staaten und internationaler Organisationen, das vorgeblich dem Zweck geschuldet ist, das "Blutvergießen" in Libyen zu stoppen, scheint keineswegs der sozialen Lage der libyschen Bevölkerung gewidmet zu sein. In Ägypten gehen nach dem Rücktritt Mubaraks längst wieder protestierende Menschen auf die Straße, um gegen den noch von Mubarak eingesetzten Militärrat zu demonstrieren. Dies trifft im Westen allerdings auf ein beredtes Desinteresse; mit dem ägyptischen Militärrat, der in keiner Weise demokratisch legitimiert ist, scheint bestes Einvernehmen zu bestehen. Nicht einmal die Androhung des Militärrats, in Libyen "einzugreifen" [1], rief im Westen das geringste Wort der Kritik hervor, was sogar vermuten läßt, es könnte eine Art Stellvertreterkrieg geplant sein, in dem ägyptische und vielleicht auch tunesische Truppen die Schmutzarbeit für den Westen übernehmen.

Denkbar wäre allerdings auch, daß mit Hochdruck daran gearbeitet wird, eine Legimitationsgrundlage für ein militärisches Eingreifen durch die NATO oder EU-Interventionstruppen zu erwirtschaften. Bereits am Donnerstag wurde im Tagesschau-Ticker [2] berichtet, daß die EU "für den Fall einer Katastrophe auch Militäraktionen" erwäge. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters habe ein EU-Diplomat erklärt, daß dies eines von verschiedenen Szenarien wäre, an denen gearbeitet werde und daß "jede Art von militärischer Operation eine rechtliche Basis" erfordere.

Bei der NATO klingt das Nein zur Frage eines militärischen Eingreifens auch nicht nach einem bedingungslosen Nein. So erklärte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ebenfalls am Donnerstag in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, daß das Bündnis nicht die Absicht habe, in Libyen zu intervenieren und daß der Pakt auch keine derartige Anfrage erhalten habe [3]. Die Möglichkeit, daß die NATO sich doch zu einer Intervention entschließen könnte, schloß Rasmussen indirekt nicht aus, erklärte er doch: "In jedem Fall sollte so eine Aktion auf einem klaren Mandat der Vereinten Nationen beruhen."

Auf diplomatischem Parkett wurden inzwischen alle Register gezogen, um den Druck auf Ghaddafi zu erhöhen. Die USA haben als erster Staat Sanktionen gegen Libyen verhängt, die EU will in Kürze folgen und auch der Weltsicherheitsrat arbeitet an einer Sanktionsresolution gegen das Land bzw. dessen Führung. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte in der vergangenen Nacht ein schnelles Handeln gefordert, um das Blutvergießen in Libyen zu beenden. "Die nächsten Stunden und Tage werden von entscheidender Bedeutung für die Libyer sein" [4], so Ban.

Unter dem Druck des "Blutvergießens" sollen, wie zu befürchten scheint, Grundlagen geschaffen werden für eine Ausweitung des Konfliktes in eine Art Umsturz- und Besatzungskrieg à la Irak und Afghanistan, der in ein noch weitaus größeres Blutvergießen münden könnte. Die Kriegslügen, die in den Irak-, aber auch den Afghanistankrieg geführt haben bzw. gezielt aufgebaut wurden, um eine Situation herzustellen, in der das unmittelbare militärische Eingreifen aus humanitären Gründen das alternativlose Gebot der Stunde zu sein schien, sind inzwischen so umfangreich nachgewiesen und dokumentiert worden, daß die aktuelle Situation in Libyen zu diesbezüglichen Fragen Anlaß bietet.

Bezeichnenderweise wird in der internationalen Öffentlichkeit wie auch bei den sanktionswilligen westlichen Akteuren USA und EU nicht die geringste Notiz von der Ankündigung des Ghaddafi-Sohnes Saif al-Islam al-Ghaddafi genommen, der am Freitagabend vor ausländische Journalisten trat und die Bereitschaft, mit den Aufständischen in Verhandlungen zu treten, bekundete [5]. Allem Anschein nach ist die westliche Welt an einer Eskalation der Ereignisse interessiert, nicht jedoch an deren Entschärfung und möglichen Beilegung auf dem Verhandlungswege, der durch Dritte konstruktiv unterstützt werden könnte zu dem Zweck, die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Ghaddafi-Gegnern und -Anhängern zu stoppen. Nach Angaben von UN-Diplomaten hat der UN-Sicherheitsrat in New York bereits darüber beraten, die "Gewalt von Libyens Machthaber Ghaddafi" als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" [5] einzustufen, was ein wesentlicher Schritt auf dem Weg wäre, einer Intervention eine rechtliche (Schein-) Legitimität zu verschaffen.


Anmerkungen:

[1] Libyen: Ägypten erwägt eine Militärintervention, von Martin Gehlen (Die Presse), 22.02.2011
http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/636483/Libyen_Aegypten-erwaegt-eine- Militaerintervention?_vl_backlink=/home/politik/aussenpolitik/634545/index.do&direct=634545

[2] EU-Notfallplan sieht offenbar militärisches Eingreifen vor, 24.02.2011 12:15 Uhr,
http://www.tagesschau.de/nachrichtenticker/

[3] Rasmussen - Die Nato will nicht in Libyen intervenieren, 24. Februar 2011, 18:01,
http://derstandard.at/1297818904859/Rasmussen-Die-Nato-will-nicht-in-Libyen-intervenieren

[4] Ban: Sicherheitsrat muss schnell reagieren, 26.02.2011 01:14 Uhr,
http://www.tagesschau.de/nachrichtenticker/

[5] Libyen: Uno-Sicherheitsrat diskutiert Sanktionen, 26.2.2011,
http://www.drs.ch/www/de/drs/nachrichten/nachrichtenticker/oid.838ebc9659b0ddffe9bebb972d72be0e.html?s=in

26. Februar 2011