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DILJA/1349: Protegé der Friedrich-Naumann-Stiftung verliert Wahl in Thailand (SB)


Überragender Wahlsieg der "Rothemden" in Thailand

Putschgefahr trotz gegenteiliger Beteuerungen der Armee nicht gebannt


"Alle Parteien müssen die Entscheidung des Volkes respektieren, sonst kann unser Land keinen Frieden erreichen." Mit diesen Worten kommentierte der indirekte Sieger der Parlamentswahlen in Thailand, der vor fünf Jahren durch einen Militärputsch aus dem Regierungsamt gedrängte und im Exil in Dubai lebende frühere Premierminister Thaksin Shinawatra das Ergebnis. Seine Schwester, die als politisch unerfahren geltende Unternehmerin Yingluck Shinawatra, die dank des unvermindert großen innenpolitischen Einflusses ihres Bruders als Kandidatin der Thaksin-Partei "Puea Thai" ("Für die Thais") angetreten war, errang nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen einen so klaren Sieg, daß ihr Kontrahent, der amtierende Amtsinhaber Abhisit Vejjajiva von der Demokratischen Partei seine Niederlage eingestand und seinen Rücktritt vom Parteivorsitz ankündigte.

Auf den ersten Blick könnte die Parlamentswahl vom Sonntag, derzufolge die Thaksin-Partei unter Führung der 44jährigen Yingluck Shinawatra, die Thailand als erste Ministerpräsidentin regieren wird, dem vorläufigen Ergebnis zufolge 265 der insgesamt 500 Parlamentssitze erhält, während die Demokratische Partei nur noch über 159 Sitze verfügen wird, ein ganz normaler Vorgang in einer ganz normalen Demokratie sein. Tatsächlich jedoch träfe eine solche Einschätzung nur unter der Voraussetzung zu, würde unter Demokratie die Fortsetzung militärischer Maßnahmen mit politischen Mitteln verstanden werden. Thailand, ein fest ins Wertegefüge der sogenannten internationalen Gemeinschaft eingefügter Staat in Asien, gilt zumindest in den westlichen Führungsstaaten fraglos als Demokratie, auch wenn die Argumente, die dies fragwürdig erscheinen lassen könnten, alles andere als substanzlos sind.

So hat die Armee, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, im Wahlkampf massiv gegen die ihr per Verfassung auferlegte Neutralitätspflicht verstoßen. Armeechef General Prayudh Chan-ocha hat die thailändische Bevölkerung wieder und wieder aufgerufen, "gute Leute" zu wählen, womit er, was kaum jemand mißverstanden haben dürfte, den bisherigen Premier Abhisit meinte, und davor gewarnt, mit der Puea Thai das Lager der Rothemden zu wählen. Vor dem Hintergrund der gewaltsamen Amtsenthebung Thaksins im Jahre 2006 und der brutalen Niederschlagung der Proteste seiner Anhänger im vergangenen Jahr, bei der während der Niederschlagung der Besetzung eines Einkaufsviertels in Bangkok fast einhundert Menschen von der Armee getötet wurden, muß dies als wenn auch indirekte Drohung mit einem weiteren Militärputsch verstanden worden sein.

Allerdings haben sich die Anhänger Thaksins, die statt seiner nun seiner Schwester und inoffiziellen Stellvertreterin mehrheitlich ihre Stimme gegeben haben, davon nicht abhalten lassen, der Partei ihrer Wahl auch ihre Stimme zu geben. Unter demokratischen Gesichtspunkten und nach westlichen Standards, die so gern in Anspruch genommen werden, wenn es gilt, in anderen Regionen der Welt die Verhältnisse den hiesigen Vorstellungen bzw. Hegemonialinteressen entsprechend zu ordnen, dürfte so etwas überhaupt nicht geschehen sein. Man stelle sich nur einmal vor, der oberste Befehlshaber der Bundeswehr würde in den Wochen, Tagen und Stunden vor einer Bundestagswahl immer wieder an die Öffentlichkeit treten und die Wähler auffordern, in einer bestimmten Weise abzustimmen... Tatsächlich sind die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik und in Thailand, mögen die Namen der jeweiligen politischen Systeme auch noch so ähnlich klingen, alles andere als vergleichbar.

Dies liegt keineswegs daran, daß in dem asiatischen Land keine demokratische Kultur vorhanden wäre, die im Bewußtsein der Menschen mit der der hiesigen mithalten könnte. Die tatsächlichen Unterschiede liegen vielmehr darin, daß zwischen Regierungslager und Opposition in Thailand weitaus tiefere Gräben bestehen als zwischen allen großen Parteien, die hierzulande im Bundestag vertreten sind und sich traditionsgemäß in wechselnden Besetzungen im Regierungsgeschäft abwechseln, ohne daß es in über sechs Jahrzehnten deutscher Nachkriegszeit je zu einem nennenswerten politischen Umbruch oder auch nur Kurswechsel gekommen wäre. In Thailand hingegen stehen sich mit den Rot- und Gelbhemden zwei verfeindete Lager gegenüber, die über nicht minder miteinander verfeindete Führungen verfügen.

Der Thaksin-Familienclan auf der Seite der Rothemden weist eine beständige politische Mehrheit ganz einfach deshalb auf, weil er im Interesse der verarmten, ländlichen Bevölkerung eine Politik sozialer Reformen vertritt, die die städtischen Eliten des Landes, die sich im Bunde mit den Gelbhemden, der Demokratischen Partei, der Armeeführung sowie den Beratern des Königs wissen, nicht zu akzeptieren bereit sind. Der unversöhnliche Kampf zwischen beiden Lagern ist also im Kern ein sozialer Kampf, auch wenn die "Rothemden", die nach der Farbe der von ihnen getragenen Kleidung so genannt werden, keineswegs, wie vermutet werden könnte, ausgewiesene Sozialisten sind oder traditionell klassenkämpferische Positionen vertreten würden. Bei Thaksin Shinawatra handelt es sich, wie nicht vergessen werden darf, um einen Milliardär und Unternehmer, der allerdings in seiner bisherigen Regierungszeit bereits unter Beweis gestellt hat, daß er sein Versprechen, die finanzielle Situation sowie die Gesundheitsversorung der Ärmsten des Landes verbessern zu wollen, ernst genommen und in die Tat umzusetzen begonnen hat.

Nun wird sich zeigen, inwieweit auch seine Schwester, die designierte Regierungschefin Yingluck Shinawatra, diesen Reformkurs ihres Bruders aufgreifen und fortsetzen wird. Im Moment sieht es so aus, als würde die Armee stillhalten. Genaugenommen kommt die Erklärung des Verteidigungsministers der scheidenden Regierung Abhisit, General Prawit Wongsuwon, einem Offenbarungseid gleich. Der General hatte nach dem klaren Sieg Yingluck Shinawatras gegenüber der Nachrichtenagentur AFP in Bangkok erklärt, daß das Volk sich eindeutig ausgesprochen habe und daß die Armee deshalb nichts machen könne. Damit gibt der General, wenn auch indirekt, zu, daß für die Armee sehr wohl die Option eines abermaligen Putsches bestanden habe und daß sie es wegen der politischen Niederlage ihres Protegés - sozusagen aus rein taktischen Gründen - nicht für opportun hielte, gegen den erklärten Willen der Bevölkerungsmehrheit zu intervenieren.

"Wir akzeptieren das Ergebnis", lautete zwar die Stellungnahme General Prawit Wongsuwon unmittelbar nach der Wahl, doch damit ist keineswegs ausgeschlossen, daß die politischen Eliten Thailands - das Königshaus, das Militär sowie die vom Westen protegierten "Gelbhemden" - nicht doch noch zur Gewalt greifen könnten. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an den Kommentar der Friedrich-Naumann-Stiftung, die den Putsch von 2006, der in einer recht ähnlichen Situation, nach einer Wahlniederlage der Demokratischen Partei, durchgeführt worden war, als ein "notwendiges Übel" bezeichnet hatte. Hinzu kommt, daß im vergangenen Jahr, zur Zeit der militärischen Niederschlagung der Proteste der Thaksin-Anhänger, die vehement auf Neuwahlen bzw. einen Rücktritt Abhisits drangen, die FDP-Stiftung ihre Zusammenarbeit mit der Demokratischen Partei noch intensiviert hatte.

Augenscheinlich liegen die Interessen der deutschen Bundesregierung, wenn auch auf eher verschlungenen Stiftungswegen vermittelt, in einer Stützung der Gelbhemden. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen war der Stiftungsvorsitzende Wolfgang Gerhardt eigens nach Bangkok gereist, um mit der demokratisch keineswegs legitimierten De-facto-Regierung Abhisits über die Lage zu beraten. In der aktuellen Situation vertritt die Friedrich-Naumann-Stiftung dem Vernehmen nach auch die Auffassung, daß ein Wahlsieg der Rothemden einen erneuten Militärputsch nach sich ziehen könnte [1]. Eine politische Intervention der deutschen Bundesregierung, die es als ihre elementare Pflicht ansähe, angesichts einer solchen denkbaren Eskalation die demokratisch gewählte Siegerin zu stützen, war aus Berlin bislang nicht zu vernehmen. Nicht zuletzt deshalb muß geargwöhnt werden, daß das Stillhalteversprechen der Armee nicht das letzte Wort all derjenigen Kräfte in Thailand ist, die sich mit einer sozialen Umverteilung zugunsten der Armen niemals einverstanden erklären würden.

[1] Rainer Adam: Thailand vor den Wahlen. Bericht aus aktuellem Anlass No. 30/2011, 26.06.2011, zitiert aus: Notwendige Übel, 01.07.2011, german-foreign-policy.com


4. Juli 2011