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TINKER/002: Westsahara - Verhandlungskunst oder Eskalationsstrategie (SB)


Informelles Treffen von Marokko und Polisario in Wien

Ohne Druckmittel in der Hand des sahrauischen Widerstandes droht eine Fortsetzung der Hinhaltemanöver


Am Montag hat in Wien ein informelles Treffen zwischen Marokko und der Vertretung der sahrauischen Bevölkerung der besetzten Westsahara, der Frente Polisario, begonnen. Im Verlaufe der seit nunmehr fast 30 Jahre währenden Okkupation des Gebietes der Westsahara - zunächst durch Spanien, dann durch Marokko - hat es bereits eine ganze Reihe von Verhandlungen und Vereinbarungen über die Dekolonisierung dieses nordafrikanischen Küstenlandstriches gegeben, die nie wirklich umgesetzt wurden, weil augenscheinlich der Wille dazu auf Seiten Marokkos sowie der westlichen "Vermittler" fehlte. Im Lichte der wenig veränderten Ausgangslage drohen nun auch diese Gespräche, gemessen an einer für das sahrauische Volk fairen Lösung des Konflikts, die in der völligen Souveränität der Westsahara sowie der Rückkehr der Flüchtlinge und der Exilregierung aus Algerien bestehen würde, im Sande zu verlaufen.

Die Hoffnungen, die mit der Berufung des neuen UN-Gesandten für die Westsahara, Christopher Ross, verknüpft worden sind, haben durch dessen bisherige Aktivitäten, die wenig Durchschlagskraft vermuten lassen, bereits einen Dämpfer erhalten. Seine Rhetorik, zunächst noch bemüht, das Recht der sahrauischen Bevölkerung auf Selbstbestimmung zu betonen, das durch entsprechende UN-Resolutionen gestützt wird, zeigte sich im Juni bereits deutlich zurückhaltender: Seine Mission sei auf dem "richtigen Weg", und er sei nach wie vor entschlossen, weiter nach einer Lösung für den "großen Konflikt" zu suchen.

Aussagen, die angesichts des bereits seit 18 Jahren vom UNO-Sicherheitsrat geforderten Referendums, mit dem das sahrauische Volk sich für den Verbleib bei Marokko, eine Autonomielösung oder aber für seine volle Souveränität in einem das Gebiet der Westsahara umfassenden Staat entscheiden sollten, ein wenig seltsam anmuten. Verstehen kann man sie höchstens als Teil einer langen Reihe von Manövern, die letztlich zum Verbleib der Westsahara bei Marokko, einem treuen Vasallen der USA, führen sollen. 1981 kontrollierte die Frente Polisario fast die gesamte Westsahara, und ohne die massive Waffenhilfe Frankreichs und der USA hätte Marokko sie wohl kaum zurückschlagen können. Nach langen Verhandlungen kam 1991 unter UNO-Beteiligung ein Waffenstillstand zustande. Der Glaube an die Vereinten Nationen als ehrlichem Makler hatte die Polisario an den Verhandlungstisch und zur Abgabe der Waffen gebracht - zu einem Zeitpunkt, als sie noch den nötigen Druck entfalten konnte, der die andere Seite zumindest zu einem Gesprächsangebot nötigte. Dem Waffenstillstand stimmte der sahrauische Widerstand schließlich aufgrund eines versprochenen Referendums, das dem sahrauischen Volk die Möglichkeit geben sollte, selbst über sein Schicksal zu entscheiden, zu.

Dieses konnte allerdings von Marokko bis zum heutigen Tage erfolgreich hintertrieben werden. Auch die jüngste bindende Vereinbarung, der mit der Resolution 1495 des UNO-Sicherheitsrates verknüpfte sogenannte Baker-Plan II von 2003, der als ersten Schritt eine Autonomie über etwa fünf Jahre und ein darauf folgendes Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara vorsieht, wurde bislang nicht umgesetzt. Das Referendum scheiterte immer wieder am Widerstand Marokkos, und das deutet darauf hin, daß der nötige Nachdruck von UNO-Seite, gestützt durch die sogenannte "internationale Gemeinschaft", dieses durchzusetzen, fehlt. Bis zum heutigen Tage wurden Zugeständnisse und Kompromisse allein von Seiten der Sahrauis gemacht.

Auch die Vorstellung, der Wechsel in der US-Führungsriege könnte in dieser Frage vielleicht einen Wandel herbeiführen, hat sich bislang nicht bestätigt. Das Interesse in Washington scheint geringer als mäßig und die Zusammenarbeit mit den marokkanischen Behörden gut. Welche Wünsche sollten auf dieser Seite noch offen sein, die von sahrauischer Seite erfüllt werden könnten? Über die für die USA wie wohl auch die EU-Staaten vorteilversprechende Kontrollfunktion einer starken marokkanischen Zentralmacht hinaus, zeigen sich massive wirtschaftliche Interessen an mineralischen Rohstoffen (Phosphat) im Land sowie an reichen Öl- und Gasvorkommen vor der sahrauischen Küste; die Fischgründe werden geplündert. Von den abgeschlossenen Verträgen profitieren die marokkanische Kolonialmacht sowie die beteiligten westlichen Industrieunternehmen.

Wollten die im Hinter- und Vordergrund beteiligten Großmächte eine Lösung des Westsahara-Konfliktes herbeiführen, was sollte sie daran hindern, endlich den fraglichen UNO-Resolutionen Geltung zu verschaffen und den nötigen Druck auf die marokkanische Kolonialmacht auszuüben? Die Polisario hat sich nicht allein im Interesse der eigenen Bevölkerung zum "friedlichen Widerstand" verpflichtet, denn Washington hat in der Vergangenheit deutlich mit Waffengewalt gedroht, wenn die Widerstandsfront sich nicht an diese Verpflichtung hält. Daß sich die Position der US-Administration geändert hat, steht nicht zu erwarten. Marokko braucht - ein wenig getrübt von den durch die Besatzung entstehenden hohen Kosten - so wie die Dinge zur Zeit wohl stehen, das ganze lediglich weiter auszusitzen. Sollte sich allerdings diese Erkenntnis im sahrauischen Widerstand und unter der Bevölkerung durchsetzen, die zum einen ihr Dasein als Flüchtlinge in der algerischen Wüste fristet und zum anderen unter massiven Repressionen des marokkanischen Besatzers im eigenen Land leidet, könnte es zu einer erneuten Eskalation des Konfliktes mit wenig absehbaren Folgen kommen. Denn dann ist nicht auszuschließen, daß den Schwächeren der erneute Griff zu den Waffen als das einzig probate Mittel erscheint, die Gegenseite doch noch zum Einlenken zu bewegen.

11. August 2009