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AFRIKA/1965: Ruanda - US-Anwalt Peter Erlinder bleibt in Haft (SB)


Siegerjustiz in Reinform

Ruandisches Gericht lehnt Freilassung eines US-Anwalts auf Kaution ab


Der ruandischen Justiz wie auch dem UN-Tribunal für Ruanda (ICTR) wurde schon von verschiedenen Seiten der Vorwurf gemacht, Siegerjustiz zu betreiben, was die Gescholtenen selbstverständlich von sich wiesen. Der jüngste Vorfall bestätigt jedoch den Eindruck zutiefst. Der US-Anwalt Peter Erlinder, der zum Verteidigerteam der oppositionellen Präsidentschaftskandidatin Victoire Ingabire Umuhoza, Vorsitzende der Partei FDU-Inkingi, gehört, wurde am 28. Mai in Kigali verhaftet. Ihm wird Verharmlosung und Leugnung des Ruanda-Genozids vorgeworfen, wie der Schattenblick berichtete. [1]

Was der angesehene US-amerikanische Juraprofessor vom William Mitchell College of Law in Minnesota konkret "verbrochen" haben soll, ist nicht bekannt, wohl aber kann vermutet werden, daß die ruandische Regierung sicherlich nicht begeistert darüber ist, daß Erlinder in seiner Funktion als Verteidiger eines Mitglieds der Hutu-Ethnie auf Widersprüche in der offiziellen Geschichtsschreibung zum sogenannten Ruanda-Genozid aufmerksam gemacht hat. Allein Aussagen wie, daß nicht ausschließlich Tutsi von Hutu umgebracht wurden, sondern auch zahlreiche Hutu Opfer von Übergriffen durch die Tutsi der Invasionsarmee RPF (Revolutionäre Patriotische Front) wurden, die seit Anfang der neunziger Jahre vom heutigen Präsidenten Ruandas Paul Kagame angeführt wurde, könnten Erlinder zur Last gelegt werden. Denn damit hat der Anwalt - aus der Sicht einer Regierung, die es offensichtlich nötig hat, ihre eigenen Untaten hinter denen anderer zu verstecken - den Genozid verharmlost.

Nun könnte man versucht sein anzunehmen, daß hier womöglich ein allzu ehrgeiziger Verteidiger übers Ziel hinausgeschossen ist und die Sprache und Denkweise seiner Mandanten angenommen hat. Das läßt sich jedoch nicht belegen. Nur weil Erlinder davon spricht, daß "auch" Massaker unter den Hutu angerichtet wurden, leugnet er damit nicht die massenhafte Tötung von Tutsi. Und was den Abschuß des Flugzeugs mit den Präsidenten zweier Länder an Bord am 6. April 1994 betrifft, für das Erlinder Präsident Kagame verantwortlich macht, so wundert es schon, daß Louise Arbour, die frühere Chefermittlerin des Ruanda-Tribunals, in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zunächst intensive Ermittlungen hinsichtlich der mutmaßlichen Täterschaft durchführen ließ und geradezu begeistert auf eine telefonische Erfolgsmeldung ihres Mitarbeiters Michael Hourigan reagierte, aber nur eine Woche darauf, als dieser ihr seine Ermittlungsergebnisse persönlich übergab, ihn bezichtigte, seine Kompetenzen überschritten zu haben, und verlangte, unverzüglich alle weiteren Untersuchungen zu diesem Fall abzubrechen; persönliche Aufzeichnungen zu seinen Ermittlungen seien zu verbrennen. Der solcherart Gescholtene nahm seinen Hut - man kann es ihm nicht verdenken.

Aber wieso der unvermittelte Sinneswandel bei Arbour, die mit der Einstellung der Untersuchung des Flugzeugabschusses sogar direkt dem Auftrag des UN-Sicherheitsrats, wonach das Tribunal zu sämtlichen 1994 in Ruanda begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermitteln sollte, zuwiderhandelte? Hourigans Team hatte abtrünnige RPF-Soldaten, die an dem Attentat beteiligt waren und über detaillierte Kenntnisse des Tathergangs verfügten, aufgespürt und ihre Bereitschaft erhalten, vor dem UN-Tribunal auszusagen. Demnach trug die Verantwortung für die Enthauptung zweier Staaten kein anderer als Paul Kagame, Ex-Geheimdienstchef der ugandischen Armee, ausgebildet an der US-Militärakademie Fort Leavenworth und laut US-Präsident Bill Clinton einer der "Hoffnungsträger" Afrikas.

Der jetzt in Ruanda inhaftierte Peter Erlinder ließ es sich als um die Wahrheit bemühter Verteidiger nicht nehmen, auf solche Machenschaften der heutigen ruandischen Regierung und ihrer Unterstützer bei den Vereinten Nationen sowie den Regierungen der USA und Großbritanniens aufmerksam zu machen. Dafür wurde er vom Kagame-Regime ins Gefängnis geworfen.

Erlinder ist nicht der einzige, der die offizielle historische "Wahrheit" nicht eins zu eins übernommen hat, wonach radikale Hutu ihren eigenen Präsidenten umbrachten und anschließend in einem von langer Hand geplanten und dann systematisch durchgeführten Genozid versuchten, sämtliche Tutsi zu töten. Auch der Politikwissenschaftler und Soziologe Prof. Christian Davenport vom University of Notre Dame's Kroc Institute und der Politikwissenschaftler Prof. Allan C. Stam von der University of Michigan, die 1998 und 1999 eigene Recherchen in Ruanda durchführten und ihrem Bekunden zufolge dadurch zu einer völlig andere Einschätzung gelangt waren als die, mit der sie ihre Arbeit begonnen hatten. [2]

Sie leugnen nicht, daß ein Genozid an der Tutsi-Minderheit verübt wurde, erklären aber, daß zusätzlich noch Massaker durchgeführt wurden, die von der Wahrnehmung der internationalen Gemeinschaft weitgehend ausgeblendet werden. Und so gelangten die beiden Professoren zu dem Schluß, daß beide Seiten für Massentötungen verantwortlich sind und daß alles in allem vermutlich mehr Hutu als Tutsi umkamen.

Davenport berichtete von einem Treffen in Philadelphia zwischen ihm, Stam und Erlinder, der als Verteidiger beim Ruanda-Tribunal tätig war. Dieser habe ihnen erklärt, daß er selbstverständlich daran interessiert sei, die Unschuld seines Mandanten nachzuweisen, und daß er glaube, es könnte für die Verteidigung nützlich sein, eine historische Grundlage herauszuarbeiten, was bei dem Krieg 1994 geschehen sei. Davenport gibt Erlinders Aussage wie folgt wieder: "Mein Mandant trägt vielleicht für einige Dinge die Schuld, aber er ist nicht für all die Dinge verantwortlich, dessen jeder in der ruandischen Regierung und dem Militär während des Jahres 1994 beschuldigt werden. Sie alle wurden zu Teufeln erklärt." [3]

Das klingt keineswegs nach jemandem, der den Genozid leugnet oder auch nur verharmlost. Auch Davenport und Stam, die sich besser nicht in Ruanda sehen lassen sollten, haben den Genozid nicht geleugnet und auch nicht relativiert, sondern lediglich auf große Lücken in der Geschichtsschreibung und allgemeinen Wahrnehmung aufmerksam gemacht. Das Ausmaß eines Genozids wird doch nicht dadurch in Frage gestellt, nur weil zusätzlich viele weitere Massaker begangen wurden! Wer allerdings den Mord an Hunderttausenden Menschen, die massenhafte Vergewaltigung von Frauen und Mädchen und andere Grausamkeiten politisch instrumentalisiert, um seine Raubzüge im Nachbarland zu kaschieren, der muß natürlich alles dafür tun, dieses Konstrukt aufrechtzuerhalten. Und sei es, daß dafür die Opposition diffamiert und ein US-amerikanischer Rechtsanwalt in Gefängnis gesteckt wird.

Erlinder erhält von seinen Verteidigerkollegen beim Ruanda-Tribunal in Arusha Zuspruch, nachdem ein Gericht am Montag entschieden hat, ihn nicht auf Kaution freizulassen. In einer gemeinsamen Stellungnahme, die an das Gericht und den US-Sicherheitsrat geschickt wurde, erklärten laut der britischen Zeitung "The Guardian" mehr als 30 Anwälte der Verteidigung, daß sie um ihre eigene Sicherheit fürchteten und daß Erlinder unverzüglich freigelassen werden müsse. [4] Alle Aktivitäten, mit denen nicht unmittelbar die Interessen ihrer Mandanten gewahrt werden, würden bis zu dem Zeitpunkt ausgesetzt, an dem sie ihre normale Arbeit wieder aufnehmen könnten, weil die Bedrohungen aufgehoben wurden.

Es ist nun Aufgabe der US-Regierung, ihren Einfluß in Ruanda geltend zu machen und auf Freilassung Erlinders zu bestehen. Sollte sich die Obama-Administration zieren, müßte das als Hinweis darauf verstanden werden, daß die USA ihre Mitverantwortung für die Invasion Ruandas durch die RPF und den anschließenden Genozid an den Tutsi sowie die Massaker unter den Hutu verdeckt halten wollen.


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Anmerkungen:

[1]AFRIKA/1963: Ruandas Regime wirft unbequemen US-Anwalt Erlinder ins Gefängnis (SB)

[2] "What Really Happened in Rwanda?", Christian Davenport und Allan C. Stam, Miller-McCune, www.truthout.org/, 6. Oktober 2009
http://www.thirdworldtraveler.com/East_Africa/Rwanda_WhatReallyHappened.html

[3] Siehe [2]. Übersetzung: Schattenblick.

[4] "Rwanda genocide tribunal lawyers fear for their safety after colleague's arrest", The Guardian, 8. Juni 2010
http://www.guardian.co.uk/world/2010/jun/08/rwanda-tribunal-peter-erlinder-lawyers

10. Juni 2010