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AFRIKA/2014: Hungergefahr in Ostafrika ungebrochen (SB)


Klimaveränderungen und EPAs bedrohen lokale Nahrungsproduktion in den EAC-Staaten


Die Zahl der weltweit Hungernden hat zwar in diesem Jahr seit dem Höhepunkt 2009 die Eine-Milliarde-Grenze wieder unterschritten, aber die meisten Fachleute, die mit dem Thema vertraut sind, prognostizieren eine erneute Zunahme des globalen Hungers. Besonders die afrikanischen Staaten gelten als gefährdet, da die dortige Landwirtschaft alles in allem kaum mechanisiert ist und die Bauern darauf angewiesen sind, daß es zur richtigen Zeit und in der richtigen Menge regnet. Abweichungen vom Niederschlagsoptimum können kaum kompensiert werden und gehen mit Ernteeinbußen einher. Die künstliche Bewässerung fristet in der Mehrheit der Länder ein Nischendasein.

Selbst die verglichen mit früheren Jahren günstigen Niederschlagsverhältnisse Ostafrikas seit 2009 können nicht beruhigen. Zwar haben die Länder der East African Community (EAC) in dieser Saison einen Ernteüberschuß eingefahren, aber Entwarnung könne man nicht geben, sagte die Vorsitzende des EAC-Ministerrats, Hafsa Mossi, vergangene Woche in Arusha. [1] Es herrsche nach wie vor Ernährungsunsicherheit aufgrund der kaum entwickelten Systeme der Getreidelagerung, Infrastruktur und Distribution vor.

Ostafrikas Politiker befürchten, daß ihre Großregion Klimaveränderungen erfahren wird, wodurch sich der Druck auf die landwirtschaftlichen Systeme erhöht. So berechtigt und nachvollziehbar diese Sorge auch ist, die kenianische Menschenrechtsorganisation Kenya Human Rights Commission (KHRC) sieht eine ganz andere Gefahr auf die Einwohner der fünf EAC-Staaten Kenia, Uganda, Tansania, Ruanda und Burundi zukommen: die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) mit der Europäischen Union.

In dem am 1. Dezember veröffentlichten Bericht "Trading our lives with Europe: Possible impact on human rights by the Framework for Economic Partnership Agreements (EPA) between the East African Community, (Kenya) and European Union" warnen die Menschenrechtler die ostafrikanischen Regierungen, sie sollten keine Vereinbarungen mit der EU abschließen, welche ihre nationalen Ernährungsstrategien verletzen könnten. [2] In dem 61seitigen Report fordern die Autoren von den EAC-Regierungen, daß sie den Zugang ihrer Bevölkerungen zu Nahrung über jede andere nationale, regionale und internationale Verpflichtung stellen.

Wie berechtigt der Einsatz der Menschenrechtler für die Ernährungssicherheit ist, zeigen die Bemühungen der Europäischen Union, im Rahmen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen die Zollschranken der AKP-Staaten (aus dem afrikanischen, pazifischen, karibischen Raum) aufzuheben. Das hätte nämlich zur Folge, daß sich große europäische Agrarproduzenten in die landwirtschaftlichen Sektoren Ostafrikas einkaufen. Was sich oberflächlich als positiven Effekt der EPAs beschreiben läßt - Investitionen werden von den Regierungen stets begrüßt - dürfte faktisch auf einen Ausverkauf dieser Länder hinauslaufen.

Denn entweder zerstört die Europäische Union mit ihren subventionierten Agrarprodukten die afrikanischen Märkte, indem sie die lokalen Anbieter mit europäischem Milchpulver, Hühnerfleisch und anderen Agrarprodukten unterbietet, oder sie sorgt dafür, daß künftig verstärkt Plantagenanbau für den Export (cash crops) betrieben wird. Solange aber die Investoren nicht auf den lokalen Märkten, sondern in Europa, Asien oder Nordamerika höhere Preise erzielen, werden sie bestrebt sein, die Ernte außer Landes zu schaffen. Somit werden die Einwohner der EAC-Staaten von zwei Seiten in die Zange genommen: Zum einen können die örtlichen Bauern nicht mit den EU-subventionierten landwirtschaftlichen Betrieben konkurrieren und gehen pleite, zum anderen wird aufgrund der Weltmarktorientierung die örtliche Ernähungsversorgung gefährdet.

Neben Klimawandel als natürliche Bedrohung der Ernährungssicherheit und den EPAs als globalgesellschaftlicher Negativfaktor kommen tendenziell hausgemachte Probleme hinzu. Kenia beispielsweise verzeichnet ein Bevölkerungswachstum von drei Prozent. 15,4 Millionen Einwohner, das sind rund 40 Prozent der Bevölkerung, leiden unter chronischem Ernährungsmangel, Tendenz zunehmend. [3] Das Landwirtschaftsministerium Kenias spricht sich deshalb für eine Absenkung der Geburtenrate und ein besseres Management der Land- und Wasser-Ressourcen aus.

Der Bedarf an Nahrung, Feuerholz und Holz belaste die Wälder des Landes schwer, heißt es. Durch die Abholzung der Wälder verändere sich das lokale Klima, was wiederum zur Wüstenbildung in Landesteilen beiträgt, die davon bislang weitgehend verschont geblieben sind. Die Wassermenge von mindestens acht Flüssen im North Rift Valley sei drastisch zurückgegangen, und die Quellen, welche die Flüsse Kerio und Sosiani speisten, stünden an der Schwelle des Austrocknens, weiß John Chumo von der Umweltorganisation Friends of Nandi Environmentalists zu berichten. [4]

Kenia hat sich von einem Nahrungsmittelexporteur in einen -importeur gewandelt. Jahr für Jahr müssen mehr Einwohner versorgt werden, was die kenianische Landwirtschaft gegenwärtig nicht zu leisten vermag. 2009 hat das Land 2,4 Millionen Tonnen Mais produziert, verbraucht wurden 3,1 Millionen Tonnen. Bei Weizen fiel die Diskrepanz zwischen Produktion und Verbrauch noch krasser aus. Erzeugt wurden 219.301 Tonnen, erforderlich waren 900.000 Tonnen. Und einem Bedarf von 280.000 Tonnen Reis standen 42.202 Tonnen gegenüber, die auf kenianischen Feldern produziert wurden. [4]

Sowohl bei den gegenwärtigen Klimaschutzverhandlungen im mexikanischen Badeort Cancún als auch bei den Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten werden Entscheidungen getroffen, die unmittelbaren Einfluß auf die Nahrungsversorgung der örtlichen Bevölkerung in den EAC-Staaten ausüben. Ohne einen verbindlichen internationalen Klimaschutzvertrag, der nicht - wie die bisherigen Verhandlungsergebnisse allerdings zeigen - die Kapitalinteressen bedient und ohne wirksame Mechanismen zum Schutz der heimischen Bauern vor Investoren dürfte sich die Ernährungslage der Einwohner Ostafrikas eher verschlechtern als verbessern.


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Anmerkungen:

[1] "East Africa: EAC Leaders Warn of Looming Hunger", East African Business Week (Kampala), 6. Dezember 2010
http://allafrica.com/stories/201012070826.html

[2] "East Africa: Report Warns of Deals That Could Jeopardize Food Security", Catholic Information Service for Africa (Nairobi), 3. Dezember 2010
http://allafrica.com/stories/201012070823.html

[3] "Kenya: More Locals to Face Chronic Food Shortages", The East African (Nairobi), 30. November 2010
http://allafrica.com/stories/201012061382.html

[4] "Kenya: Demand for Food and Fuel Endangers Forests", The Nation (Nairobi), 3. Dezember 2010
http://allafrica.com/stories/201012060560.html

8. Dezember 2010