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AFRIKA/2019: Erdöl und Nilwasser - Ein neuer Staat Südsudan birgt enormes Konfliktpotential (SB)


Südsudan steht vor der Abspaltung

Ägypten in Sorge wegen möglicher neuer Ansprüche auf vermehrte Entnahme von Nilwasser


Am 9. Januar könnte in Afrika ein neuer Staat entstehen. An dem Tag stimmt die sudanesische Bevölkerung in einem Referendum darüber ab, ob sich der Südsudan vom Mutterland abspalten oder seinen weitgehenden Autonomiestatus beibehalten soll. In einer zweiten Abstimmung entscheiden die Bewohner der im Grenzbereich zwischen Norden und Süden gelegenen Region Abyei, welcher Seite sie sich zugehörig fühlen. Weil diese Region besonders erdölreich ist, werden in wenigen Tagen die Weichen für weitreichende ökonomische Veränderungen gestellt. Dem Norden könnte ein erheblicher Teil seiner Einnahmen aus dem Ölexport verlorengehen. Die Frage, wer in Zukunft über die Ölquellen verfügt, hat bereits starke Spannungen erzeugt; beide Seiten haben militärisch aufgerüstet und sich in Stellung gebracht, sollte ein gewaltsamer Konflikt ausbrechen.

Vor dem Hintergrund der enormen Brisanz der Erdölfrage ist in der Wahrnehmung der internationalen Gemeinschaft ein zweites Konfliktpotential in den Hintergrund getreten: Wasser. Nachbarstaaten wie Uganda und Äthiopien würden es begrüßen, wenn sich der Südsudan abspaltet. Eine Aufnahme in die Wirtschaftsgemeinschaft East African Community (EAC), in der bislang Kenia, Uganda, Tansania, Ruanda und Burundi zusammengeschlossen sind, dürfte nicht lange auf sich warten lassen.

Als Gegner einer Separation Südsudans erweist sich die Regierung Ägyptens. Sie befürchtet wohl nicht zu Unrecht, daß ein neuer Staat neue Ansprüche an die Aufteilung des Nilwassers stellen wird. Dabei liegen sich die Anrainerstaaten des Oberen Nils bereits mit Ägypten über die aus der britischen Kolonialzeit stammende Regelung, die das Land der Pharaonen sowie seinen südlichen Nachbarn Sudan deutlich gegenüber allen anderen Nutzern des Nils begünstigt, in den Haaren.

Kürzlich erhielt Ugandas langjähriger Präsident Yoweri Museveni Besuch vom südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir. Bei dem Treffen wurde über die Möglichkeit des Baus von Staudämmen zur Verbesserung der Wasserwirtschaft und zur Gewinnung von elektrischem Strom diskutiert.

Sudan und Ägypten, die zusammen die Nutzungsrechte über 74 Prozent des Nilwassers besitzen (mit deutlichem Übergewicht Ägyptens), lehnen eine Überarbeitung des 1929 beschlossenen Nil-Vertrags ab. Doch im Mai 2010 hielten die Nil-Anrainerstaaten eine Konferenz ab, auf der die am Oberlauf des Nils gelegenen Länder einen Entwurf über die Entnahmemengen vorlegten, den Ägypten und Sudan binnen eines Jahres annehmen sollen. Ein Land wie Äthiopien hat gewichtige Gründe, einen höheren Anteil an der Nilwassernutzung zu verlangen, verzeichnet es doch ein starkes Bevölkerungswachstum und möchte sein Wirtschaftswachstum sichern. Die Ägypter wiederum haben ebenfalls gewichtige Gründe, warum sie nichts vom Wasser des Nils abgeben wollen, bildet der Strom doch die Lebensader ihres Landes. Er liefert Wasser für Landwirtschaft, Industrie und Haushalte, erzeugt elektrischen Strom, verhilft Fischern zu einem leidlichen Einkommen und dient als Verkehrsweg für Waren und Personen.

Nun reklamieren die Anrainerstaaten des Oberlaufs, daß insbesondere die ägyptische Landwirtschaft viel zu verschwenderisch mit dem Wasser umgeht, indem sie das kostbare Naß ungenutzt verdunsten läßt; Ägypten wäre sehr wohl in der Lage, auf einen Teil des Wassers zu verzichten, wenn es nur seine Bewässerungswirtschaft auf Vordermann brächte. Die Spannungen zwischen den Ländern nahmen in letzter Zeit zu. Im November erklärte der äthiopische Premierminister Meles Zenawi in einem Interview, daß Ägypten keinen Krieg gegen Äthiopien wegen des Nilwassers gewinnen könne, und er behauptete, daß Ägypten äthiopische Rebellengruppen unterstützte.

Vor diesem brisanten Hintergrund käme den Ägyptern eine Staatsgründung in Südsudan äußerst ungelegen. Mit Sicherheit würde dessen Regierung vorhaben, einen oder mehrere hydroelektrische Dämme zu bauen - so wie Äthiopien in den letzten zehn Jahren fünf Dämme am Nil gebaut hat und gegenwärtig einen sechsten, den größten des Kontinents, errichtet. Auch Uganda hegt Pläne, vermehrt Wasserkraft zur Stromgewinnung zu nutzen. Diesem Trend wird sich ein unabhängiger Südsudan keinesfalls verschließen.

Die Frage, wer die Verfügungsgewalt über das sudanesische Erdöl erhält, wird nur solange währen, solange das Erdöl fließt. Wohingegen die Frage nach der Wasserverfügbarkeit dauerhaft über Wohl und Wehe ganzer Nationen entscheidet.

29. Dezember 2010