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AFRIKA/2046: Blut-Gold aus Nigeria - Hunderte bleivergiftete Kinder verendet (SB)


Silent hamlets - Kein Lärm spielender Kinder in nigerianischen Dörfern


Die nackte Überlebensnot drängt viele Menschen auf der ganzen Welt dazu, sich in gesundheitlich ruinöse, teils lebensgefährliche Arbeitsverhältnisse des Bergbaus und der Rohstoffgewinnung zu begeben. Sei es, daß sie für große Konzerne Lohnarbeit verrichten, sei es, daß sie als selbstausbeuterische Individuen "auf eigene Faust" nach Edelsteinen, Gold und anderen Grundstoffen der modernen Industrie- und Wohlstandsgesellschaft suchen. Wobei letztere, "illegale" Produktionsform in der Regel keine weniger streng regulierte Verwertungsstrukturen mit sich bringt als "normale" Arbeitsverhältnisse.

Im nordnigerianischen Bundesstaat Zamfara sind Dutzende Dörfer, in denen auf jene informelle Weise nach Gold geschürft wurde, extrem stark bleivergiftet. Mehr als 400 Kinder sind an einer Schwermetallvergiftung gestorben, zehntausende erkrankt. Die Suche der Erwachsenen galt Gold, einem Edelmetall, das wohl niemals einen Zahn der Schürfenden schützen und niemals im Leben den Finger, Hals oder das Kleid der Angebeten schmücken wird.

Die Weltgesundheitsorganisation berichtete vergangenen Woche [1], daß die erstmals im März 2010 von der Organisation Médecins Sans Frontières (MSF) nachgewiesene Verseuchung mit dem gefährlichen Schwermetall nach wie vor nicht beseitigt ist. Mindestens 43 Dörfer sind noch kontaminiert, besonders betrifft dies die Dörfer in den drei Local Government Areas (LGAs) Anka, Bukkuyum und Maru.

Das nigerianische Gesundheitsministerium hat das US-amerikanische Seuchenkontrollzentrum CDC (US Centers for Disease Control and Prevention) um Unterstützung bei den Ermittlungen gebeten. Auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP), das UN-Kinderhilfswerk UNICEF, mehrere staatliche nigerianische Institutionen sowie private Hilfsorganisationen aus dem In- und Ausland wie beispielsweise das Blacksmith Institute und TerraGraphics Environmental Engineering Inc. aus den USA sind an der Beseitigung der weltweit verheerendsten Bleivergiftung beteiligt. Das ganze Ausmaß der Kontamination ist noch immer nicht erfaßt.

Sogenanntes illegales Goldschürfen ist in Nigeria gang und gäbe. Aber anscheinend hatten mehrere Dörfer gegen Ende vergangenen Jahres eine neue Goldlagerstätte aufgeschlossen, die zusätzlich zu dem begehrten Erz große Mengen Blei enthielt, wie der "Guardian" [2] berichtete. Die vornehmlich jungen Männer haben die goldhaltigen Gesteinsbrocken in ihre Dörfer geschleppt, wo das Material von den Bewohnerinnen und Bewohnern kleingeschlagen und zermahlen wurde. Das Puder wurde mit Wasser und Quecksilber vermengt, um das Gold zum Verklumpen zu bringen. Kinder spielten in dem Staub, teils auch mit den bleihaltigen Brocken. Dorfplätze, Brunnen, Hütten, Straßen, Kleidung - es ist einfach alles kontaminiert. Zamfara liegt am Südrand der Sahara und ist mit keinen nennenswerten Niederschlagsmengen gesegnet. Es läßt sich denken, daß die Goldproduktion eine sehr staubige Angelegenheit war. Ausgenommen nur die Regenzeit. Dann wird der bleihaltige Staub weggewaschen und kann sich in Brunnen sammeln oder in natürlichen Wasserstellen aufkonzentrieren.

Viele Dorfbewohner hatten sich sogar von der Landwirtschaft abgewandt, um nach Gold zu suchen, das ihnen zwar nur bescheidene Einkünfte bescherte, aber immerhin noch mehr einbrachte als der Erlös durch den Verkauf von Agrarprodukten. Der Gold-Rausch gewann gewaltig an Fahrt, nachdem der Weltmarktpreis für das Edelmetall während der Wirtschaftskrise auf über 1300 Dollar die Unze anstieg. [3]

In bislang sieben dekontaminierten Dörfern konnte die Sterblichkeit bei bleivergifteten Kindern von 43 Prozent im Jahr 2010 auf ein Prozent in diesem Jahr gesenkt werden, indem die Quellen der Bleivergiftung beseitigt und die Kinder einer - mitunter monatelangen - Chelat-Therapie (Bleigehalt im Blut von >45 Mikrogramm/Deziliter), durch die die Ausscheidung der angesammelten Schwermetalle im Körper beschleunigt wird, oder anderen medizinischen Behandlungen (bei einem Bleigehalt von 10 bis 45 Mikrogramm/Deziliter) unterzogen wurden. Die Chelat-Therapie macht aber nur dann Sinn, wenn die Umgebung saniert ist, ansonsten würde erneut Blei im Körper akkumulieren. Also mußten die Kinder evakuiert, Erdreich abgetragen und Hütten gereinigt werden.

Besonders verseucht ist das 9000-Seelen-Dorf Bagega, in der das Erz verarbeitet und der informelle Goldhandel ansässig ist. Hier weise das Erdreich auf vielen Flächen eine Bleikonzentration von über 1000 ppm auf, schrieb die WHO; mindestens 1500 Kinder seien noch bleibverseucht. Anderen Berichten zufolge [3] wurde in einem Haus sogar ein Wert von 11.000 ppm nachgewiesen. Zum Vergleich: In den USA liegt die Grenze bei 400 ppm für Böden, auf denen sich Kinder aufhalten.

Ein Bleigehalt von über 10 Mikrogramm im Körper gilt als gefährlich. Mitarbeiter der MSF haben bei Blutuntersuchungen der Bevölkerung in Zamfara Bleigehalte von 700 Mikrogramm nachgewiesen. Die Hilfsorganisation war Anfang vergangenen Jahres bei jährlichen Impfaktionen auf die Todesfälle aufmerksam geworden; in manchen Dörfern hatten sie überhaupt keine Kinder angetroffen! [4] Wo sie auf Kinder trafen, zeigten diese Symptome wie Erbrechen, Fieber, Hör- und Sehschwierigkeiten, Schwindelgefühle, Bauch- und Kopfschmerzen. Zunächst tippten die Ärzte auf Malaria oder Meningitis als Ursache. Da entsprechende Behandlungen nicht anschlugen, wurde das Blut der Kinder auf den Gehalt an Schwermetallen untersucht.

Ein Großteil der Staatseinnahmen Nigerias wird durch die ökologisch und sozial verheerende Förderung von Erdöl im Nigerdelta bestritten, Goldexport macht weniger als ein Prozent der Wirtschaftskraft aus. Am der Förderung des Schwarzen Golds verdienen vor allem ausländische Konzerne und eine kleine einheimische Oberschicht. Käme es zu einer Umverteilung von oben nach unten, wären die Einwohner Zamfaras nicht gezwungen, nach Gold zu schürfen. Doch in einer Region, in der viele Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, ist 32 Dollar pro Gramm Gold [5] ein lukratives Geschäft, ungeachtet der qualvollen Arbeit und der gravierenden Auswirkungen auf die eigene Gesundheit und die der Kinder.

Nicht nur der Lärm spielender Kinder fehlte in manchen Dörfern, auch die Schwermetall-Meßgeräte der Experten gaben in der Regel keinerlei Piepston von sich - ein tragisches Zeichen dafür, daß die obere Grenze der Skala (65 Mikrogramm/Deziliter) erreicht war und der eigentliche Wert darüber hinausging.


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Fußnoten:

[1] "Nigeria: mass lead poisoning from mining activities, Zamfara State - Update 1", WHO, 11. November 2011
http://www.who.int/csr/don/2011_11_11/en/index.html

[2] "Nigeria gold rush: toxic quarry. How traditional farming methods have been abandoned in the rush for gold in Nigeria's Zamfara state", The Guardian, 22. September 2010
http://www.guardian.co.uk/world/2010/sep/22/nigeria-gold-rush-toxic-quarry?intcmp=239

[3] "Gold rush triggers deadly lead poisoning in Nigeria", CNN, 30. November 2010y
http://articles.cnn.com/2010-11-30/world/nigeria.gold.mining.lead.poisoning_1_poisoning-villages-lead-contaminated?_s=PM:WORLD

[4] "Nigeria lead poisoning death toll 'doubles'", BBC News, 5. Oktober 2010
http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-11478986

[5] "Gold und Blei bringen in Nigeria den Tod: Mindestens 160 Kinder tot", Tiroler Tageszeitung, 6. August 2010, aktualisiert am 17. Februar 2011
http://www.tt.com/csp/cms/sites/tt/%C3%9Cberblick/Politik/index.csp

14. November 2011