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AFRIKA/2071: Der Wind dreht sich - Ruandas Präsident Kagame verliert Unterstützung des Westens (SB)


Belastender UN-Bericht

Ruanda unterstützt massiv die Rebellen in Ostkongo



Die USA, Großbritannien, Niederlande und Deutschland haben in jüngster Zeit einen Teil der Entwicklungshilfe für Ruanda gestrichen. Anlaß war die mutmaßliche Unterstützung ostkongolesischer Milizen durch die ruandische Regierung. In der kongolesischen Provinz Nord-Kivu kämpfen abtrünnige Soldaten, vornehmlich ethnische Tutsi, unter dem Titel "M23" gegen die Armee von Kongos Präsident Joseph Kabila und die Blauhelmtruppe MONUSCO. Ausgebrochen war der Konflikt im April dieses Jahres. Weit über 200.000 Menschen befinden sich deswegen auf der Flucht. Am vergangenen Samstag sagte Kabila, die Unterstützung der M23 durch Ruanda sei kein Geheimnis. Mit dieser Einschätzung steht er offensichtlich nicht allein da.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten stellt Paul Kagame, einst Rebellenführer, heute Präsident Ruandas, unter Beweis, was für ein gewiefter Stratege in militärischen wie auch politischen Belangen er ist. Hat er jetzt den Bogen überspannt?

Trotz der Kagame zugelasteten Verantwortung für die (teils sprichwörtliche) Ausschaltung von Oppositionellen in Politik und Medien und bezeugter Gräueltaten der 1994 von ihm zum Sieg über Ruandas Armee und Milizen geführten Rebellen der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) - um nur eine kleine Auswahl an Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu nennen, die Paul Kagame angelastet werden könnten -, saß er bislang fest im Sattel.

Jetzt stellt sich die Frage, was sich geändert hat. Ziehen die oben genannten Staaten ihre schützende Hand von Kagame vollständig zurück oder handelt es sich lediglich um einen Warnschuß vor den Bug, er möge sein Spiel nicht zu weit treiben? Oder haben die Länder die Entwicklungshilfe nur ausgesetzt, weil die Beweise gegen die Kagame-Regierung derart erdrückend sind, daß ein solcher Schritt noch das kleinere Übel ist im Verhältnis dazu, wie (nicht nur) in jüngster Zeit mit anderen afrikanischen Staatschefs umgegangen wird? Man denke nur an den im vergangenen Jahr vor allem von Frankreich herbeigeführten Sturz Präsident Laurent Gbagbos von der Elfenbeinküste und die offene Unterstützung dessen Kontrahenten, des Sarkozy-Vertrauten und ehemaligen IWF-Managers Alassane Ouattara.

Bislang konnte sich Kagame immer auf die Rückendeckung westlicher Mächte verlassen, doch wird er in einem Bericht einer international besetzten Expertengruppe der Vereinten Nationen zur Lage in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) schwer belastet. Demnach hat Ruanda die Rebellengruppe M23 gegründet, die von dem per Internationalem Haftbefehl gesuchten abtrünnigen General der kongolesischen Armee Bosco "The Terminator" Ntaganda geführt wird, und mit Waffen, Munition sowie Rekruten unterstützt. Die abtrünnigen Soldaten entstammen der Rebellengruppe National Congress for the Defence of the People (CNDP), die laut einem Friedensabkommen vom 23. März 2009 in die kongolesische Armee integriert werden sollte. Daher auch das Kürzel M23.

Die Organisation M23 behauptet, nichts mit Ntaganda zu tun zu haben, und daß ihr Anführer General Sultani Makenga, ein Kontrahent des vom ICC gesuchten Ntaganda, sei. Informationen aus der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma zufolge arbeiten die beiden allerdings zusammen.

Der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel legte vergangene Woche die für die nächsten drei Jahre veranschlagte Budgethilfe in Höhe von 21 Millionen Euro (von insgesamt 60 Mio. Euro für Ruanda) auf Eis. Die Vorwürfe aus dem UN-Bericht müßten lückenlos aufgeklärt werden, so der Minister. Das sei ein unmißverständliches Zeichen an die Regierung Ruandas. Er erwarte von ihr volle Kooperation mit der UN-Expertengruppe.

Am vergangenen Freitag berichtete die in London herausgegebene Tageszeitung "Daily Telegraph", daß auch der britische Entwicklungsminister Andrew Mitchell die Auszahlung von 16 Mio. brit. Pfund (25 Mio. Dollar) ausgesetzt hat. Die Niederlande sind ein weiteres Land, das inzwischen Druck auf Ruanda ausübt, und die Sperrung von 5 Mio. Euro Budgethilfe (von rund 50 Mio. Euro jährlich) angekündigt hat.

Die USA wiederum haben Militärhilfe im Umfang von 200.000 Dollar für das Fiskaljahr 2012 gestrichen. Eine geringe Summe, wenngleich ein bedeutsamer Vorgang. Die Regierung der Vereinigten Staaten sei zutiefst besorgt über die Beweise, wonach Ruanda darin verwickelt ist, kongolesische Rebellengruppen, einschließlich der M23, zu unterstützen. Man habe Ruanda auf höchster Ebene gedrängt, dies einzustellen, da es die Stabilität in der Region untergrabe, lautet die Erklärung Hilary Fuller Renners, Sprecherin des Bureau of African Affairs im US-Außenministerium.

Der Leiter des im selben Ministerium angesiedelten Office of Global Criminal Justice, Stephen Rapp, warnte sogar, daß die ruandische Führung wegen mutmaßlicher Beihilfe wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem Nachbarland angeklagt werden könnte, vergleichbar mit Charles Taylor. Der frühere Präsident Liberias war im Mai dieses Jahres von einem UN-Sondergericht für Sierra Leone zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Auch Taylor hatte nie einen Fuß auf sierraleonischen Boden gesetzt, aber die dortigen Rebellen unter anderem mit Waffen unterstützt und so den Bürgerkrieg angeheizt.

Die ruandische Regierung wettert vehement gegen den vorab an die Öffentlichkeit gelangten UN-Bericht. Kagame wies die Vorwürfe in dem Bericht strikt zurück, und Ruandas Außenministerin Louise Mushikiwabo nannte den Report "einseitig" und "irreführend".

Schon vor Jahren war Ruanda mehrmals in UN-Berichten beschuldigt worden, es betreibe in Ostkongo ein kriminelles Netzwerk zwecks Plünderung der Rohstoffe. Dennoch wird Ruandas wirtschaftlicher Aufschwung weiterhin als Verdienst Kagames beschrieben und nicht selten wird ihm deswegen nachgesehen, daß er mit harter Hand regiert. Er glaube an Paul Kagame und unterstütze ihn, bekannte beispielsweise der frühere britische Premierminister Tony Blair. Man komme an der Tatsache nicht vorbei, daß Ruanda einen bemerkenswerten Entwicklungspfad eingeschlagen habe. Jedesmal, wenn er Kigali und Umgebung besuche, sähe er die Veränderungen, die das Land durchlaufe, sagte Blair laut der britischen Zeitung "The Guardian".

Welcher Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung Ruandas eine direkte Folge der Plünderung des Nachbarlands ist, läßt sich nicht genau bestimmen, er dürfte aber nicht geringfügig sein. Im übrigen könnte man eine ähnliche Beschreibung, wie sie Blair für Ruanda verbreitet, zu bestimmten Gebieten in Somalia abgeben. Dort legen einige der Piraten die Lösegelder, die sie für gekaperte Schiffe erpreßt haben, in wunderschönen Palästen an ...

Faßt man die Medienberichte über Ruanda aus den letzten Wochen zusammen, so scheint dessen Regierung eine Dreifachstrategie zu betreiben. Zum einen erweckt sie den Eindruck, als würde sie sich mit der Regierung Kongos einigen wollen, zum zweiten unterhält sie eigene Rebellen in Kivu, welche den Raubzug organisieren, zum dritten unterstützt sie ihr gegenüber feindlich gesinnte Rebellen der Hutu-Milizen der Democratic Forces for the Liberation of Rwanda (FDLR), um einen Vorwand zu haben, seine Sicherheitsinteressen auf Ostkongo auszudehnen. Diese drei Strategien stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich vor dem Hintergrund, daß das Ziel immer nur darin besteht, Zugriff auf die reichhaltigen ostkongolesischen Rohstoffe zu behalten und den begonnenen wirtschaftlichen Aufschwung fortzusetzen.

Es ist gut möglich, daß sich der Wind zu drehen beginnt und Paul Kagame bzw. die ruandische Regierung die Unterstützung durch den Westen zumindest in ihrer bisherigen Bedingungslosigkeit verliert. Weil sich die USA, Großbritannien, Deutschland und andere Staaten in der Vergangenheit keineswegs geregt haben, obwohl der dringende Verdacht besteht, daß das Kagame-Regime für den millionfachen Tod in der DR Kongo mitverantwortlich ist - Invasion 1996, Invasion 1998 und Folgejahre der Plünderung -, klingt die Vermutung des "Guardian" nicht plausibel, daß das Einbehalten der Entwicklungshilfe für Ruanda eine Antwort auf die Unruhen in Ostkongo und den Verlust an Menschenleben ist. Das waren zumindest früher keine entscheidende Kriterien. Warum also ausgerechnet jetzt?

Darauf gibt es wohl keine einfache Antwort. Vielleicht ist Kagame nicht mehr erfolgreich genug in der Organisation des Raubzugs. Andere Kräfte erscheinen womöglich vielversprechender. Allzu schnell gerät in Vergessenheit, daß die Abnehmer der Rohstoffe des Ostkongo wie Tantal, Gold, Kupfer, etc. stets die gleichen geblieben sind, welche Regierung oder Rebellenorganisation auch immer die Ausbeutung unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Möglicherweise ändert sich da zur Zeit etwas im Gefüge, und Kagame wird nicht mehr gebraucht.

Noch eher denkbar ist aber umgekehrt, daß Kagame zu erfolgreich wird. So hat er angekündigt, daß er sich von der Entwicklungshilfe, die zur Zeit noch einen beträchtlichen Anteil des ruandischen Haushalts ausmacht, befreien möchte. Das dürfte in den Ohren der westlichen Regierungen nicht gut ankommen, verlören sie damit doch an direkter Einflußnahme auf Ruanda. Schließlich war es den Industriestaaten nach dem Ende der Kolonialzeit gelungen, fast alle Staaten Afrikas in die Verschuldung zu treiben und auf diese Weise weiter deren Politik bestimmen zu können, beispielsweise über Strukturanpassungsprogramme. Eine Emanzipation vom postkolonialen Joch war und ist bis heute nicht vorgesehen.

Ruanda ist zwar eng in die globale Wirtschaftsordnung eingebunden. Dennoch darf sich das Land nicht ernsthaft von der Vormundschaft durch die USA und Europa befreien wollen, ansonsten könnte Kagame ganz schnell enden wie der frühere libysche Machthaber Gaddafi. Der stand ebenfalls nicht in der Kreide des Westens und hatte sich aufgemacht, die Subsaharastaaten aus der Abhängigkeit vom Westen zu lösen, beispielsweise indem er den Großteil der Kosten für die Afrikanische Union sowie für den ersten afrikanischen Kommunikationssatelliten übernahm, wodurch afrikanische Staaten jährlich 500 Mio. Dollar an Gebühren bei ihren westlichen Partnern erspart blieben.

Die Kagame-Regierung hat die Vorwürfe nicht nur brüsk zurückgewiesen, sondern unter anderem auch eingeräumt, bzw. nicht ausgeschlossen, daß auf ruandischem Boden Kämpfer für Ostkongo rekrutiert worden sein könnten. Aber die Verantwortung hat die Regierung nicht dafür übernommen. Das könnte bedeuten, daß demnächst irgendwelche Soldaten, die garantiert keine Interna ausplaudern können, für die Verwicklung Ruandas in die ostkongolesischen Kämpfe ihre Köpfe hinhalten müssen. Paul Kagame wäre nicht der erste Staatführer, der lange Zeit vom Westen verhätschelt wurde, obwohl er ein repressives Regime betrieben hat, und irgendwann fallen gelassen wird.

31. Juli 2012