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AFRIKA/2092: Vielversprechendes Wachstum der Wirtschaft - wer arm ist, wurde ärmer (SB)


Einige Fragen an die neue OECD-Studie "Wirtschaftsausblick Afrika 2013"



Eine neue Wirtschaftsstudie zu Afrika bescheinigt dem Kontinent gute Wachstumswerte. Der Reichtum hat eindeutig zugenommen. Doch zugleich wurden die Armen ärmer, in einigen Ländern verschlechterten sich sogar die medizinische Versorgung und der Bildungsstand. Zu diesem Ergebnis gelangt der "Wirtschaftsausblick Afrika 2013", der gemeinschaftlich von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB), der Afrikanischen Wirtschaftskommission (ECA) und dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) erstellt und am 27. Mai in der marokkanischen Stadt Marrakesch vorgestellt wurde. [1]

Die Autoren der Studie glauben, daß der Ressourcenreichtum "in der Landwirtschaft, im Bergbau und bei Energieträgern" das wirtschaftliche Wachstum vorantreiben und die Lebenssituation der Menschen in Afrika "entscheidend verbessern" könnte. Die Aussichten für die Wirtschaft seien vielversprechend. In diesem Jahr könnte das Bruttoinlandsprodukt um 4,8 und im kommenden um weitere 5,3 Prozent wachsen.

Afrika vermochte selbst in Zeiten der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise seine Wachstumsrate beizubehalten. Nun empfehlen die Autoren, den Ressourcenreichtum noch stärker zu nutzen und die Einkünfte beispielsweise in die Verbesserung der Infrastruktur fließen zu lassen.

Das mutet zynisch an angesichts des noch gar nicht so lange zurückliegenden, gewaltsamen Sturzes des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi mit Hilfe arabischer Staaten (Katar, Vereinigte Arabische Emirate) und einer Reihe von OECD-Staaten (USA, Vereinigtes Königreich, Frankreich, Italien, Dänemark, Kanada, Spanien, Belgien, Niederlande, Norwegen, Griechenland, Türkei, Schweden). Bei den Luftangriffen auf Libyen wurden staatliche Strukturen zerschlagen und Infrastruktureinrichtungen großflächig zerstört. Könnte man daraus nicht schließen, daß die Bewahrung der Infrastruktur bei den OECD-Mitgliedern selber offensichtlich keine allzu hohe Priorität genießt, da sie andernfalls eine andere Konfliktlösung angestrebt hätten?

Es war Ghaddafi, der maßgeblich zur Gründung der Afrikanischen Union (AU) beigetragen und diese jahrelang mit beträchtlichen Summen finanziert hat. Die AU sollte ein großer Wirtschaftsraum werden (wie in der OECD-Studie empfohlen), der auf eigenen Füßen steht und sich von den Abhängigkeiten gegenüber den reichen Länder befreit. Libyen unter Ghaddafi hat aus den Erdöleinnahmen Dutzende Entwicklungsprojekte auf dem Kontinent angeschoben und sehr ambitionierte Pläne zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sowie zur Verbesserung der Wasser- und Energieversorgung gefaßt. Der Human Development Index war der höchste des Kontinents, die Sozialstandards des Landes galten als vorbildlich.

An dem autokratischen Führungsstil des libyschen Machthabers gab es sicherlich einiges auszusetzen (wie auch an dem vieler anderer afrikanischer Regierungschefs, zu denen die OECD-Staaten beste Kontakte pflegen) und auch den Mammon haben der Revolutionsführer und seine Familie keineswegs verachtet, wenn man den Berichten über ihre zahlreichen Auslandskonten glauben schenken darf. Aber das heutige Libyen ist in seinen Grundfesten erschüttert und von einer tiefen Unsicherheit geprägt; der allgemein hohe Lebensstandard der Bevölkerung wurde nicht gehalten.

In direkter Folge des gewaltsamen Machtwechsels in Libyen kam es in Nordmali zum Aufstand, zur Machtübernahme durch islamistische Kräfte und schließlich zu ihrer Vertreibung durch das französische Militär. Auch Mali zeigt sich heute als ein Land, das zerrütteter ist denn je. Was die finanziellen Zusagen internationaler Geber für Mali betrifft, so bleibt dem Land nur zu wünschen, daß die Versprechungen eingehalten werden.

Mit diesem kleinen Exkurs soll verdeutlicht werden, daß es die OECD-Staaten selber sind, die ihren eigenen Empfehlungen keine hohe Priorität einräumen. Ansonsten hätten sie dem Luftangriff auf Libyen nicht stattgegeben und statt dessen den Diplomaten der Afrikanischen Union, die bereit waren, zur Vermittlung des Konflikts nach Tripolis zu fliegen, die Einreise gestattet.

Außerdem sollte nicht in Vergessenheit geraten, daß die Ratschläge der OECD-Staaten mehr oder weniger eine Wiederholung derjenigen sind, die sie seit vielen Jahren zum besten geben und deren Ergebnisse heute vorliegen: Einige Menschen werden reicher, viele arme Menschen dagegen noch ärmer. Laut der Pressemitteilung der OECD sagte Mario Pezzini, Direktor des Development Centres dieser Organisation: "Wachstum alleine reicht nicht. Die Länder Afrikas müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass aus ihren natürlichen Ressourcen Jobs entstehen und dass die Einnahmen durch kluge Besteuerung optimiert werden." [1]

Was aber ist eine "kluge" Besteuerung? Und worin besteht die "Optimierung" der Einnahmen? In der neoliberalen Lesart (Trickle-down- oder Tröpfchenmethode) wäre es beispielsweise klug, Bergbauunternehmen weitgehend von Steuern zu befreien, damit sie, so der Glaube, Arbeitsplätze schaffen und die Infrastruktur verbessern. Daß ausgerechnet die besser bezahlten Arbeitsplätze nicht selten von ausländischen Fachkräften besetzt werden, die der Konzern mitbringt, und die sogenannte Verbesserung der Infrastruktur auf den Bau von Straßen, Eisenbahnstrecken und gegebenenfalls Hafenanlagen hinausläuft, damit die Rohstoffe rasch außer Landes gebracht werden können, bekümmert die neoliberalen Apologeten nicht. Man könnte ihr Konzept auch so beschreiben: Man stopft den Reichen die Taschen dermaßen voll, daß bestimmt etwas herausfällt, das dann der Masse der Menschen zugute kommt. Es dürfte schwer fallen, ein einziges Beispiel auf dem ganzen Kontinent zu finden, bei dem das funktioniert und den Armen zu einem gesicherten Leben verholfen wird.

"Klug", "Optimierung", "Rahmenbedingungen" sind vieldeutige Begriffe, die man in einem banalen Satz zusammenfassen könnte: Die Afrikaner müssen nur alles richtig machen, dann klappt auch alles übrige.

Bei den vermeintlich guten Ratschlägen der Studie wird nicht berücksichtigt, daß in dem vorherrschenden, von Konkurrenz bestimmten Wirtschaftssystem Wachstum auf Verbrauch und Gewinn auf Verlusten beruht. In der einfachsten Form bedeutet das: Hat ein Unternehmen Erfolg, können seine Konkurrenten ihn nicht haben.

Zudem kann ein Unternehmen seine Produkte nur dann verkaufen, wenn ihre Verfügbarkeit eingeschränkt ist. Die heutige Gesellschaft ist so komplex aufgebaut, daß dieser Zusammenhang kaum noch zu erkennen ist. In Afrika zeigt er sich beispielsweise daran, daß viele Kleinbauern keine Landtitel besitzen. Wird die Landfläche, die sie bisher genutzt haben, von den zuständigen Behörden an einen Investor verpachtet oder verkauft, wird dieser sein neu erworbenes Stück Land absichern und es der freien Verfügbarkeit entziehen. Vielleicht läßt er darauf Obst anbauen, für daß dann die Kleinbauern bezahlen müßten, obwohl es doch auf "ihrem" Land angebaut wurde. Nicht durch die ursprüngliche Subsistenz, sondern durch den Mangel wird Wirtschaftswachstum generiert.

Der OECD zufolge haben die guten Wirtschaftszahlen zu keinem spürbaren Rückgang der Armut geführt und die Einkommensunterschiede sogar noch verstärkt. Ob es wirklich ein so guter Vorschlag ist, den Ressourcenabbau zu forcieren? Wo, bitte schön, gibt es dafür eine Erfolgsgeschichte? Wo hat der Export von Erdöl, Erdgas, Uran, Kakao, Kaffee, Gold, Coltan, Zinn oder Zink nicht zur Anhäufung von Reichtum bei wenigen und Verarmung bei vielen geführt? Was anderes als eine noch größere Diskrepanz zwischen arm und reich würde also bei einer Beschleunigung des Rohstoffabbaus entstehen?


Fußnoten:

[1] http://www.oecd.org/berlin/presse/afrika-wirtschaftsausblick-2013.htm

30. Mai 2013