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AFRIKA/2094: Jeder kämpft für sich allein? Madagaskars Ernte von Heuschrecken bedroht (SB)


Madagaskar am langen Arm der internationalen Gemeinschaft

Schwerste Heuschreckenplage seit über 60 Jahren angekündigt



Die Ernten auf dem Inselstaat Madagaskar werden von einer schweren Heuschreckenplage bedroht und die sogenannten Geberländer schauen bisher weg. Diese Ignoranz hat anscheinend System. Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen kennen den Ablauf zur Genüge: Erst schlagen sie Alarm, geben zugleich ihren Finanzbedarf bekannt, um adäquate Maßnahmen gegen die Heuschrecken ergreifen zu können, dann trudeln sporadisch Hilfszusagen ein. Die decken aber in den wenigsten Fällen die geforderte Summe ab. Die Katastrophe kann sich entfalten.

Ein aktuelles Beispiel, bei dem ein besonders krasses Mißverhältnis zwischen Bedarf und Hilfszusagen besteht, liefert die sich seit einigen Jahren immer weiter aufbauende Heuschreckenplage in Madagaskar. Die FAO (Food and Agriculture Organization) spricht in diesem Zusammenhang von einer anhaltend "schweren Unterfinanzierung". [1]

Im Februar dieses Jahres war der Wirbelsturm Haruna über das Land hinweggezogen und hat die Reisfelder im Küstenbereich überflutet. So entstanden ideale Brutbedingungen. Deshalb wird in diesem Jahr von der schwersten Heuschreckenplage in Madagaskar seit über 60 Jahren gesprochen. Im September werden voraussichtlich zwei Drittel des Landes von diesen gefräßigen Tieren befallen sein, schätzt die FAO. Die Ernährungssicherheit von rund dreizehn Millionen Einwohnern oder fast 60 Prozent der Bevölkerung ist gefährdet. Neun Millionen der Betroffenen sind unmittelbar auf das, was sie anbauen, angewiesen, sei es, daß sie dadurch ein kleines Einkommen erwirtschaften, sei es, daß sie von ihren eigenen landwirtschaftlichen Produkten leben.

Hauptnahrungsmittel auf Madagaskar ist Reis. Laut der FAO könnten die Ernteverluste bis zu 630.000 Tonnen betragen, was 25 Prozent des madagassischen Gesamtbedarfs an Reis entspricht. In dem Inselstaat leben 80 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von durchschnittlich einem Dollar pro Tag; laut der Weltbank haben 92 Prozent durchschnittlich weniger als zwei Dollar pro Tag zur Verfügung. Aufgrund der Heuschreckenplage sind viele Einwohner, die ihr Überleben immer nur von Tag zu Tag sichern können, existentiell gefährdet. Es gibt für solche Fälle keine staatlichen Auffangsysteme, und Hilfsorganisationen lindern in der Regel nur einen Teil der Not.

In diesem Fall bittet die FAO um Spenden in Höhe von 22 Millionen Dollar, damit sie das Heuschrecken-Bekämpfungsprogramm starten kann. Zum Vergleich: Diese Summe entspricht 0,0001 Prozent dessen, was der Hedge-Fonds-Manager David Tepper, der auf Platz 1 der "Reichenliste" von Institutional Investor's Alpha steht, im Jahr 2012 eingenommen hat. [2] Auf die Liste kommt nur jemand, der mindestens 200 Millionen Dollar im Jahr verdient - also rund das neunfache dessen, was zur Bekämpfung der Heuschrecken auf Madagaskar erforderlich wäre.

Ein auf drei Jahre angesetztes Heuschrecken-Bekämpfungsprogramm wird von der FAO auf 41,5 Mio. Dollar veranschlagt. Norwegen hat Hilfe in Höhe von etwas über 0,5 Millionen Dollar zugesagt. Die Hilfsorganisation und die madagassische Regierung verhandeln mit der Weltbank über einen Kredit in Höhe von zehn Millionen Dollar. [3] Das reicht natürlich nicht im mindesten, um die Plage wirksam zu bekämpfen. Zumal gegenwärtig bereits einige Regionen der Insel von Heuschrecken heimgesucht werden. Die Verluste an Reis und Mais liegen zwischen 40 und 70 Prozent; mancherorts wurde die Ernte vollständig vernichtet.

Bis zum Sommer nächsten Jahres müßten rund 1,5 Millionen Hektar Land mit Insektiziden besprüht werden, um eine stärkere Ausbreitung von Heuschrecken zu verhindern; in den folgenden zwei Jahren summiert sich die zu behandelnde Fläche auf 2,15 Millionen Hektar. [4]

Wenn Heuschrecken nicht rechtzeitig bekämpft werden, bevor sie Flügel entwickeln und ausschwärmen, können sie beträchtliche Schäden an der Vegetation anrichten. Es gibt gute Gründe, weswegen die Schwärme als biblische Plage bezeichnet werden. Bei entsprechenden Winden können die manchmal mehr als Milliarde Exemplare zählenden Gemeinschaften ganze Regionen kahlfressen. Selbst grüne Kleidung, zum Trocknen an die Wäscheleine gehängt, ist nicht vor den Beißwerkzeugen der rund zwei Gramm leichten Insekten, die täglich eine Nahrungsmenge entsprechend ihres Körpergewichts zu sich nehmen, gefeit.

FAO-Generaldirektor José Graziano da Silva betont die Wichtigkeit von Vorsorgemaßnahmen und warnt, daß jetzt womöglich die letzte Gelegenheit sei, noch etwas zu unternehmen: "Wenn wir jetzt nicht handeln, kann sich die Plage über Jahre hinziehen und Hunderte Millionen Dollar kosten", sagte er. [1] Die FAO hatte bereits im Zeitraum 2011/2012 vor der Heuschreckenplage in Madagaskar gewarnt, aber nur Spenden für die Hälfte der damals veranschlagten Bekämpfungskosten in Höhe von 14,5 Millionen Dollar erhalten. Im Jahr darauf wiederholte die UN-Unterorganisation ihre Warnung, da das Problem nicht behoben worden war, hatte daraufhin aber lediglich knapp ein Viertel der erbetenen Summe erhalten.

Weil sich der Ablauf häufig auch bei anderen Katastrophen wiederholt, kommt der Eindruck auf, daß die FAO den Mangel eher verwaltet, als daß sie ihn behöbe. Das ist offensichtlich von den Geberländern so erwünscht, denn die UN-Hilfsorganisation wird mit keinem festen Budget ausgestattet, das ausreichte, damit vermeidbare Katastrophen vollständig behoben werden können, ohne immer wieder von neuem um finanzielle Hilfe bitten zu müssen. Die größere Heuschreckenplage wird zwar erst für September prognostiziert, aber um rechtzeitig sinnvolle Bekämpfungsmaßnahmen zu organisieren, braucht die FAO das Geld schon in diesem Monat.

Nach der Machtübernahme in Madagaskar im Jahr 2009 durch den damaligen Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, Andry Rajoelina, ist das Land politisch instabil. Es herrschte ein erbitterter Machtkampf zwischen dem früheren Präsidenten Marc Ravalomanana und dem heutigen Übergangspräsidenten. Die Afrikanische Union hat die Mitgliedschaft Madagaskars wegen Rajoelinas undemokratischer Machtübernahme ausgesetzt, und wichtige Industriestaaten strichen die Entwicklungshilfe. Allerdings wollen weder Ravalomanana noch Rajoelina bei den für den 23. August angesetzten Wahlen antreten.

Eine Bekämpfung der Heuschreckenplage für Madagaskar wäre eigentlich problemlos möglich. Von den Maßnahmen gegen ein politisch instabiles Entwicklungsland sind wieder einmal die Ärmsten der Armen am stärksten betroffen. Denn es ist nicht die kleine wohlhabende Oberschicht, zu denen sowohl Rajoelina als auch Ravalomanana gehören, die unter Hunger leidet, wenn im Herbst die Heuschrecken die Ernte vernichten.


Fußnoten:

[1] http://www.fao.org/emergencies/fao-in-action/stories/stories-detail/en/c/179008/

[2] http://www.institutionalinvestorsalpha.com/Article/3190499/The-Rich-List.html

[3] http://www.guardian.co.uk/global-development/2013/jul/12/madagascar-locust-plague

[4] http://www.fao.org/emergencies/crisis/madagascar-locust/en/

17. Juli 2013