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AFRIKA/2100: Anschlag auf die Westgate Mall - Opfer fremdnütziger Interessen (SB)


Kenias Regierung läßt Ungereimtheiten zum Anschlag somalischer Milizen auf die Westgate-Einkaufspassage untersuchen



Wenn am 7. Oktober in Kenia eine parlamentarische Untersuchungskommission ihre Arbeit aufnimmt, um die Hintergründe und den Ablauf des Überfalls somalischer Milizen auf die gehobene Einkaufspassage "Westgate Mall" in Nairobi aufzurollen, wird bei den Ermittlungen aller Voraussicht nach ein wichtiger Aspekt des Massakers gar nicht erst behandelt: das Vormachtstreben externer Interessen am Horn von Afrika, der Widerstand gegen den Interventionismus und seine tödlichen Folgen.

Fremdnützige Interessen halten Somalia seit vielen Jahren oder, wenn man es genau nimmt, bereits seit Beginn der kolonialzeitlichen Unterwerfung und Aufteilung des Landes durch das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien, fest im Griff. Ob unter der Ägide der Kolonialverwaltung oder später des zunächst sowjetischen, dann US-amerikanischen Günstlings und Diktators Siad Barre oder, nach dessen Sturz 1990/91, unter den Rivalitäten der teils von außerhalb unterstützten Clans, es gab kaum eine Zeit, in der das somalische Volk die Chance erhielt, einen vom Ausland weitgehend unbeeinflußten Weg einzuschlagen.

Der Angriff einer Gruppe somalischer Kämpfer der Organisation Al Shabaab am 21. September 2013 auf die Westgate Mall, dem viele Dutzend Menschen zum Opfer fielen, und seine Besetzung, die von der kenianischen Armee und Polizei erst nach Tagen beendet wurde, ist nicht Ausdruck einer speziell dem muslimischen Glauben immanenten Gewaltbereitschaft, wie es in der hiesigen Presse mitunter nahegelegt wird. Al Shabaab befindet sich im Krieg, was aus Sicht seiner Mitglieder jede Tat rechtfertigt, und dieser Krieg wird keineswegs einseitig ausgetragen.

Somalia stellt sich heute wieder einmal als ein von ausländischen Militärs besetztes Land dar. Am 16. Oktober 2011 marschierten zwei Bataillone der kenianischen Armee (Kenya Defence Forces - KDF) in Südsomalia ein, um die Organisation Al Shabaab zu bekämpfen, und haben sich seitdem in dem Land festgesetzt. Auch Soldaten aus Uganda, Burundi und Dschibuti sind im Rahmen der AU-Mission AMISOM (African Union Mission in Somalia) in dem Land stationiert und unterstützen die Regierung.

Der Kampf der somalischen Milizen gegen "den Westen" und seine Verbündeten auch aus den eigenen Reihen geht zurück auf die Mitte des letzten Jahrzehnts, als der US-Geheimdienst CIA eine Gruppe von Warlords mit Geld und Waffen versorgte, damit sie die zu dem Zeitpunkt im Erstarken begriffene Union Islamischer Gerichte (UIG) bekämpft. Die Warlords wurden jedoch binnen weniger Monate vertrieben, und bis Juni 2006 hatten die UIG-Kämpfer weite Teile Somalias, mit Ausnahme vor allem der abtrünnigen nördlichen Provinzen Somaliland und Puntland, erobert. Am zweiten Weihnachtstag 2006 marschierte die äthiopische Armee, unterstützt unter anderem von den USA und Großbritannien, ein und brachte eine im kenianischen Exil zusammengestellte Übergangsregierung an die Macht.

Äthiopien ist der Erzfeind Somalias. Beide Länder haben 1977/78 Krieg um die Ogaden-Region geführt, den Somalia verlor. Daß nun ausgerechnet äthiopische Soldaten einmarschierten, brachte viele Somalier auf und trug zu ihrer Radikalisierung bei. Wie Graeme Anfinson aus dem US-Bundesstaat Minnesota im Politmagazin CounterPunch [2] schreibt, war das für alle Somalier in der Diaspora in Minnesota der entscheidende Punkt. Viele hätten die UIG mit Skepsis betrachtet, doch nahezu jeder habe den Krieg abgelehnt und sich statt dessen für Verhandlungen ausgesprochen. "Die Invasion Äthiopiens war ausschlaggebend für die Gründung Al Shabaabs. Sie war, und ist es noch immer, das perfekte Rekrutierungsmittel", so Anfinson. Mehr als 20 Einwohner Minnesotas seien nach Somalia zurückgegangen, um dort zu kämpfen.

Wenn kein Krieg vom Zaun gebrochen und statt dessen Verhandlungen zwischen der UIG und der Übergangsregierung angestrebt worden wären, hätte durchaus die Chance auf Einigung bestanden. Die Invasion führte jedoch zu einer Spaltung der Union in moderate Kräfte, die zur Zusammenarbeit mit der Übergangsregierung bereit waren, und eine radikale Fraktion, die den Kampf im Untergrund fortsetzte, nachdem sich die UIG aus Mogadischu zurückgezogen hatte. Im Selbstverständnis der radikalen Al Shabaab, die sich von der Union lossagte, führt sie einen Befreiungskampf.

So bitter die Verluste an Menschenleben durch das Westgate-Massaker auch sind und so verhärtet die Fronten, wem ernsthaft daran liegt, daß sich so etwas nicht andernorts wiederholt, kommt nicht umhin, sich mit den historischen, politischen und ideologischen Hintergründen des Ereignisses zu befassen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Konsequenzen, die auch vor der Motivationslage der eigenen Regierung, Soldaten in den Nachbarstaat zu entsenden und eine Art Besatzungsregime aufzubauen, nicht haltmachen sollten.

Die Geschichte Somalias hat gezeigt, daß mit Waffengewalt kein Frieden gesichert werden kann. An diesem Irrtum ist schon die US-Armee, die 1993/94 einen UN-Hilfseinsatz zur Behebung der Hungerkrise in Somalia genutzt hat, um dort ihre eigenen Interessen zu verfolgen, auf ganzer Linie gescheitert.

Zu solchen Schlußfolgerungen dürfte die Untersuchungskommission, die von der kenianischen Regierung eingerichtet wurde, nicht kommen, wenn sie nun aufzurollen versucht, warum die Westgate Mall so dürftig gesichert war, obwohl Al Shabaab seine Tat unverhohlen angekündigt hatte, und der Geheimdienst NSIS (National Security Intelligence Service) vor einem "Terrorangriff" zwischen dem 13. und 20. September gewarnt hatte; oder warum es tagelang dauerte, bis die Angreifer überwältigt wurden, und warum laut der Zeitung "The Star" ein Geheimdienstmitarbeiter seine schwangere Schwester vor dem Besuch des Einkaufszentrums an jenem Samstag gewarnt hatte, da sie mit ihrem Baby nicht so schnell laufen könne. [3]

Es wäre im Interesse der somalischen wie auch kenianischen Bevölkerung sicherlich wünschenswert - aber eine Idealvorstellung, die wohl nie erfüllt wird -, wenn sich sämtliche verdeckt und offen operierenden Kräfte aus dem Ausland, die entweder auf Seiten Al Shabaabs oder der heutigen somalischen Regierung anzutreffen sind, zurückzögen und ihr Engagement einstellten. Damit wäre der Konflikt noch immer nicht beendet, denn die somalischen Clans sind untereinander vollkommen zerstritten. Doch es würden überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen, um den vielschichtigen Konflikt in Ostafrika beenden zu können.


Fußnoten:

[1] http://allafrica.com/stories/201310070671.html

[2] http://www.counterpunch.org/2013/09/27/the-blowback-that-created-al-shabaab/

[3] http://allafrica.com/stories/201310070652.html?viewall=1

7. Oktober 2013