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AFRIKA/2132: Ruandas Retourkutsche (SB)


Liste mit 22 mutmaßlich am Ruanda-Genozid beteiligten französischen Offizieren veröffentlicht


Die ruandische Regierung hat unmittelbar auf die Wiederaufnahme von Ermittlungen in Frankreich zu dem oder den Verantwortlichen des Abschusses eines Flugzeugs am 6. April 1994 beim Landeanflug auf Kigali reagiert und eine Liste mit 22 hochrangigen französischen Offizieren veröffentlicht, die der Planung und Durchführung eines Genozids bezichtigt werden. [1]

An Bord jener von einer Boden-Luft-Rakete getroffenen Falcon-50 befanden sich abgesehen von der französischen Besatzung die Präsidenten Ruandas und Burundis, Juvenal Habyarimana und Cyprien Ntaryamira, sowie deren Begleitungen. Die harsche Reaktion der Regierung Ruandas allein auf die Ankündigung der Ermittlungsaufnahme - nicht die erste in diesem Kontext - war insofern zu erwarten, als ausgerechnet Paul Kagame, der heutige Präsident Ruandas und Anführer der in Uganda gegründeten Invasionsarmee RPF (Ruandische Patriotische Front) von 1994, im Fadenkreuz der Ermittlungen stehen könnte. [2]

Kagame dürfte sich genötigt sehen, in die Offensive zu gehen und seinerseits Frankreich anzugreifen, da ihm in den letzten 22 Jahren vieles gelungen ist, nicht jedoch, sämtliche Zeugen, die ihn belasten könnten, zum Schweigen zu bringen sowie echte und potentielle Konkurrenten um sein Amt außer Kraft zu setzen. Letzteres ist insofern für ihn wichtig, als ihm das Präsidentenamt eine gewisse Immunität vor Strafverfolgung verleiht und ihn in den letzten zehn, 15 Jahren geschützt hat. Die Anklage des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen den amtierenden Präsidenten Sudans, Omar al-Baschir, zeigt zwar, daß auch das höchste Staatsamt nicht vor einer Verfolgung durch die Weltgerichtsbarkeit bewahrt, aber noch ist al-Bashirs Anklage eine Ausnahme. Und entscheidend ist sowieso, daß Kagame bislang den Schutz des Westens, insbesondere der USA und Großbritanniens, genießt, da er in Ruanda für Stabilität und Ordnung sorgt. Das macht er mit "harter Hand" - eine Chiffre dafür, daß in dem Land nicht wenige Oppositionelle unter dem sehr dehnbaren und von den Machthabern nach eigenen Vorstellungen knetbaren Begriff der Genozidleugnung und Anstachelung zu Rassenhaß für lange Zeit hinter Gefängnismauern gesteckt wurden.

Selbstverständlich weiß Kagame genau, daß sich Frankreichs mutmaßliche Beteiligung an jenem genozidalen Abschlachten von rund 800.000 Tutsi und moderaten Hutu binnen 100 Tagen rechtlich nicht gegen die Verantwortung für den Flugzeugabschuß aufrechnen läßt. Selbst wenn gerichtsrelevant bewiesen werden könnte, was Ruandas National Commission for the Fight Against Genocide (CNLG) mit der Veröffentlichung der Liste der französischen Offiziere nahelegt, nämlich daß Frankreich Blut an den Händen hat, wäre das umgekehrt natürlich kein Beweis für Kagames Unschuld. Hier werden also seitens Ruandas Nebelkerzen gezündet, gleichzeitig unterbreitet es auf dem politischen Parkett ein unausgesprochenes Verhandlungsangebot: Wenn Frankreich die Ermittlungen einstellt, wird man auch die Offiziere nicht anklagen.

Es geht hier um Diplomatie, und die Klingen, die dabei zwischen Frankreich und Ruanda gekreuzt werden, sind recht grob - zumindest gilt das für jene Hieb- und Schneidewerkzeuge, über die öffentlich in den Medien berichtet wird. Die diplomatische Auseinandersetzung ist nicht rückwärtsgewandt, sondern richtet sich nach vorn und berührt Fragen wie die, welche Interessen auf geopolitischer, überregionaler und nationaler Ebene die gesellschaftliche Macht anstreben, innehaben und andere davon abhalten, sie zu erringen. Das muß nicht, kann aber mitunter entlang ethnischer Unterschiede festgemacht werden; wobei gerade die Kagame-Regierung sehr viel Wert auf die Feststellung legt, daß Ethnien in einem geeinten Ruanda keine Rolle spielen dürfen. Ethnienübergreifende Seilschaften zu bilden dürfte aus Gründen der Herrschaftssicherung, und darum geht es hauptsächlich, klüger sein, als die ethnische Karte zu ziehen.

Frankreichs Afrikapolitik ist in den letzten zehn, zwanzig Jahren von Rückzugsgefechten und Anstrengungen, wieder an alte kolonialzeitliche Fäden anzuknüpfen, geprägt. Das läßt sich beispielhaft an Ruanda aufzeigen. Bis 1994 gehörte das Land fest zur Frankophonie. Seit der Machtübernahme des zwar in Ruanda geborenen, aber im ugandischen Exil aufgewachsenen Kagame, der schließlich Chef des Militärgeheimdienstes der ugandische Armee wurde und dort mit seiner RPF eine eigene Miliz geschaffen hatte, vollzieht Ruanda einen allmählichen politischen und kulturellen Schwenk weg von Frankreich hin zur angloamerikanischen Sphäre.

Frankreich hatte vor einigen Jahren schon einmal Ermittlungen zur Aufklärung jenes Flugzeugattentats aufgenommen, sie aber dann wieder fallengelassen. In dieser Variante des diplomatischen Ringens begannen sich die Beziehungen der beiden Staaten zueinander aufzuwärmen. Nach den vor kurzem eingeleiteten Ermittlungen ist abermals Eiszeit angesagt. Sollte im nächsten Jahr "L'Américain" (der Amerikaner) Nicolas Sarkozy zum neuen Präsidenten Frankreichs gewählt werden, dürfte wieder Entspannung angesagt sein. Sarkozy hatte 2010 Ruanda besucht und ein Jahr darauf Kagame im Élysée-Palast empfangen.

Obgleich am 6. April 1994 zwei Staatsoberhäupter auf einen Streich beseitigt wurden, hat noch nie seitens der entscheidenden Kräfte in den USA, Frankreich, Ruanda und bei den Vereinten Nationen ein Interesse an der Aufklärung der Hintergründe dieses spektakulären Auftakts zum Ruanda-Genozid bestanden, wohl aber nachträglich an der zynischen Verwertung der Massaker, die einen Vorwand für den sogenannten humanitären Interventionismus liefern, um unbequeme Staatsführer wie beispielsweise den libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi zu beseitigen.


Fußnoten:

[1] http://allafrica.com/stories/201610311213.html

[2] http://schattenblick.de/infopool/politik/redakt/afka2129.html

31. Oktober 2016


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