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AFRIKA/2138: Wahlen in Somalia unter dem Einfluß fremdnütziger Interessen (SB)


Menschen, die noch nie in einem Staat gelebt haben, sollen nun Parlament und Präsident wählen


Allein in den wenigen Tagen des neuen Jahres wurden in der somalischen Hauptstadt Mogadischu zwei schwere Sprengstoffanschläge verübt. Am Montag kamen mindestens drei Sicherheitskräfte bei der Explosion eines Autos nahe des Internationalen Flughafens ums Leben. Am heutigen Mittwoch explodierte ein mit Sprengstoff beladenes, vermeintliches UN-Fahrzeug außerhalb des Geländes des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, UNDP. Zwei Meldungen, über die im Unterschied zum ticker-gehetzten Nachrichtenstrom zum Anschlag am Neujahrstag in Istanbul nur am Rande berichtet wurde. Was in Somalia geschieht, bleibt häufig unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle der hiesigen Medien. Somalia gilt als "gescheiterter Staat" - das ist unausgesprochen eine Kategorie unterhalb der herkömmlicher Nationen und zieht nur ein geringfügiges Interesse auf sich.

Die Mehrheit der Menschen im heutigen Somalia hat noch niemals in einem Staat gelebt. 62,9 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 24 Jahre - doch seit mehr als einem Vierteljahrhundert tobt in dem Land am Horn von Afrika Bürgerkrieg. Noch in diesem Monat sollen Wahlen abgehalten und die Voraussetzungen geschaffen werden, um Somalia zu einem demokratischen Staat zu machen. Die Vorteile eines solchen Staates drängen sich den meist jungen Menschen keineswegs automatisch auf, zumal sie in anderen Staaten der Region Vorbilder haben, die alles andere als zu überzeugen vermögen.

In den wenigen Jahren, in denen in Somalia formal eine Zentralregierung bestand, hat diese meist nicht einmal die Hauptstadt Mogadischu kontrolliert, geschweige denn weiter entfernt liegende Landesteile. Die Provinzen Puntland und Somaliland haben sich schon längst für unabhängig erklärt, und ausländische Streitkräfte der 22.000 Mann starken UN-Mission AMISOM stützen die Regierung. Ansonsten würden fundamental-islamische Milizen wie die Organisation al-Schabaab rasch die Kontrolle wiedererlangen und versuchen, ihre Interpretation des islamischen Rechts, der Scharia, allgemein durchzusetzen. Äthiopien hatte lange Zeit größere Kontingente an Streitkräften in Somalia stationiert, zieht diese aber ab, weil sie wegen der wachsenden Unmut aufgrund der Repressionen an der Heimatfront eingesetzt werden sollen.

Die Wahlen für das somalische Parlament und Präsidentenamt wurden schon mehrmals verschoben, zuletzt wegen Korruptionsvorwürfen. 14.000 Wahlmänner und -frauen, die von 135 Clan-Ältesten ernannt worden waren, sollen demnächst die Grundlage für den Staat legen. Ein Drittel des künftigen Parlaments soll von Frauen besetzt werden - ein Novum in der Geschichte des Landes. Als aussichtsreichste Kandidaten für das Präsidentenamt gelten der jetzige Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud und der amtierende Ministerpräsident Omar Abdirashid Ali Sharmake.

In Somalia herrscht eine Gemengelage an einander ausschließenden Interessen vor, die kaum zu entwirren ist und die Aussichten auf ein Ende sowohl der Anschläge als auch Repressionen seitens der Regierungstruppen und ihrer Verbündeten extrem mindert. Verschiedene Clane sind bis aufs Messer miteinander verfeindet, und zu allem Überdruß hat sich in Somalia noch der vom Ausland unterstützte fundamentalistische Islam breitgemacht.

Der nördliche Nachbar Äthiopien übt seit Jahrzehnten Einfluß aus, zeitweilig direkt durch militärische Interventionen. Das wiederum hat Äthiopiens Kriegsgegner von 1998, Eritrea, auf den Plan gerufen. Ihm wird nachgesagt, die Gegner Äthiopiens in Somalia mit Waffen auszurüsten. Im Süden Somalias versucht das angrenzende Kenia sich als Ordnungsmacht ins Spiel zu bringen, hat dadurch aber die Aufmerksamkeit al-Shabaabs auf sich gezogen und mußte in den letzten Jahren einige äußerst schwere Anschläge hinnehmen. Die Islamisten haben auch in Uganda, das die meisten Soldaten für AMISOM abgestellt hat, schwere Anschläge verübt.

Vor der langen Küste Somalias haben sich Kriegsschiffe zahlreicher Nationen zur vermeintlichen Jagd auf Piraten und Sicherung von Hilfskonvois eingefunden. Mindestens zeitweilig waren oder sind neben den USA und der EU auch Norwegen, China, Japan, Indien, Rußland, Pakistan, Südkorea, Türkei, Australien und weitere Staaten mit Kriegsschiffen vor Ort. Die zu sichernde Küste ist zwar lang, aber dieser gewaltige Aufmarsch erweckt schon den Eindruck, hier werde eine dauerhafte Übung in militärischer Weltordnungspolitik abgehalten. Dabei will offenbar niemand fehlen, damit er nicht Gefahr läuft, seine privilegierte Position am aufzuteilenden Fleischtopf zu verlieren. Am Horn von Afrika wird als Dauermanöverlage Weltinnenpolitik betrieben.

Vor dem Hintergrund regelmäßig auftretender Dürren und anderer Naturkatastrophen, die einen großen Druck auf den Zusammenhalt der Bevölkerung ausüben, steht diese nun vor der Aufgabe, nicht nur die eigenen inneren Widersprüche zu überwinden, sondern auch die vom Ausland eingebrachten offenen und verdeckten Interessen zurückzuweisen. Andernfalls drohen die kommenden Wahlen zu einer Fortsetzung der bisher dominierenden Stellvertreterkriege für fremdnützige Interessen zu geraten. Wieder einmal.

4. Januar 2017


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