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AFRIKA/2140: "Deutschland zuerst" ... am Beispiel Mali (SB)


Destabilisierung und Stabilisierung Malis - zwei Seiten einer Münze


Zur gleichen Zeit, wie die Bundesregierung Flüchtlinge in das vermeintlich sichere Herkunftsland Mali abschiebt, beschließt das Kabinett eine Mandatserweiterung der Bundeswehr für den westafrikanischen Binnenstaat ... der neue US-Präsident Donald Trump hat die Willkür politischer Entscheidungsträger keineswegs erfunden. Und wenn er bei seiner Antrittsrede wiederholt "America First!" ausruft, spiegelt das die Variante eines Politikstils wider, der auch im angeblich moderaten Europa von jeher praktiziert wird.

Vor kurzem haben Milizen einen Selbstmordanschlag auf ein Militärlager in Gao, einer Stadt im Norden Malis, verübt und mehr als 60 Soldaten und ehemalige Rebellen in den Tod gerissen. Weit über 100 Personen wurden verletzt. Als verantwortlich bezeichnete sich die Organisation Al Mourabitoune, ein Ableger von Al Qaida in Nordafrika. Die malische Regierung hat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet, deren Hauptzweck wohl darin bestand, es nicht zum Ausbruch von Unruhen aufgrund dieses Staatsversagens kommen zu lassen.

Der Anschlag sollte offenbar unterstreichen, daß diejenigen, die auf einen Versöhnungskurs eingeschwenkt sind, dafür abgestraft werden, und daß es keinen Flecken im Land gibt, in dem sie sicher sein können. Es ist bezeichnend, daß der Leiter der UN-Friedensmission in Mali, Herve Ladsous, als Reaktion auf den Anschlag an alle Seiten appellierte, den Friedensvertrag von Mali zu achten. Sollte sich die Lage weiter verschlechtern, werde es so bald keinen Frieden in Mali geben. [1]

Die Lebensverhältnisse in weiten Teilen Malis sind offensichtlich im höchsten Maße unsicher. Das wird auch von der allgemeinen Einschätzung, daß der Mali-Einsatz der Vereinten Nationen, MINUSMA (Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali), der derzeit gefährlichste der Weltgemeinschaft ist, bestätigt. Allein im vergangenen Jahr sind dort Dutzende Armeeangehörige und UN-Soldaten gewaltsam ums Leben gekommen.

Die Bundeswehr ist in der nordmalischen Stadt Kidal stationiert und soll die Waffenruhe überwachen. Wenn das Land sicher wäre, bräuchte sie das nicht. Das heißt, die Abschiebungen sollen durchgezogen werden, koste es an Menschenleben, was es wolle - solange es das Leben der "anderen" ist, lautet offenkundig die Einstellung hiesiger Behörden. Sollten sich aber Mali, Niger und andere Staaten Afrikas "erdreisten", abgeschobene Flüchtlinge nicht aufzunehmen, droht ihnen die Europäische Union mit Streichung der Entwicklungshilfe.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet, daß bewaffnete islamistische Gruppen in Nord- und Zentralmali "zahllose" Menschen umgebracht haben und im wachsenden Ausmaß das Leben von Dorfbewohnern einschränken. Darüber hinaus trieben auch eine Reihe von Banden ihr Unwesen. Die Regierung sei faktisch nicht in der Lage, die Bevölkerung zu schützen. [2]

Das ist die Bundeswehr ebenfalls nicht. Darum geht es bei der Mission auch gar nicht, sondern es geht um "Stabilisierung". Die speist sich aus dem gleichen Anliegen wie "Destabilisierung". So wurde vor rund sechs Jahren in Mali ein niederschwelliger Konflikt zwischen Regierung und Tuarek durch die gezielte Destabilisierung Libyens angefacht und verschärft. Denn jene Tuarek, die für den libyschen Revolutionsführer Muamar Gaddafi gearbeitet hatten, mußten nach den Luftangriffen der Europäer und Amerikaner auf die Truppen Gaddafis außer Landes fliehen. Dabei haben sie große Mengen an teils schweren Waffen mitgenommen und in Mali den Kampf gegen die Regierung aufgenommen. Dabei wurden sie aber schnell von Islamisten überrannt. Die haben einen Teil der Waffen erbeutet, die nun gegen die Franzosen, Deutschen und andere in- und ausländischen Truppen eingesetzt werden, die ihrerseits versuchen, die Islamisten zu vertreiben.

Ob Stabilisierung oder Destabilisierung, das Ergebnis der Bemühungen unterscheidet sich weniger, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Es geht in beiden Fällen um den Zuwachs und die Sicherung von Herrschaft: Ein destabilisiertes Mali ruft beim UN-Sicherheitsrat um Hilfe oder wird dazu angehalten, um Hilfe zu rufen. Die Bedingungen dafür werden dem Land von den mutmaßlichen Helfern diktiert. In der Phase der Stabilisierung muß Mali ebenfalls das tun, was ihm gesagt wird, und sollte das Land eines Tages "stabilisiert" sein, muß es entweder den Schuldendienst abtragen (unter anderem für die erhaltene Hilfe) oder ist den "Helfern" auf andere Weise so verpflichtet, daß es die Nachteile von Handelsabkommen wie den EPAs (Wirtschaftspartnerschaftsabkommen) in Kauf nimmt. Dadurch gerät es wirtschaftlich in Not und droht aufgrund erneuter innerer Konflikte destabilisiert zu werden.

Sollte es aber einem Land gelingen, sich aus der Abhängigkeit wirtschaftlich und militärisch überlegener Kräfte zu befreien und dabei der eigenen Bevölkerung ein vergleichsweise angenehmes Leben zu verschaffen, würde es wieder destabilisiert. Zum Beispiel Libyen. Gaddafi wurde nicht gestürzt, weil er die Menschen unterdrückt hat - dieser Anteil an seiner Politik ließ sogar Brücken zum Westen entstehen -, sondern weil er Libyen zu einem Land gemacht hat, das zu sehr den Charakter eines Gegenentwurfs zur neoliberalen Wirtschaftspolitik darstellte. Verglichen mit vielen Ländern Afrikas verfügten die Libyer über einen der höchsten Lebensstandards, und das auf einem breiten gesellschaftlichen Niveau.

Wenn Frankreich eine Friedensmission für Mali initiiert oder Deutschland die Bundeswehr von der Leine läßt, um "mehr Verantwortung" in der Welt zu übernehmen, dann findet sich darin das gleiche wieder, was Donald Trump beansprucht, wenn er "America first!" ausruft: Deutschland zuerst! Vive la France! Das macht den US-Präsidenten bzw. seine Politik nicht weniger gefährlich, aber es zeigt, daß die Gefährlichkeit solcher Interessen sich nicht auf die USA beschränkt.

Die Bundeswehr ist eine Armee zur Landesverteidigung, hat aber über 3000 Soldaten im Ausland stationiert. Deutschland betreibt auch auf dem afrikanischen Kontinent eine Politik des "wir zuerst". Entwicklungshilfe und andere dabei eingesetzte Mittel changieren dann wahlweise zwischen Stabilisierung und Destabilisierung, je nachdem, was angesagt ist.


Fußnoten:

[1] http://allafrica.com/stories/201701190454.html

[2] http://allafrica.com/stories/201701180427.html

23. Januar 2016


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