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AFRIKA/2165: Mangel und Willkür - an der Grenze der Züchtung ... (SB)


Mit dreizehn Millionen Hungernden sind in der Demokratischen Republik Kongo in diesem Jahr doppelt so viele Menschen auf sogenannte humanitäre Hilfe angewiesen wie 2017. Die Regierung, die Investoren ins Land locken und diese nicht mit Negativmeldungen abschrecken will, behauptet, daß die Vereinten Nationen die Lage viel zu schlecht darstellen. Wohingegen die UN-Hilfsorganisationen davon sprechen, daß die internationale Gemeinschaft es versäumt hat, ausreichend Hilfe zu leisten. Ihnen zufolge besteht in der DR Kongo zusätzlich zu der gravierenden Hungerkrise das riesige Problem der Mangelernährung. Ganze Generationen von Kindern wachsen unterernährt auf und bleiben zeit ihres Lebens in der Entwicklung beeinträchtigt. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt: Sofern sie nicht vorzeitig sterben, werden die Kinder wie geschaffen zu anspruchslosen Arbeitskräften im Bergbau, die unter elendsten Bedingungen Rohstoffe wie Coltan, Gold, Wolfram, Kupfer, etc. abbauen. Anders gesagt: Offensichtlich schert sich niemand um die Zukunft von Millionen kongolesischen Kindern.



Blick senkrecht in ein ca. acht Meter tiefes Loch mit vier Arbeitern; drei blicken nach oben, der vierte schaufelt Gestein - Foto: Julien Harneis, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Abbau per Hand von Wolfram und Zinn bei der kongolesischen Stadt Kailo im Jahr 2007
Foto: Julien Harneis, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

"Chronische Unterernährung sieht man nicht. Sie ist still und unsichtbar. Das ist das Problem", sagt Alexis Bonte, Landesvertreter der U.N. Food and Agriculture Organization (FAO) in der DR Kongo, in einem Telefongespräch aus der kongolesischen Provinz Kasai mit Reuters [1]. Zwischen 60 und 70 Prozent der Menschen in Konfliktgebieten gelten als chronisch unterernährt. Für die Kinder bedeutet das, daß sie sowohl körperlich als auch kognitiv nicht so entwickelt werden, als wenn sie immer ausreichend gehaltvolle Nahrung erhalten hätten.

Seit über zwanzig Jahren werden in der DR Kongo bewaffnete Konflikte ausgetragen. Mal überziehen sie nahezu das ganze Land, mal treten sie in einzelnen Provinzen, mal in lokalen Stammesgebieten auf. Abgesehen von den innerkongolesischen Auseinandersetzungen mischen auch Nachbarstaaten und weiter entfernt liegende staatliche Akteure kräftig mit. Entweder entsenden sie eigenen Truppen oder bedienen sich lokaler Milizen, um ihre Raubinteressen gegenüber Konkurrenten durchzusetzen. Von den Kämpfen besonders betroffen sind die teilweise überaus rohstoffreichen kongolesischen Provinzen Nord- und Südkivu, Ituri und nicht zuletzt Kasai. Dort waren im vergangenen Jahr neue Kämpfe ausgebrochen, die Millionen Menschen zur Flucht trieben. Zwar hat sich die Lage in diesem Jahr etwas beruhigt, aber entweder liegen die zu bewirtschaftenden Felder weiterhin brach oder aber sie werden erst in ein, zwei Jahren nennenswerte Ernten einbringen.

Eine wesentliche (wenngleich nicht die einzige) Aufgabe der Vereinten Nationen besteht anscheinend darin, zu beobachten, Übergriffe zu registrieren und der Weltgemeinschaft über die Lage vor Ort Bericht zu erstatten. Humanitäre Hilfe wird gerade mal so viel geleistet, daß sie eine Feigenblattfunktion erfüllt und man nicht sagen kann, daß rein gar nichts für die Menschen vor Ort getan werde. Doch wenn man sich beispielsweise die Nahrungsmittelmengen anschaut, die erforderlich wären, um alle Bedürftigen gut zu versorgen, merkt man, daß die Hilfe hinten und vorne nicht reicht. Das räumen die beteiligten UN-Institutionen auch unumwunden ein. Allerdings betreiben sie jahrein, jahraus das gleiche Geschäft und sind mehr damit befaßt, den Mangel zu verwalten, als ihn zu beheben. Regelmäßig müssen Rationen gekürzt werden, was zu einer weiteren Schwächung der Bedürftigen führt.

Eigenen Angaben zufolge versorgen die UN-Hilfsorganisationen sowieso nur jene zehn bis 15 Prozent der Menschen, die absolut dringend Nahrungsmittel benötigen, da sie ansonsten sterben würden. Doch die vielen Millionen, die langfristig einen Mangel an Nährstoffen erleiden, werden so gut wie gar nicht erreicht. Um sie zu versorgen, fehlen die finanziellen Mittel und die Kapazitäten, berichtete Bonte gegenüber Reuters.

Auch die private britische Hilfsorganisation Oxfam verfügt nicht über genügend Mittel. 2017 mußte sie die Rationen für 90.000 Menschen halbieren; in diesem Jahr werden die Kürzungen vermutlich noch drastischer ausfallen. Wobei hier anzumerken ist, daß auch Oxfam von vornherein nur einen Bruchteil der Menschen, die sich in dem riesigen Land in Not befinden, zu erreichen vermag.

Im vergangenen Jahr waren 7,7 Millionen Menschen in der DR Kongo auf humanitäre Hilfe angewiesen - eine Steigerung um 30 Prozent gegenüber dem Jahr davor [2]. Sind diese 7,7 Millionen in den 13 Millionen Hilfsbedürftigen enthalten, von denen die Vereinten Nationen in diesem Jahr sprechen? Oder muß man nicht annehmen, daß möglicherweise ein erheblicher Teil von ihnen in der Zwischenzeit verstorben ist? Diese Frage stellt sich, denn wenn die Vereinten Nationen, wie sie sagen, nur einige der Hungernden versorgen, wie lange kann dann der große Rest ohne Nahrung auskommen?

Die internationale Staatengemeinschaft ignoriert weitgehend die Notlage in der DR Kongo. Man kann sogar den Eindruck gewinnen, daß die Mangelernährung von zig Millionen Menschen bereitwillig in Kauf genommen wird; jedenfalls kommt es den eigenen Verfügungsinteressen entgegen. Während auf Emanzipation und Eigenständigkeit bedachte, einflußreiche Politiker wie der erste Premierminister des vom kolonialen Joch befreiten Kongo, Patrice Lumumba, und der libysche Revolutionsführer Muammar Gaddafi beseitigt werden - der eine 1961 mit Hilfe der CIA und des belgischen Geheimdienstes, der andere 2011 nach Luftangriffen auf Libyen eines vom Westen geführten Bündnisses -, werden auf der anderen Seite mit den Mitteln der Mangelverwaltung generationenübergreifend willfährige Arbeitskräfte geschaffen. Vom Standpunkt der wirtschaftlich stärkeren Staaten wie beispielsweise den ehemaligen Kolonialmächten wird die DR Kongo nicht als ein Land mit Entwicklungspotential angesehen, sondern als bloßer Ressourcenstaat, den es auszuquetschen gilt, bevor es andere tun.


Luftbildaufnahme der Mine, in der Hunderte Menschen um Dutzende Erdlöcher herumstehen, von denen einige mit Planen abgedeckt sind - Foto: MONUSCO/Sylvain Liechti, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Coltanmine Luwowo nahe Rubaya in Nordkivu, 18. März 2014. Angeblich werden hier "garantiert konfliktfreie" Mineralien abgebaut.
So etwas kann man nur behaupten, wenn man den Grundkonflikt ignoriert, daß Menschen aus Überlebensnot derart ruinöse Arbeiten in den Gruben verrichten müssen, nur um ein geringes Einkommen zu erwirtschaften.
Foto: MONUSCO/Sylvain Liechti, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]


Fußnoten:


[1] http://news.trust.org/item/20180412144758-inlwu/

[2] https://news.un.org/en/story/2017/08/563242-amid-soaring-food-insecurity-dr-congo-un-agencies-call-food-aid-supplies


23. April 2018


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