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AFRIKA/2176: USA - Offensive, Kontrolle und Vorherrschaft ... (SB)




Rund ein halbes Dutzend Soldaten zieht eine große Zeltplane vom Gestänge eines etwa 2,50 m hohen und 8 m langen Tunnelzelts - Foto: U.S. Air Force

Verlegung der Zelte vom Manöver "Flintlock" an ihren neuen Standort auf der Basis AB-102 in Agadez, Niger
Foto: U.S. Air Force

Inmitten der Wüste von Niger, außerhalb der Saharastadt Agadez, errichtet die US-Luftwaffe zur Zeit einen Militärstützpunkt mit Landebahn und riesigen Hangars für Kampfdrohnen. Nach mehreren Jahren der Verzögerung soll der Stützpunkt 2019 seinen vollen Betrieb aufnehmen. Kritiker befürchten, daß die Präsenz der ausländischen Militärs die Sicherheitslage in Niger nicht verbessert, sondern im Gegenteil verschlechtert.

Mindestens 280 Millionen Dollar läßt sich die US-Luftwaffe den Aufbau der Drohnenbasis und deren zunächst bis 2024 genehmigten Betrieb kosten, berichtete "The Intercept" [1]. Die Base Aerienne 201 (Airbase 201, bzw. AB 201) genannte Militärbasis wird sprichwörtlich aus dem Nichts aufgebaut. Damit handelt es sich um das größte derartige Unterfangen in der Geschichte der US-Luftwaffe, erklärte Richard Komurek, Sprecher U.S. Air Forces in Europe & Air Forces Africa.

Diese Behauptung bedarf allerdings der Erläuterung. Es handelt sich bei weitem nicht um die größte US-Luftwaffenbasis, sondern lediglich um das größte Projekt, bei dem die US-Luftwaffe eine Basis auf Niemandsland errichtet und beispielsweise nicht auf bereits bestehende oder von anderen US-Streitkräftegattungen errichtete Anlagen zurückgreift oder sich diesen anschließt. Die Basis in Niger wird die zweitgrößte der USA in Afrika, unangefochten an der Spitze bleibt nach wie vor die permanente Basis Camp Lemmonier in Dschibuti in Ostafrika, auf der ca. 4.000 Soldaten stationiert sind.

Ab 2019 sollen in Niger drei Kampfdrohnen des Typs MQ-9 Reaper stationiert werden (Reaper heißt auf Deutsch "Sensenmann"). Das ist das am weitreichendst bewaffnete RPA (remotely piloted aircraft - z. Dt.: ferngesteuertes Fluggerät) im Arsenal der USA. Die Rollbahn ist so ausgelegt, daß dort auch Transportflugzeuge vom Typ C-17 Globemaster landen und starten können. Was bedeutet das für die Region? Wird das Leben in Niger sicherer, wenn die USA ihre Kampfdrohnen aussenden und diese irgendwelche Menschen in ihren Fahrzeugen oder Häusern aus heiterem Himmel liquidieren? Werden es die Einheimischen als Akt der Befreiung ansehen, wenn mitten in der Nacht ein Nachbarhaus explodiert und die USA anschließend behaupten, sie hätten Islamisten beseitigt - so wie in Somalia häufiger geschehen? Dort erfährt die islamistische Gruppierung Al-Shabaab jedenfalls durch solche Drohnenattacken eher Zulauf, da sie den Haß auf die USA und den Westen im allgemeinen schüren. Seit 2003 haben die USA 92 Drohnenangriffe auf somalisches Territorium geflogen und dabei zwischen 686 und 774 Menschen liquidiert, teilt Al Jazeera mit [2]. Die Angaben der investigativen Journalisten von "The Intercept" gehen noch weit darüber hinaus. Demnach haben die USA seit 2016 im Osten Afrikas Hunderte Drohnenangriffe gegen mutmaßliche Milizen der islamistischen Organisationen Al-Qaida und Islamischer Staat durchgeführt.


Frontansicht der Drohne - Foto: U.S. Air Force

Der Sensenmann als Friedensengel: Die Drohne "Block 5 MQ-9 Reaper" wird waffentechnologisch aufgerüstet mit AGM-114 Hellfire-Raketen, einer lasergeführte Bombe GBU-12 Paveway II und GBU-38 Joint Direct Attack Munition.
Foto: U.S. Air Force

Die USA haben gewissermaßen dem Rest der Welt den Krieg erklärt (wer nicht für uns ist, ist gegen uns ...), nachdem am 11. September 2001 eine Gruppe junger Männer mit dschihadistischem Furor und vorwiegend aus dem Land des damaligen und heutigen US-Verbündeten Saudi-Arabien stammend nahezu zeitgleich mehrere Flugzeuganschläge in den USA verübt haben.

Der Beamte Amadou Roufai aus Niger befürchtet laut "Defense News", daß sein Land in die gleiche Lage gebracht wird wie Afghanistan, "in dem amerikanische Soldaten, die nicht immer den Unterschied zwischen einer Hochzeitsgesellschaft und dem Training von Terroristen erkennen, viele Fehler begangen haben". Und Nouhou Mahamadou, eine bürgerliche Respektsperson, sieht in der "Präsenz ausländischer Basen im allgemeinen und der amerikanischen im besonderen eine schwerwiegende Preisgabe unserer Souveränität und einen Angriff auf die Moral des nigrischen Militärs". [3]

Die nigrische Oppositionsführerin Mariama Bayard kritisiert laut der britischen Zeitung "The Guardian" die Entscheidung des nigrischen Präsidenten Mahamadou Issoufou, nicht nur die amerikanischen, sondern überhaupt ausländische Militärs ins Land geholt zu haben. Rechtlich hätte das Parlament zuvor gefragt werden müssen, ob es damit einverstanden ist. Die Amerikaner schüfen die Bedingungen, daß der Sahel explodiert. "Sie behaupten, daß die Basen hier zu unserer Sicherheit sind, aber das Gegenteil ist wahr." [4]

Rund 800 Soldaten haben die USA in Niger stationiert, Frankreich allein 500 in der Hauptstadt Niamey sowie weitere Einsatzkräfte in den Basen Madama und Aguelal. Die Bundesrepublik Deutschland hat zur Unterstützung der UN-Friedensmission in Mali etwa 50 Soldaten ebenfalls nach Niamey entsandt. Auch kanadische und italienische Soldaten tummeln sich in Niger. Das Land ist regelrecht zum Sammelpunkt und Drehkreuz selbsternannter Terrorbekämpfer geworden, wobei sich diese Aktivitäten mit denen zur Verhinderung, daß Menschen durch die Sahara weiter in Richtung Europa wandern, mischen.

Der Stützpunkt AB 201 ist innerhalb Afrikas strategisch so positioniert, daß ergänzend zu Camp Lemmonier im Osten nun auch West- und Nordafrika kontrolliert werden können. Dabei geht es nicht nur um Aufklärung, sondern auch um direkte Bekämpfung mutmaßlicher feindlicher Kombattanten. Als Anlaß bzw. Vorwand dienen den USA islamistische Bewegungen wie Boko Haram in Niger, Mali und Kamerun, Warlords in Libyen (zumindest die, mit denen die USA nicht verbündet sind), gegebenenfalls rebellierende Tuareg in Niger und Mali, sowie, wer weiß, vielleicht demnächst auch Amazigh (Berber) in Marokko, die zur Zeit gegen ihre Unterdrückung durch die Mehrheitsgesellschaft protestieren und Druck auf das Königshaus ausüben. In einem Dokument von U.S. Africa Command aus dem Jahr 2015 werden sieben islamistische Gruppen genannt, die in Zukunft von der AB 201 aus bekämpft werden sollen [1]. In den letzten drei Jahren wurde die Zahl an islamistischen Gruppierungen eher größer als kleiner.


Globus mit Länderumrissen - Bild: Wikimedia Commons, bearbeitet durch Schattenblick

Geostrategie vom Reißbrett: Niger (rote Fläche) liegt im Zentrum des nördlichen Afrika, Agadez (schwarzer Punkt) wiederum im Zentrum Nigers.
Bild: Wikimedia Commons, bearbeitet durch Schattenblick

Obgleich die USA in Niger militärisch massiv aufrüsten, halten sie den Ball flach und geben dem neuen Stützpunkt den Titel "expeditionär". Das hat beispielsweise zur Folge, daß die dort stationierten rund 600 Soldaten in keinen festen Gebäuden, sondern in großen Zelten leben, als seien sie nur vorübergehend im Land.

Niger gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, doch es gibt 21 Prozent seines Haushalts für die Verteidigung aus. Rechtlich bleibt der US-Stützpunkt in den Händen Nigers. Dort werden allerdings nicht viele Arbeitsplätze für die Einheimischen entstehen. Sie dürfen im Essensbereich arbeiten, berichtete die Militärseite "Stripes" [5]. Die Vermutung ist wohl nicht zu weit hergeholt, daß die Jobangebote darauf hinauslaufen, daß die Nigrer den Tisch decken, den Abwasch machen und den Müll beseitigen dürfen.

Der "African Military Blog" schreibt, daß die US-Streitkräfte gegenwärtig über 60 Außenposten in mindestens 34 Ländern Afrikas betreiben, und zieht als Vergleich heran, daß damit die Zahl an diplomatischen Vertretungen auf dem Kontinent - 50 - übertroffen wird. Schätzungsweise 2000 US-Soldaten übten 78 "Missionen" in mehr als 20 afrikanischen Ländern aus. Irgendwo in Afrika würden jeden Tag mindestens zwei Missionen durchgeführt, angefangen von Drohnenangriffen, Informationsbeschaffung bis zu Schießübungen [6]. Einer anderen Quelle zufolge befinden sich rund 6.000 US-Soldaten in Afrika, die jedes Jahr 3.500 Manöver, Ausbildungsprogramme und Einsätze durchführen - fast zehn pro Tag [7]. Welchen Angaben man auch immer zuneigt, in beiden Fällen zeigt dies ein enormes, wenngleich bislang unterschwellig bleibendes militärisches Engagement der USA in Afrika.

Vielleicht bleibt man lieber unterhalb des Radars der breiten Öffentlichkeit, weil sich ansonsten eine Stimmung gegen die Amerikaner durchsetzen könnte, durch die ihre jeweiligen Gastgeber und in der Folge auch die eigene Präsenz gefährdet wären. Für diese Annahme spricht, daß die USA ab Februar 2007 vergeblich versucht hatten, den Standort für AFRICOM, ihrer Kommandostelle für Afrika, von Stuttgart-Möhringen nach Afrika zu verlegen. AFRICOM betreibt mindestens acht Drohnenbasen auf dem schwarzen Kontinent, in Äthiopien, Burkina Faso, Dschibuti, Kenia, Niger, Seychellen, Südsudan und Uganda. Laut "The Intercept" befindet sich eine weitere Drohnenbasis in Kamerun [8].

Wer war zuerst da, die sogenannten Terrorgruppen oder der Kampf gegen den Terror? Ursache und Wirkung lassen sich problemlos vertauschen. Im Jahr 2002 haben die USA in der Sahelzone die Pan African Initiative (PSI) zur sogenannten Terrorbekämpfung gestartet. Heute haben fast alle Länder Problem mit Islamisten, die Anschläge verüben. Vorgeblich war die PSI, die später in Trans-Sahara Counterterrorism Partnership (TSCTP) umbenannt wurde, dazu gedacht, die Streitkräfte von Tschad, Mali, Mauretanien und Niger im Kampf gegen Terrorismus zu unterstützen. Der "Erfolg" blieb nicht aus; seitdem ist in der Region viel geschehen, allerdings ganz anders, als zu vermuten wäre: In Tschad kam es zu zwei Umsturzversuchen (2006 und 2013), die Regierung von Mauretanien erlebte zwei Militärputsche (2005 und 2008), der Präsident Nigers wurde 2010 vom Militär gestürzt, und im Jahr 2012 putschte der von den USA ausgebildete Offizier Amadou Sanogo gegen den demokratisch gewählten Präsidenten von Mali.

Darüber hinaus gab es bis zum Jahr 2001 in der Sahelzone zwar interne Erhebungen, zum Beispiel durch die Tuareg, aber so gut wie keine grenzüberschreitenden Bedrohungen durch Milizenbanden. Seitdem aber die USA den Krieg gegen den Terror ausgerufen haben, eskaliert die Lage, und es sind Gruppen wie Boko Haram und der Islamische Staat entstanden, die Anschläge weit über die unmittelbar von ihnen kontrollierten Regionen oder ihre Rückzugsorte hinaus verüben. Selbst Mosambik im Südosten Afrikas bleibt inzwischen nicht mehr von Anschlägen verschont.

Die Aussichten der afrikanischen Länder, islamistische Milizenbanden (oder, wie in der Zentralafrikanischen Republik, christliche Milizen) auf Dauer zurückzudrängen, stehen nicht gut. Der Trend geht in die entgegengesetzte Richtung. Wie sagte es US-Senator Lindsey Graham, der sich als klarer Befürworter von Drohnenangriffen hervorgetan hat, nach einem Treffen mit US-Verteidigungsminister James "verrückter Hund" Mattis:

"Sie werden in Afrika mehr Kämpfe erleben, nicht weniger. Sie werden seitens der Vereinigten Staaten mehr Aggression gegenüber unseren Feinden erleben, nicht weniger." [7]


Rund ein Dutzend Personen beobachtet, wie ein Panzer auf einer breiten Rampe am Bug der Transportmaschine herunterfährt - Foto: U.S. Air Force

Temporäre Lager auch als Drehkreuz für größere Kriege geeignet: Die Boeing C-17 Globemaster III kann in kurzer Zeit Panzer, Lkw und anderes Kriegsgerät in die Sahara befördern
Foto: U.S. Air Force

Die Vereinigten Staaten von Amerika bauen ihre militärische Präsenz in Afrika Schritt für Schritt aus. Damit steht das Land in Konkurrenz mit China, das, wenngleich nicht mit militärischen Mitteln, so doch mit denen des Handels und der Investitionen ein ähnliches hegemoniales Anliegen verfolgt. Die Europäische Union wiederum sorgt sich nicht nur um ihren Ressourcennachschub, sondern insbesondere um die Migranten, die aus Afrika abwandern könnten, wenn sich die politische, ökonomische und klimatische Situation dort weiter verschärft. Rußland, Türkei, Indien und weitere asiatische Staaten haben ihr Augenmerk ebenso auf Afrika gerichtet wie die Ölstaaten am Persischen Golf, die ihre Scheckbücher und ihre Religion als Vehikel benutzen, um in Ostafrika einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Ein Ende der in den meisten Fällen Mehr-Ebenen-Konflikte auf afrikanischem Boden wird niemals erreicht, wenn weiterhin Interessen von außerhalb um Einflußnahme auf dem afrikanischen Kontinent ringen. Sollte aber eines Tages das nahezu Unmögliche eintreten, daß alle fremden Soldaten, "Militärberater" und sonstigen Statthalter fremdnütziger Interessen den Kontinent verlassen und auch keine ferngelenkten Überwachungs- und Tötungsmaschinen mehr am Himmel kreisen, dann stehen die Menschen noch immer vor dem kaum zu bewältigenden Problem, daß sich allerorten schon seit langem global vernetzte, das heißt über Politik, Handel und Finanzgeschäfte sowie Schuldenabtrag geförderte Herrschaftsstrukturen etabliert haben, die von den Privilegierten zwecks Sicherung ihrer Vorteile genutzt und qualifiziert werden.


Zwei Soldaten hissen die amerikanische und die nigrische Flagge. Im Hintergrund neun Masten mit Flaggen, unter anderem von Deutschland - Foto: USAFRICOM

Die Militärs einer Reihe westlicher Staaten, darunter die Bundeswehr, nahm an der (Anti-)Terror-Übung "Flintlock 2018" in mehreren afrikanischen Ländern teil.
Hier: Eröffnungszeremonie am 11. April 2018 in Agadez, Niger.
Foto: USAFRICOM


Fußnoten:


[1] https://theintercept.com/2018/08/21/us-drone-base-niger-africa/

[2] https://www.aljazeera.com/news/2018/07/confirms-deployment-armed-drones-niger-180730143613917.html

[3] https://www.defensenews.com/unmanned/2018/04/23/us-builds-drone-base-in-niger-crossroads-of-extremism-fight/

[4] https://www.theguardian.com/world/2018/aug/14/niger-suppresses-dissent-as-us-leads-influx-of-foreign-armies

[5] https://www.stripes.com/news/building-a-base-from-nothing-110-million-u-s-project-in-niger-will-house-drones-1.523656

[6] https://www.africanmilitaryblog.com/2018/02/us-preparing-for-war-in-africa

[7] https://theintercept.com/2017/10/26/its-not-just-niger-u-s-military-activity-is-a-recruiting-tool-for-terror-groups-across-west-africa/

[8] https://theintercept.com/2016/02/25/us-extends-drone-war-deeper-into-africa-with-secretive-base/


28. August 2018


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