Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/612: Wahlfarce in Afghanistan demontiert Legitimation des Marionettenregimes (SB)


Offensichtliche Manipulation zugunsten Karsais schafft Erklärungsnöte


Das Marionettenregime in Kabul hat den Bogen überspannt und zur Bestürzung der Besatzungsmächte die Wahlfarce derart offensichtlich manipuliert, daß die langfristige Herrschaftssicherung der Alliierten am Hindukusch ihrer inszenierten Legitimation verlustig zu gehen droht. Amtsinhaber Hamid Karsai war derart bestrebt, seine Macht von Washingtons Gnaden nicht durch ein ungewisses Votum des unberechenbaren Volkes gefährden zu lassen, daß er massiv auf die landesübliche Methode erkaufter Bündnisse zurückgriff, um sich ganze Blocks von Wählerstimmen zu sichern. Wäre dieses Verfahren dezent und unauffällig über die Bühne gegangen, hätte sich der afghanische Staatschef im Lob der westlichen Welt baden können, die ihn penetrant als personifizierten Vorposten der Demokratie unter Wilden auf den Schild zu heben versucht. Nun muß er sich die heftigen Vorhaltungen des US-Beauftragten für Afghanistan, Richard Holbrooke, anhören, der ihn dazu drängt, wenigstens eine Stichwahl zuzulassen, um den Scherbenhaufen skrupellosen Betrugs notdürftig zu kitten.

Wie die von den Vereinten Nationen unterstützte Beschwerdekommission (ECC) in Kabul mitgeteilt hat, seien seit dem Wahltag am 20. August 2.026 Einwände zum Verlauf von Abstimmung und Stimmenauszählung eingegangen, wovon 567 hohe Priorität hätten, da sie den Wahlausgang beeinflussen könnten. Da die Zahl der Beschwerden gegenüber dem letzten Stand von 790, der vor einer Woche bekanntgegeben wurde, sprunghaft zugenommen hat, muß man davon ausgehen, daß das Ausmaß der Manipulationen noch wesentlich größer als ohnehin schon befürchtet ist. Der frühere Außenminister Abdullah Abdullah, der anfangs fast gleichauf mit Hamid Karsai gelegen hatte, ist nach Auszählung von mehr als einem Drittel der abgegebenen Stimmzettel inzwischen so aussichtslos zurückgefallen, daß man gespannt sein darf, ob Karsai tatsächlich auf dem Gegenwert seiner Investitionen in Gestalt der absoluten Mehrheit besteht oder sich von den Besatzungsmächten doch noch zur Ordnung rufen läßt und der Form halber einen zweiten Wahlgang ansteuert. [1]

Allerdings dürfte Karsai die Gewißheit manche schlaflose Nacht bereiten, daß sich noch nie eine Besatzungsmacht dauerhaft in seinem Land halten konnte. In dem Dilemma, sich ohne den Rückhalt der Fremdherrschaft unmöglich in seiner Position behaupten zu können, und andererseits um seiner Zukunft willen nicht als bloßer Lakai der Ausländer in Erscheinung zu treten, muß sich der Präsident eine Hausmacht schaffen und Bündnisse mit Kriegsherrn eingehen. Der Übergang von inszenierten Konflikten mit den Besatzern zum Zweck der Imagekorrektur zu tatsächlichen Widersprüchen stellt sich zwangsläufig fließend dar, da die Navigation unter ständig wechselnden Winden zum Handwerkszeug erfolgreicher Kollaboration gehört. [2]

Da inzwischen diverse Videos kursieren, auf denen Wahlfälscher bei der Arbeit zu sehen sind, müßte man dem Urnengang unverzüglich jede Legitimität absprechen. Nun sind Bilder angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, sie zu fälschen und zu interpretieren, heutzutage keine Beweismittel mehr. Indessen illustrieren sie die Aussagen internationaler Wahlbeobachter, die seit Monaten in Afghanistan tätig sind. Deren Angaben zufolge handelt es sich keineswegs um Einzelfälle manipulierter Wahlurnen, sondern vielmehr um systematische und institutionelle Korruption. Von einer unabhängigen Wahlkommission könne keine Rede sein, da deren Repräsentanten angefangen vom Vorsitzenden bis hinunter auf Lokalebene von der Regierung ernannt worden sind. [3] Man könnte natürlich noch grundsätzlicher argumentieren und daran erinnern, daß ohnehin nur Kandidaten zur Wahl standen, die mit den Besatzungsmächten kooperieren, und die Wahlbeteiligung mehr als dürftig war.

Der bislang eklatanteste Fall von Stimmenbeschaffung für Karsai fällt unter die Regie eines Stammesführers namens Hajji Mullah Tarakhel Mohammadi, der sich damit gebrüstet hat, in 18 Distrikten der Provinz Kabul 180.000 Stimmen für den Präsidenten produziert zu haben. Wenngleich er gegenüber Pressevertretern jede Manipulation von Urnen vehement bestritt, versicherte er doch stolz, er habe seinen Clansleuten befohlen, für Karsai zu stimmen. Diese Aussage gibt schon für sich genommen darüber Aufschluß, daß von vorgeblich individuellen und unabhängigen Entscheidungen der Wähler im westlichen Sinn in Afghanistan vielerorts um so weniger die Rede sein kann.

Zudem brachte eine Überprüfung in der Ortschaft Pul-i-Charkhi am östlichen Stadtrand von Kabul an den Tag, daß die dort gewonnenen nahezu 50.000 Stimmen für Karsai entgegen den Angaben Mullah Tarachels vorgefertigt waren. Dies bezeugte ein afghanischer Lehrer aus der Hauptstadt, der ein Wahllokal leiten sollte, jedoch bei seinem Eintreffen am frühen Morgen bereits gefüllte Urnen vorfand. Als er dagegen protestierte, wurde er von Leibwächtern des Stammesführers entfernt und später massiv bedroht. Der britische Journalist Tom Coghlan von der Times konnte die Manipulationsvorwürfe bestätigen, da er eine Stunde nach Öffnung des besagten Wahllokals zwar keine Wähler, doch dafür zwölf gefüllte Wahlurnen sah, was angesichts der 5.530 dort registrierten Wähler in der Kürze der Zeit schlichtweg unmöglich war.

Auf Drängen mehrerer bei der Wahl weit abgeschlagener Kandidaten sah sich die Wahlkommission gezwungen, diesem Vorwurf nachzugehen, der vermutlich das gesamte von Paschtunen besiedelte Gebiet betreffen könnte. In der Provinz Paktika wurde ermittelt, daß die gezählten Stimmen in mehreren Regionen die Zahl der registrierten Wähler übertrafen. Und in Helmand, wo derzeit die heftigsten Kämpfe mit den Taliban toben, machte der Wahlbeauftragte für die Provinz keinen Hehl aus seiner Überraschung, wie viele Stimmen trotz der massiven Behinderung des Urnengangs abgegeben worden waren. Zwar will die nationale Wahlkommission all jene Stimmen für ungültig erklären, die nachweislich durch Manipulation erbracht worden sind, doch mußte sie einräumen, daß in vielen Fällen weder Zeugen noch Beweise für einen mutmaßlichen Betrug zu finden sein dürften.

Wie ungeachtet dieses Debakels eine nachträgliche Legitimation der Präsidentschaftswahl in Afghanistan erwirtschaftet werden könnte, dürfte eine brennende Frage nicht nur in der afghanischen Hauptstadt sein.

Anmerkungen:

[1] Mehr als 2.000 Beschwerden nach Afghanistan-Wahl. Amtsinhaber Hamid Karzai liegt deutlich in Führung (31.08.09)
NZZ Online

[2] Wahlfarce. Washington setzt Karsai unter Druck (31.08.09)
junge Welt

[3] Increasing Accounts of Fraud Cloud Afghan Vote (31.08.09)
New York Times

31. August 2009