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ASIEN/620: Anschlagsreihe in Pakistan zeigt Stärke der Taliban (SB)


Anschlagsreihe in Pakistan zeigt Stärke der Taliban

Vergeltung für das Attentat auf Baitullah Mehsud fällt verheerend aus


Mit einer Reihe blutiger Überfälle und Bombenangriffe haben die pakistanischen Taliban das Versprechen ihres neuen Anführers Hakimullah Mehsud, sich für das Attentat auf ihren früheren Chef Baitullah Mehsud, der am 5. August durch einen per CIA-Drohne ausgeführten Raketenangriff liquidiert wurde, zu rächen, eindrucksvoll in die Tat umgesetzt. Mit der jüngsten Angriffswelle werden die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) kaum die geplante Offensive der pakistanischen Streitkräfte gegen ihre Hochburg in Südwasiristan verhindern können. Im Gegenteil. Durch die jüngsten Angriffe der Taliban sieht sich die Regierung in Islamabad mehr denn je herausgefordert, ihre Autorität unter Beweis zu stellen. Deshalb dürfte in den nächsten Tagen jene Bodenoffensive in Südwasiristan anrollen, welche die pakistanische Luftwaffe mit Bomben- und Raketenangriffen vorbereitet. Nichtsdestotrotz könnte das Kalkül der islamischen Glaubenskrieger aufgehen, wonach die Bevölkerung Pakistans, die mehrheitlich die Besetzung des Nachbarlandes Afghanistan und die Drohnenangriffe auf Ziele im Rückzugsgebiet der Taliban auf pakistanischer Seite der Grenze ablehnt, irgendwann den Preis der Eskalation nicht mehr zu bezahlen bereit ist und die Beendigung der Teilnahme Islamabads am "globalen Antiterrorkrieg" Washingtons erzwingt.

Nachdem am 4. Oktober in Südwasiristan Hakimullah Mehsud und die anderen Anführer der pakistanischen Taliban eine Pressekonferenz für ausgewählte Journalisten gegeben und damit alle Gerüchte über ihr Ableben infolge irgendwelcher Hahnenkämpfe um die Nachfolge Baitullah Mehsuds widerlegt hatten, drang gleich am nächsten Tag ein als Soldat getarnter Selbstmordattentäter der TTP in das Büro des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen in Islamabad ein und tötete sich selbst sowie fünf weitere Menschen. Am 9. Oktober explodierte eine Bombe der TTP auf dem Basar in Peshawar, der Hauptstadt der an Afghanistan angrenzenden Nordwestfrontierprovinz (NWFP), und riß 48 Menschen in den Tod. Am darauffolgenden Tag stürmten zehn ebenfalls als Soldaten verkleidete, mit automatischen Gewehren, Minen, Granaten und Sprengstoffgürteln bewaffnete TTP-Kämpfer das Hauptquartier der pakistanischen Streitkräfte in der Garnisonsstadt Rawalpindi. Es folgte ein für das pakistanische Militär hochpeinliches, 22stündiges Feuergefecht samt Geiselnahme auf dem Gelände ihres eigenen Hauptquartiers. Zwar konnten schließlich pakistanische Spezialstreitkräfte 39 Geiseln befreien und einen Angreifer lebend gefangennehmen, doch am Ende waren elf Mitglieder der Streitkräfte, drei Zivilisten und neun Taliban-Kämpfer tot.

Kaum daß in Rawalpindi wieder soldatische Ordnung herrschte, zündete am 12. Oktober ein Selbstmordattentäter eine Autobombe, gerade als ein Armeekonvoi mitten in der Kleinstadt Shangla im Swat-Tal das Fahrzeug passierte. Bei diesem Anschlag, der 41 Menschen, darunter sechs Soldaten, das Leben kostete, konnten die Taliban demonstrieren, daß mit ihnen im Swat-Tal, trotz des Erfolges der sommerlichen Armee-Offensive dort, immer noch zu rechnen ist. Jene Großoffensive wurde mit äußerster Brutalität durchgeführt. Rund zwei Millionen Menschen mußten vor dem Kämpfen fliehen und kehrten erst in den letzten Wochen wieder nach Hause zurück. Dort finden viele ihre Wohnhäuser und Geschäfte zerstört vor. Eine verläßliche Zahl der Toten und Verletzen gibt es nicht, da Journalisten während der Offensive der Zugang zum Swat-Tal verboten war. Unbestätigten Meldungen zufolge haben die Sicherheitskräfte Hunderte von Taliban-Kämpfern getötet, darunter auch welche, die sich bereits ergeben hatten.

Am 15. Oktober versetzten die Taliban Lahore, nach Karatschi die zweitgrößte Stadt Pakistans und kosmopolitische Hauptstadt der reichen Provinz Punjab, in absolutes Chaos, nachdem zwei Dutzend ihrer Mitglieder, darunter angeblich drei Frauen, die erneut als Soldaten gekleidet waren, gleichzeitig um 9.30 Uhr ein Büro der Bundeskriminalpolizei und zwei Ausbildungszentren der Polizei angriffen. Stundenlang lieferten sie sich Feuergefechte mit den Sicherheitskräften, die von Scharfschützen in Hubschraubern unterstützt wurden. Am Ende des koordinierten Angriffs auf die drei Polizeieinrichtungen waren mehr als 30 Menschen, darunter 16 Ordnungshüter, acht Militante und zwei Zivilisten, tot. Am selben Tag explodierte eine Autobombe vor einem Wohnkomplex der Polizei in der Stadt Kohat und brachte elf Menschen ums Leben. Am 16. Oktober kam es zu zwei weiteren Selbstmordanschlägen in Peshawar, der eine wurde von einer Frau auf einem Fahrrad, der andere mittels einer Autobombe verübt, die insgesamt elf Menschen töteten.

Währenddessen laufen die Vorbereitungen für die Großoffensive der pakistanischen Streitkräfte im schwer zugänglichen Südwasiristan auf Hochtouren. Dort sollen es demnächst 28.000 Soldaten mit schätzungsweise 10.000 Taliban einschließlich der mit ihnen befreundeten Stammeskrieger aufnehmen. Rund 200.000 Menschen, 40 Prozent der Bevölkerung von Südwasiristan, sollen aus Angst vor den kommenden Kämpfen bzw. den bereits angelaufenen Luftangriffen in die angrenzende NWFP, hauptsächlich in die Städte Tank und Dera Ismail Khan, geflohen sein. Die Angst der Menschen ist wohlbegründet. Bei Bombenangriffen der pakistanischen Luftwaffe auf Häuser oder Gebäude in Südwasiristan, in denen die Taliban vermutet werden, kamen allein am 15. Oktober 27 Menschen ums Leben. Wie viele von den Getöteten Militante und wie viele einfache Zivilisten waren, ist noch nicht klar. Was dagegen feststeht, ist, daß die USA durch ihr Drängen, die Regierung in Islamabad müsse energischer gegen diejenigen vorgehen, welche vom pakistanischen Grenzgebiet aus den Kampf der afghanischen Taliban gegen die Streitkräfte der NATO unterstützen, Pakistan in den Bürgerkrieg stürzt. Es stellt sich lediglich die Frage, ob die Verantwortlichen in Washington dies mit ihrer unausgegorenen "Af-Pak- Strategie" bezwecken oder ob man es hier mit der Schwergängigkeit des Militärkollosses USA zu tun hat.

16. Oktober 2009