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ASIEN/674: Bombenanschlag auf Sufi-Schrein erschüttert Pakistan (SB)


Bombenanschlag auf Sufi-Schrein erschüttert Pakistan

Punjabi Taliban heizen den Antiterrorkrieg in Af-Pak an


In Pakistan hat der mehrfache Bombenanschlag am Abend des 2. Juli auf den Data-Ganj-Baksh-Schrein in Lahore, kulturelles Zentrum des Landes und Hauptstadt der bevölkerungsreichsten Provinz Punjab, die Menschen zutiefst erschüttert. Der Anschlag, der geschah, als sich im wichtigsten Sufi-Schrein Pakistans mehr als eintausend Betende aufhielten, kostete 42 Menschen das Leben und ließ 180 schwerverletzt zurück. Bisher hat sich niemand zu dem Anschlag bekannt. Dahinter wird jedoch allgemein die mysteriöse Gruppe der Asian Tigers, die auch Punjabi Taliban genannt werden, vermutet, deren Mitglieder bereits am 28. Mai eine Moschee der Ahmadi-Sekte in Lahore überfielen und 90 Menschen ermordet hatten. Bezüglich des Motivs gibt es nur Spekulationen. Während in den westlichen Medien die Theorie vorherrscht, die Täter wären auf einem Feldzug gegen alle, die nicht ihrer strengen salafistischen Version des sunnitischen Islams folgten, hegen in Pakistan nicht wenige Menschen den Verdacht, hinter diesen und anderen spektakulären Anschlägen der letzten Zeit auf zivile Ziele steckten die Geheimdienste Indiens, wenn nicht sogar der USA, die durch das Schüren religiöser und ethnischer Spannungen das Land destabilisieren wollten.

Kurze Zeit nach dem Anschlag auf den Data-Ganj-Baksh-Schrein hat Azam Tariq, Sprecher der Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP), die sich seit rund zwei Jahren hauptsächlich im Grenzgebiet zu Afghanistan mit den pakistanischen Streitkräften schwere Kämpfe liefern, gegenüber der Nachrichtenagentur Agence France Presse jede Beteiligung seiner Gruppe an dem Anschlag bestritten, ihn als "brutalen Akt" verurteilt und dafür nicht näher bezeichnete, ausländische Geheimdienste verantwortlich gemacht. Bei der ersten offiziellen Pressekonferenz zu dem Anschlag auf den Schrein des Sufiheiligen Syed Abul Hassan bin Usman bin Ali al Hajveri benutzte Khusro Pervez Bakhtiar, der Polizeipräsident von Lahore, eine Formulierung, die laut Tom Hussain in dem am 3. Juli bei der in Abu Dhabi erscheinenden Tageszeitung The National veröffentlichten Bericht "Tehrik-i-Taliban denies bombing Sufi shrine in Lahore" auf "unheimliche" Weise an die Stellungnahme des TTP-Sprechers erinnerte: "Unsere eigenen Leute werden zu Instrumenten in den Händen von anderen."

Doch wer könnten diese anderen denn sein? In einem Artikel, der am 3. Juli bei der Asia Times Online unter der Überschrift "Peace sacrificed in shrine attack" erschienen ist, hat Syed Saleem Shahzad, der sich wie kaum ein zweiter Reporter in der islamistischen Szene Pakistans auskennt, seine Überlegungen über den Anschlag und dessen mögliche Auswirkungen auf die Politik der Zentralregierung in Islamabad und der Provinzregierung Punjabs um folgende brisante Informationen, die er von "ranghohen Kontakten" im pakistanischen Sicherheitsapparat erhalten haben soll, ergänzt:

Trotz intensiven Widerstands seitens des Militärestablishments sind wenige Tage vor dem Schreinanschlag mehr als 50 ausländische Bürger, darunter Mitarbeiter eines privaten US-Militärunternehmens, in Pakistan eingetroffen - obwohl sie vom pakistanischen Geheimdienst nicht die relevante Sicherheitsfreigabe hatten.

Nach Angaben der Kontakte waren diesen ausländischen Bürgern zuvor von den pakistanischen Botschaften, bei denen sie als erstes vorstellig geworden waren, darunter in Großbritannien, Indien und den USA, die Visen verweigert worden. Dennoch wurden ihnen daraufhin von der Botschaft in Abu Dhabi und dem Konsulat in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten Visen ausgestellt. Dies erfolgte ohne die erforderliche Überprüfung durch Innenministerium, Verteidigungsministerium und Geheimdienste Pakistans.

"Unter ihnen befanden sich mehr als ein Dutzend US-Bürger, denen die Botschaft in Washington ein Visum wegen des Verdachts der Verbindung zu Blackwater [Xe Services] verweigert hatte", berichtete eine Quelle Asia Times Online, die ergänzend hinzufügte, die Visen seien für sechs Monaten bis zwei Jahre ausgestellt worden, obwohl sie normalerweise auf 90 Tage beschränkt sind.

Die Vorgänge, die Shahzads Kontakte beschreiben, erinnern fatal an die Einschleusung junger arabischer Möchtegern-Dschihadisten Ende der neunziger Jahre in die USA zwecks paramilitärischer bzw. terroristischer Ausbildung durch die CIA. Unter den Beteiligten an diesem geheimen Sonderprogramm waren möglicherweise einige der späteren Hijacker der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001. Enthüllt wurde dieser Skandal durch den ehemaligen US-Diplomaten Michael Springmann bei einem Auftritt in November 2002 in der angesehenen Fernsehnachrichtensendung Newsnight von BBC 2. Springmann, der zwei Jahre lang die Leitung der Visabteilung des US-Konsulats in der arabischen Hafenstadt Dschiddah innehatte, mußte persönlich miterleben, wie mutmaßliche Radikalislamisten, deren Einreiseanträge er aus Sicherheitsgründen abgelehnt hatte, auf Anweisung des örtlichen CIA-Stationschefs doch in den Genuß eines Visums zur Einreise in die USA kamen.

Die Tatsache, daß Mitglieder der CIA und Mitarbeiter von Blackwater unter Umgehung der üblichen Sicherheitsüberprüfungen wenige Tage vor dem jüngsten Großanschlag in Lahore nach Pakistan einreisten, ist auf jeden Fall höchst verdächtig. Doch könnten sie darin wirklich verwickelt gewesen sein? Shahzad legt den Schluß einerseits nahe, indem er den betreffenden Schlußabschnitt seines Artikels mit der überschrift "Foreign footprints" ("Ausländische Fußabdrücke") versieht, andererseits wiederum nicht, wenn er schreibt: "... private US-Militärdienstleister wollen im Punjab aktiv werden, um Militantennetzwerke aufzuspüren und dann Empfehlungen zwecks ihrer Unterwanderung zu machen."

Wie in der pakistanischen Presse schon länger vermutet und wie Jeremy Scahill, Autor des Bestsellersachbuchs "Blackwater", in mehreren gutrecherchierten Artikel für die altehrwürdige linke US-Zeitschrift The Nation nachgewiesen hat, arbeiten die Angestellten der weltweit größten Privatarmee, die seit dem letzten Jahr Xe Services heißt, in Pakistan an mehreren geheimen Projekten der CIA und des Pentagons. Scahill zufolge bestücken Blackwater-Leute, die meistens früher bei den US-Spezialstreitkräften waren, auf zwei geheimen Basen in Pakistan die CIA-Drohnen für Angriffe auf Taliban-Ziele mit Bomben und Hellfire-Raketen, begleiten von einem weiteren geheimen, firmeneigenen Stützpunkt in der Hafenstadt Karatschi aus NATO-Nachschubkonvois über den Khyberpaß nach Afghanistan, bilden die pakistanischen Sicherheitskräfte aus und führen diese bei Entführungs- und Liquidierungsaktionen gegen mutmaßliche "Terroristen" an.

Wenn nun Shahzad von der Absicht privater US-Militärdienstleister, in der pakistanischen Provinz Punjab islamistische Netzwerke aufzuspüren und zu unterwandern, spricht, darf an die Sondereinheit der US- Spezialstreitkräfte mit Namen "Proactive, Preemptive Operations Group" (P2OG) erinnert werden, deren Existenz der Militärexperte William Arkin im Oktober 2002 in der Washington Post bekanntmachte und deren Aufgabe ausdrücklich darin bestanden haben soll, terroristische Gruppen zu infiltieren und sie zu Anschlägen zu provozieren, um sie - angeblich - später ausschalten zu können. Es gibt nicht wenige Hinweise, wonach das Special Operations Command (SOCOM) zwischen 2003 und 2008 unter dem Befehl seines damaligen Kommandeurs, des US-Generals Stanley McChrystal, im Irak Todeschwadronen zu Greueltaten animierte und Anschläge durchführen ließ, um die Aggressionen sunnitischer und schiitischer Militanter auf einander und weg von den amerikanischen Besatzungstruppen zu lenken.

Könnte die geheimnisumwitterte P2OG hinter den Umtrieben der Punjabi Taliban in Pakistan stecken? Möglich wäre es. Für den Verdacht spricht die Ermordung Khalid Khawajas am 30. April. Im März war der 58jährige, ehemalige Luftwaffenoffizier und Mitarbeiter des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence Directorate zusammen mit seinem früheren ISI-Kollegen Oberst a. D. Sultan Amir Tarar und dem britischen Journalisten pakistanischer Herkunft, Asad Qureshi, in die Rebellenhochburg Nordwasiristan gefahren, um mit den Aufständischen einen Waffenstillstand auszuhandeln, der die von den USA geforderte Großoffensive dort, die sehr blutig zu werden droht, überflüssig machen sollte. Obwohl Khawaja früher eine wichtige Rolle beim Kampf der afghanischen Mudschaheddin gegen die Sowjetarmee und später beim Aufbau der Taliban gespielt hat, wurde er entführt, wochenlang gefangengehalten - und dabei vermutlich gefoltert - und anschließend ermordet, nachdem man ihn vorher gezwungen hatte, sich selbst vor laufender Videokamera als langjähriger CIA-Doppelagent zu bezichtigen.

In einem Artikel, der am 18. Mai bei der Asia Times Online erschienen ist, berichtete Syed Saleem Shahzad, die Asian Tigers bzw. Punjabi Taliban würden sich den Befehlen vom Taliban-Chef Mullah Mohammed Omar, darunter der, Khwawajas Leben zu schonen, "offen widersetzen" und hätten sogar gedroht, Ilyas Kashmiri, den legendären Chef der 313. Brigade der Al Kaida, zu töten, sollte er ihnen in die Quere kommen. In dem Artikel zitierte Shahzad einen nicht namentlich genannten, pakistanischen Militanten mit Al-Kaida-Verbindung wie folgt:

Es gibt unter all den Gruppen in Nordwasiristan einen Konsens, und der lautet, daß diese sogenannten Asian Tigers das Geschöpf eines ausländischen Geheimdienstes sind, um die örtlichen Mudschaheddin und die pakistanischen Streitkräfte in einen größeren Konflikt hineinzuziehen.

Drei Tage später, am 21. Mai, zitierte Shahzad bei der Asia Times Online ein anderes Mitglied einer pakistanischen Gruppe ebenfalls mit Verbindungen zu Al Kaida mit einer ähnlichen Einschätzung:

Wir begrüßten die inoffiziellen Friedensbemühungen [von Khawaja]. Alle Mudschaheddin-Gruppen freuten sich über die Aussicht einer Versöhnung. Niemand wäre über einen Krieg innerhalb Pakistans glücklich, doch der Prozeß wurde von den Asian Tigers sabotiert. Hier sind alle davon überzeugt, daß sie wissentlich oder unwissentlich von ausländischen Mächten benutzt wurden, die eine Militäroperation in Nordwasiristan sehen wollen, koste es, was es wolle.

Die jüngsten Anschläge in Punjab richten sich ganz klar gegen den pakistanischen Oppositionsführer Nawaz Sharif und dessen Bruder, den dortigen Provinzgouverneur Shahbaz Sharif, die als prominente Kritiker der Militäroperationen der pakistanischen Streitkräfte im Grenzgebiet zu Afghanistan gelten. Wenn es nach den Sharif-Brüdern und ihrer Pakistanischen Moslem-Liga (Nawaz) geht, sollte die Zentralregierung in Islamabad ein Ende des blutigen Bürgerkrieges mit den Militanten im eigenen Land aushandeln und die NATO ihren Konflikt in Afghanistan allein ausfechten lassen. Durch gezielte Anschläge in Punjab wollen die Asian Tigers offenbar eine solche Option diskreditieren. Dafür, daß die Asian Tigers von der CIA, den US-Spezialstreitkräften und/oder Blackwater gesteuert werden, spricht, daß sie völlig im Sinne der Af-Pak-Strategie von US-General David Petraeus agieren. Für Xe Services kommt das finanzielle Motiv am Flächenbrand in Afghanistan und Pakistan hinzu. Ende Juni wurde bekannt, daß das berüchtigte Unternehmen vor kurzem einen Auftrag im Wert von 120 Millionen Dollar zum Schutz zweier neuer US-Konsulate im afghanischen Masar-i-Scharif und Herat und einen im Wert von 100 Millionen Dollar von der CIA zu Sicherung ihrer Anlagen in Afghanistan "und anderswo" erhalten hat.

7. Juli 2010