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ASIEN/695: Pakistan schließt Afghanistan-Grenze für NATO-Konvois (SB)


Pakistan schließt Afghanistan-Grenze für NATO-Konvois

Afghanistan-Krieg droht vollends auf Pakistan überzugreifen


Nach jahrelangen, ergebnislosen Protesten gegen Raketenangriffe der NATO-Streitkräfte in Afghanistan auf Ziele in Pakistan hat die Regierung in Islamabad am 29. September endlich gehandelt und den für die in Afghanistan gegen die Taliban kämpfenden Truppen überlebensnotwendigen Grenzübergang Torkham nahe Peshawar geschlossen. Dort an der Grenze zu Afghanistan stecken nun mehr als hundert Lastwagen, die zuvor in der Hafenstadt Karatschi unter anderem mit Nahrungsmittel, Treibstoff und Trinkwasser für die NATO-Soldaten beladen worden waren, fest. Die Schließung des Grenzübergangs Torkham deutet auf eine drastische Verschlechterung der Beziehungen zwischen Pakistan und der NATO-Führungsmacht USA hin.

Anlaß für die dramatische Verfügung Islamabads waren zwei von NATO-Hubschraubern durchgeführte Angriffe auf Grenzposten der pakistanischen Streitkräfte in den frühen Morgenstunden des 30. September. Die beiden etwa 15 Kilometer auseinanderliegenden Kontrollposten befinden sich in Kurram, einem Distrikt der unter Bundesverwaltung befindlichen Stammesregionen (Federally Administered Tribal Areas - FATA), der an die afghanische Provinz Paktia grenzt. Bei den Angriffen wurden mindestens drei Angehörige des pakistanischen Frontier Corps getötet und drei weitere verletzt. Weshalb die Grenzposten überhaupt angegriffen wurden, ist derzeit Gegenstand einer Untersuchung der NATO in Afghanistan.

Die Angriffe lösten in Islamabad nicht zuletzt deshalb eine heftige Reaktion aus, weil bereits am 25. und am 27. September Kampfhubschrauber vom Typ Apache der US-Streitkräfte bei drei verschiedenen Aktionen erstmals Ziele in Pakistan angegriffen und dabei 55 Menschen getötet hatten. Laut US-Militärangaben handelte es sich bei den Getöteten allesamt um Mitglieder des mit den Taliban verbündeten Hakkani-Netzwerkes, die sich nach Pakistan absetzen wollten. Für die pakistanischen Behörden, die seit Jahren ungeachtet aller öffentlichen Aufregung die Drohnenangriffe der CIA auf Taliban-Ziele in der Grenzregion zu Afghanistan dulden, waren mit diesen Aktionen die Amerikaner und ihre Verbündeten zu weit gegangen. Es folgte nicht nur eine Protestnote des pakistanischen Außenministeriums, sondern es meldete auch am 28. September die Nachrichtenagentur Associated Press unter Verweis auf anonyme pakistanische Militärquellen, Islamabad habe in einer vertraulichen Botschaft an das NATO-Hauptquartier in Brüssel damit gedroht, die NATO-Konvois von Karatschi bis zur afghanischen Grenze, mittels derer die International Security Assistance Force (ISAF) 80 Prozent ihres Nachschubs erhält, nicht mehr abzusichern.

Vor diesem Hintergrund war die Beschießung der beiden Grenzposten und die Tötung mehrerer pakistanischer Soldaten eine ganze klare Provokation, auf die Islamabad kaum anders, als es geschah, hätte reagieren können. Die Tatsache, daß die Angriffe erfolgten, während der CIA-Chef Leon Panetta zu einen Besuch in Islamabad war, macht das ganze nur noch schlimmer. Bei einem Treffen mit General Shuja Pasha, dem Leiter des Inter-Services Intelligence Directorate (ISI), am 28. September hatte Panetta die Sorgen der pakistanischen Gastgeber beiseitegewischt und erstens behauptet, daß die durch Raketenangriffe in Pakistan Getöteten zu "100 Prozent" militante NATO-Gegner und keine Zivilisten seien, und zweitens, daß die CIA und die US-Streitkräfte bei der Durchführung solcher Angriffe stets die Souveränität Pakistans respektierten. In den pakistanischen Medien wurden die Äußerungen des CIA-Chefs mit Skepsis aufgenommen.

Derzeit läuft im südafghanischen Kandahar die bisher größte NATO-Offensive gegen die Taliban an. Parallel dazu hat seit Anfang September die Anzahl der per Drohnen durchgeführten Raketenangriffe auf mutmaßliche Taliban-Anhänger in Pakistan drastisch zugenommen. Unabhängigen Schätzungen zufolge - häufig sind die Leichen dermaßen verkohlt, daß keine eindeutige Identifizierung der Opfer mehr möglich ist - handelt es sich bei den meisten Getöteten um Zivilisten und in höchstens fünf bis zehn Prozent der Fälle um Aufständische. Entsprechend groß ist deshalb die Empörung unter den Pakistanern, die in Grenznähe leben. Die Zahl der jungen Männer, die sich gerade wegen dieser Angriffe den Anti-NATO-Aufständischen anschließen, dürfte beträchtlich sein. Deshalb kritisieren Aufstandsbekämpfungsexperten wie David Kilcullen diese Praxis als kontraproduktiv und fordern ihr Ende.

Leider sieht es nicht aus, als würde die Regierung von US-Präsident Barack Obama auf solchen Rat hören. Das Gegenteil ist der Fall. In einem Artikel, der am 28. September unter der Überschrift "C.I.A. Steps Up Drone Attacks in Pakistan to Thwart Taliban" in der New York Times erschienen ist, berichteten Mark Mazzetti und Eric Schmitt, US-General David Petraeus, der ISAF-Oberbefehlshaber, habe vor kurzem seinen pakistanischen Amtskollegen mit US-Bodenoperationen gegen Ziele in Pakistan gedroht, sollten sie selbst nicht endlich gegen die Taliban und Al Kaida in Nordwasiristan vorgehen. In dem neuesten Buch Bob Woodwards, "Obama's Wars", behauptet der mehrfache Pulitzerpreisträger, Petraeus und die CIA hätten längst eine "geheime Armee" aus 3000 Afghanen ausbilden lassen, die als Mitglieder sogenannter "Counterterrorism Pursuit Teams" immer wieder zu Ergreifungs- und Liquidierungsmissionen nach Pakistan entsandt würden. Darüber hinaus zitiert Woodward Obama dahingehend, daß der "Krebs" des internationalen Dschihadismus von Pakistan ausgehe und auch dort ausgerottet werden müsse. Das klingt, als wären die USA und Pakistan über kurz oder lang auf Kollisionskurs.

30. September 2010