Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/726: Obamas Truppenabzugsplan für Afghanistan in Gefahr (SB)


Obamas Truppenabzugsplan für Afghanistan in Gefahr

Das Pentagon torpediert Wiederwahl des amtierenden US-Präsidenten


Mit der Intervention in Libyen greifen die USA nunmehr zum dritten Mal innerhalb von zehn Jahren militärisch in ein muslimisches Land ein, wobei die ersten beiden Einsätze - in Afghanistan seit Oktober 2001 und im Irak seit März 2003 - immer noch nicht zu Ende sind. Dies erklärt, warum US-Präsident Barack Obama eine Weile gezögert hat, bis er dem Drängen seiner Außenministerin Hillary Clinton und deren Verbündeten, Susan Rice, der UN-Botschafterin Washingtons, und Samantha Power, das für Menschenrechtsfragen zuständige Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats, sowie der britische Premierminister David Cameron und der französische Präsident Nicolas Sarkozy, nachgab und grünes Licht für den Feldzug gegen Muammar Gaddhafi erteilte.

Obama will sich im November kommenden Jahres für eine zweite Amtszeit wählen lassen. Deswegen kann er nur hoffen, daß das Militärabenteuer in Libyen glimpflich abläuft und daß der beabsichtigte "Regimewechsel" rasch erfolgt. Nicht umsonst haben die USA darauf gedrängt, daß sie an der ganzen Aktion - und sei es nur nach außen hin - aus der zweiten Reihe operieren und daß die Führung bei der NATO liegt. Doch selbst wenn aus Sicht Washingtons alles in Libyen glattlaufen sollte, stellen die chronische Instabilität im Irak, aber vor allem die anhaltenden Kämpfe in Afghanistan für Obamas Wiederwahl eine große Gefahr dar.

Wie im Wahlkampf 2008 versprochen, hat Obama nach dem Amtsantritt im Januar 2009 die Zahl der im Irak stationierten US-Soldaten drastisch auf unter 50.000 Mann reduziert. Im letzten Sommer wurden die letzten US-Kampftruppen abgezogen. Geblieben sind in erster Linie Militärberater, Ausbilder und Waffenspezialisten, welche den irakischen Streitkräften bei der Herstellung von Ruhe und Ordnung helfen sollen. Da der politisch-religiöse Konflikt im Irak zwischen Sunniten und Schiiten jedoch immer noch tobt - wenn auch nicht annähernd so schlimm wie in den Jahren 2005 und 2006 -, könnte es durchaus sein, daß es auch nach dem eigentlichen vereinbarten Termin für den Abzug der letzten amerikanischen Soldaten im kommenden Juli eine begrenzte US-Militärpräsenz im Irak geben wird. Doch während das Pentagon gerne mehrere Stützpunkte im Irak behalten möchte, pocht der schiitische Geistliche Muktada Al Sadr, auf dessen politische Unterstützung die Regierung von Premierminister Nuri Al Maliki angewiesen ist, auf die Umsetzung der 2007 mit der Administration George W. Bush beschlossenen Vereinbarung bezüglich des Abzuges aller ausländischen Streitkräfte.

Auch wenn der Konflikt im Irak jederzeit wieder aufflammen kann, geht die größere Gefahr für Obamas Wiederwahl von Afghanistan aus. Auf Drängen des Pentagons hat Obama seit seinem Regierungsantritt die Anzahl der dort stationierten Truppen von rund 40.000 auf mehr als 100.000 Mann fast verdreifacht. Darüber hinaus ist in den beiden letzten Jahren die Anzahl der per Drohne durchgeführten Raketenangriffe auf mutmaßliche Talibanziele im pakistanischen Grenzgebiet drastisch angestiegen, während in Afghanistan selbst ISAF-Oberkommandeur General David Petraeus vergeblich jene Eskalationsstrategie zu forcieren versucht, die von neokonservativen Kommentatoren fälschlicherweise als Ursache für das Nachlassen der Gewalt 2007 und 2008 im Irak ausgelegt wird. Tatsächlich gingen die Kämpfe im Irak zwischen Sunniten und Schiiten nicht wegen Petraeus' "Surge" - wie die Amerikaner die damalige Truppenaufstockung nennen - zurück, sondern weil die beiden Volksgruppen der Gewalt müde, die großen "ethnischen Säuberungen" bereits vollzogen und Millionen von Menschen entweder ins Ausland geflohen oder zu Inlandsflüchtlinge geworden waren.

In Afghanistan haben Petraeus' Taktiken - verstärkte Luftangriffe, nächtliche Razzien der Spezialstreitkräfte zur Festnahme oder Liquidierung mutmaßlicher Talibanführer und das Bemühen um lokale Verbündete unter den Dorfältesten und Milizenführern mittels Bewaffnung und finanzieller Zuwendungen - nicht zum erwünschten Erfolg geführt. Die Taliban beherrschen nach wie vor weite Teile des Landes und scheinen auf ein unerschöpfliches Reservoir an Freiwilligen unter den Paschtunen Pakistans zurückgreifen zu können. Deswegen tritt Afghanistans Präsident Hamid Karsai seit längerem für eine Aussöhnung mit den Taliban ein, um den Krieg in Afghanistan zu beenden. Deswegen auch haben Lakhdar Brahmini, der ehemalige UN-Sondergesandte für Afghanistan, und Thomas Pickering, ein ehemaliger US-Botschafter und Staatssekretär im State Department, in einem am 23. März bei der New York Times erschienenen Gastkommentar umfassende Friedensverhandlungen gefordert, die sie als einzige Möglichkeit betrachten, dem Blutvergießen am Hindukusch ein Ende zu bereiten.

Brahimi und Pickering haben in den zurückliegenden Monaten Gespräche mit führenden Vertretern der US-Regierung, der NATO und den wichtigsten afghanischen Widerstandsgruppen, der Taliban, des Hakkani-Netzwerkes und der Hezb-i-Islami um den ehemaligen Mudschaheddinkämpfer Gulbuddin Hekmatyar, geführt. In ihrem gemeinsamen Bericht, den sie zum Thema Afghanistan für die in New York und Washington ansässige Century Foundation geschrieben haben, kommen sie zu dem Schluß, daß keine der beiden Seiten im Afghanistankrieg die andere entscheidend schlagen kann. Gleichzeitig teilen sie Petraeus' Hoffnung, "gemäßigte" Rebellen gegen die Kompromißlosen auszuspielen, um letztere auszuschalten, für vollkommen unrealistisch. Dafür sei die Allianz der drei Blöcke zu gefestigt und die Führungsposition von Talibanchef Mullah Muhammed Omar nach wie vor viel zu stark.

Der Century-Bericht von Brahmini und Pickering, zusammen mit Äußerungen von Hillary Clinton, die bei einer Rede vor der Asia Society in New York am 18. Februar von den Taliban lediglich verlangte, daß sie sich von Al Kaida trennen und sich zur afghanischen Verfassung bekennen müßten, um dort und von Washington wieder politisch anerkannt zu werden, läßt erkennen, daß es innerhalb der Obama-Regierung Bemühungen gibt, den Afghanistankrieg auf diplomatischem Wege zu beenden. Eine solche politische Lösung wäre auch im Sinne Barack Obamas. Als er Ende 2009 dem Drängen von Verteidigungsminister Robert Gates, Generalstabschef Admiral Michael Mullen und ISAF-Oberbefehlshaber Petraeus nach einer Aufstockung der in Afghanistan stationierten Soldaten um weitere 30.000 Mann stattgab, legte er sich gleichzeitig auf einen Beginn des Truppenabzugs im Juli 2011 fest.

Damit hat der US-Präsident seinen Militärs eineinhalb Jahre Zeit gegeben, um den von ihnen erstrebten militärischen Sieg in Afghanistan einzufahren. So oder so will Obama ab Mitte dieses Jahres die US-Truppenpräsenz in Afghanistan drastisch reduzieren, um im Wahlkampf einen sinn- und scheinbar auch endlosen Krieg rechtfertigen zu können. Leider sieht es aber für Obama nicht danach aus, als würden sich seine Militärberater an ihre Ende 2009 gegebenen Zusicherungen halten.

Bei einem Besuch in Bagram am 7. März erklärte Pentagonchef Gates, auch lange nach dem im kommenden Sommer beginnenden Truppenabzug und der für 2014 geplanten Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit von der NATO an die afghanische Armee und Polizei würden US-Streitkräfte weiterhin in Afghanistan stationiert sein. Am 11. März hat er sich abfällig über den geplanten Truppenabzug als einer "politischen Geste" geäußert. Am 14. März regte Petraeus bei einem Auftritt vor dem verteidigungspolitischen Ausschuß des Senats in Washington die Einrichtung gemeinsamer amerikanisch-afghanischer Militärstützpunkte in Afghanistan an. Am 15. März erklärte Michelle Flournoy, Staatssekretärin im US-Verteidigungsministerium, vor dem Kongreß in Washington ebenfalls, auch nach 2014 würden die US-Streitkräfte weiterhin "Antiterror-Operationen" von "gemeinsamen Basen" in Afghanistan aus durchführen.

In einem Artikel, der am 29. März von der Nachrichtenagentur Inter Press Service unter dem Titel "Long-Term Afghan Presence Likely to Derail Peace Talks" veröffentlicht worden ist, hat der Historiker Gareth Porter unter Verweis auf die Äußerungen Flournoys von einer gezielten Torpedierung der Bemühungen von Obama und Clinton um ein Ende des Afghanistankrieges durch das US-Militär gesprochen. Schließlich wisse jedes Kind, daß die Taliban stets den Abzug aller ausländischen Soldaten aus Afghanistan zur Bedingung für eine Friedenslösung gemacht haben, so Porter.

Ähnlich kritisch bewertet der langjährige CIA-Analytiker und prominente Friedensaktivist Ray McGovern das Festhalten des Pentagons am Ziel einer dauerhaften US-Militärpräsenz in Afghanistan. In einem Artikel, der am 29. März bei Consortiumnews.com unter der Überschrift "Obama Lacks Clarity on Afghan War" erschienen ist, zitierte McGovern eine Passage aus Bob Woodwards letztes Jahr erschienenem Buch "Obama's War", in der Petraeus, bekanntlich der Lieblingsgeneral der außenpolitischen Elite Washingtons, folgende höchst bedenkliche Sichtweise bezüglich der Lage in Afghanistan zum besten gegeben hatte: "... ich glaube nicht, daß man diesen Krieg gewinnt. Ich denke, man setzt den Kampf fort. Man muß dranbleiben. Es handelt sich hier um einen Kampf, den wir für den Rest unseres Lebens und wahrscheinlich auch den unserer Kinder werden ausfechten müssen."

30. März 2011