Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/761: Scheinheiliges Brimborium um Raketentest Nordkoreas (SB)


Scheinheiliges Brimborium um Raketentest Nordkoreas

Japan und Südkorea drohen Nordkoreas Unha-3-Rakete abzuschießen


Vom 26. bis 29. März treffen sich in Seoul die Regierungschefs aus 53 Staaten zum zweiten Weltgipfel für Nuklearsicherheit. Das erste Treffen fand vor zwei Jahren auf Initiative von US-Präsident Barack Obama in Washington statt. Bei dem auf alle zwei Jahre angelegten Gipfel geht es vordergründig darum, daß spaltbares Material nicht in die Hände gewaltbereiter, nicht-staatlicher Akteure gelangt. Das deckt sich auch mit der nationalen Sicherheitsdoktrin der USA, in der die Möglichkeit eines "terroristischen" Anschlags unter Einsatz von radioaktivem Material als "größte Bedrohung" des amerikanischen Volkes ausgewiesen wird. Hierbei handelt es sich um den propagandistischen Vorwand, um auf internationaler Ebene die Trennung zwischen den Besitzern von Atomwaffentechnologie und den nuklearen Habenichtsen aufrechtzuerhalten.

Atomwaffen sind seit 1945 das ultimative Machtmittel. Ihre Herstellung als auch die Technologie, sie für den Einsatz transportfähig zu machen - sei es als Bombe im Flugzeug oder als Sprengkopf einer ballistischen Rakete bzw. eines Marschflugkörpers - sind extrem aufwendig. Folglich liegt die Wahrscheinlichkeit, daß eine Staatsführung die wichtigsten Insignien ihrer Macht an Hasardeure im terroristischen Untergrund weitergeben würde, bei Null. Weder könnte man ausschließen, daß nukleares Material eventuell gegen einen selbst verwendet wird, noch die eigene Urheberschaft leugnen, falls damit ein Angriff auf einen gegnerischen Staat erfolgen sollte. So spielen westliche "Sicherheitsexperten" schon seit Jahren das Szenario eines Anschlags mit einer "schmutzigen" radioaktiven Bombe künstlich hoch. Hier käme es allerdings nicht zur gefürchteten Kettenreaktion und damit zur ungeheuerlichen Explosion einer regulären Atomwaffe, sondern der konventionelle Sprengstoff würde lediglich das beigefügte Spaltmaterial am Zielort verteilen. Zu Todesopfern käme es einzig unter denjenigen, die von der Wucht der konventionellen Bombe getroffen werden. Alle anderen Menschen könnten evakuiert und das verseuchte Gebiet über kurz oder lang dekontaminiert werden.

Für die Richtigkeit dieser Erläuterungen spricht, daß, wie die New York Times am 25. März richtig prognostizierte, der Nukleargipfel in der südkoreanischen Hauptstadt von "Ängsten bezüglich Nordkoreas und des Irans" beherrscht wird. Der Iran wird vor allem von den USA und Israel verdächtigt, im Rahmen seines zivilen Kernenergieprogramms heimlich die Entwicklung von Atomwaffen zu betreiben. Die Regierung in Teheran bestreitet dies. Trotz der Tatsache, daß die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) bei ihrer laufenden Überwachung der iranischen Atomanlagen bis heute keine Abzweigung spaltbaren Materials zu militärischen Zwecken und damit keinen Verstoß gegen den Nicht-Verbreitungsvertrag festgestellt hat, drohen US-Politiker ihrerseits ununterbrochen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, sollte Teheran nicht einlenken und auf die Anreicherung von Uran verzichten. Allein mit der ständig wiederholten Drohung, wonach "alle Optionen auf dem Tisch liegen", verstoßen die führenden Politiker in Washington - Obama, Außenministerin Hillary Clinton, Verteidigungsminister Leon Panetta und andere - gegen internationales Recht und die Verpflichtungen der USA als eine von nur fünf offiziellen Atommächten neben China, Frankreich, Großbritannien und Rußland gemäß des Nicht-Verbreitungsvertrages.

Wegen des für den Zeitraum zwischen dem 12. und 16. April geplanten Starts einer Langstreckenrakete zieht Nordkorea aktuell den Unmut der USA und ihrer Verbündeten auf sich. Mit dem Start der Unha-3-Rakete, die den Satelliten Kwangmyongsong-3 in eine Erdumlaufbahn befördern soll, wollen die Nordkoreaner den 100. Geburtstag des Staatsgründers Kim Il-sung, der auf den 15. April fällt, feiern. Eine solche Machtdemonstration - schließlich könnte Nordkorea eine Langstreckenrakete theoretisch auch mit einem Atomsprengkopf bestücken, um Japan und die USA zu bedrohen bzw. im Ernstfall anzugreifen - soll den Aufstieg von Kim Jong-un, Kim Il-sungs Enkel, zum Nachfolger seines Ende letzten Jahres verstorbenen Vaters Kim Jong-il, besiegeln. Für den 13. April ist eine Sitzung des Obersten Volkskongresses Nordkoreas anberaumt worden, auf dem zu erwarten ist, daß Kim Jong-un zum Vorsitzenden der Nationalen Verteidigungskommission und damit zum höchsten Amt im Staate gewählt wird. Bis zu seinem Tod im vergangenen Dezember hatte Kim Jong-il diesen Posten inne. Bereits September 2010 war Kim Jong-un Stellvertretender Vorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission und Ende letzten Jahres, nach dem Ableben seines Vaters, Oberbefehlshaber der nordkoreanischen Streitkräfte geworden.

Die USA haben den geplanten Raketenstart Nordkoreas als "destabilisierend" verurteilt. Die 240.000 Tonnen Lebensmittelhilfe, die Washington am 29. Februar für Nordkorea nach dessen Entscheidung, wieder IAEA-Inspektoren ins Land zu lassen, angekündigt hatte, wird vorerst verschoben. Bei Gesprächen am 26. März in Seoul mit Hu Jintao und Dmitri Medwedew hat Obama die Präsidenten Chinas und Rußlands aufgefordert, ihren Einfluß in Pjöngjang geltend zu machen und die Nordkoreaner von ihrem umstrittenen Vorhaben abzubringen. Inzwischen drohen Südkorea und Japan ihrerseits, die nordkoreanische Rakete abzuschießen, sollte sich ihre Flugbahn als bedrohlich erweisen. Zu diesem Zweck hat der japanische Verteidigungsminister Naoki Tanaka am 23. März die Aufstellung von Raketenabwehrbatterien vom Typ Patriot Advanced Capability, auch PAC-3, genannt, bekanntgegeben. Gegen den geplanten Start haben sogar die Philippinen protestiert, angeblich aus Angst, abgeworfene Raketenstufen könnten auf den Inselstaat herunterregnen.

Jedes Jahr werden Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte von Raketen getestet oder sie befördern Satelliten in den All, ohne daß die Öffentlichkeit besondere Notiz davon nimmt. Zum großen Brimborium kommt es immer nur dann, wenn der Iran oder Nordkorea ähnliches beabsichtigen. Stellt man sich die Frage nach dem Grund für diese Ungleichbehandlung, kommt man nicht um die Erkenntnis herum, daß nur von iranischen und nordkoreanischen Raketenstarts eine Gefährdung für den Weltfrieden ausgeht, weil sich beide Staaten weigern, die Vormundschaft der USA zu akzeptieren und im Vergleich zu China und Rußland diplomatisch leicht herumgeschubst werden können. Drei Jahre nach dem Ende der Ära von George W. Bush scheint dessen Wahnvorstellung von einer "Achse des Bösen" immer noch die Außenpolitik der USA zu bestimmen.

26. März 2012