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ASIEN/803: Kabul und Washington streiten um Sicherheitsabkommen (SB)


Kabul und Washington streiten um Sicherheitsabkommen

Hamid Karsai will den umstrittenen Vertrag nicht selbst unterschreiben



Während in Kabul die Loya Jirga, die traditionelle große Ratsversammlung, tagt, um über das Sicherheitsabkommen Afghanistans mit den USA zu beraten, ist ein heftiger Streit zu diesem Thema zwischen Kabul und Washington ausgebrochen. Die Regierung Barack Obamas will, daß das geplante Bilateral Security Agreement (BSA), das einen Verbleib von rund 8000 US-Soldaten in Afghanistan nach dem Ablauf der Frist für den Abzug der letzten NATO-Truppen am 31. Dezember 2014 regeln soll, noch vor Ende dieses Jahres unter Dach und Fach ist. Afghanistans Präsident Hamid Karsai, dessen Amtszeit in wenigen Monaten endet und der laut Verfassung bei der Wahl im April nicht mehr kandidieren darf, hat das Ultimatum Washingtons am 21. November, dem ersten von vier Tagen der Loya Jirga, zurückgewiesen und kategorisch erklärt, erst sein Nachfolger als Staatsoberhaupt würde das Dokument unterzeichnen.

In der US-Hauptstadt war man über die Ankündigung Karsais mehr als ungehalten. Am 22. November hat Außenminister John Kerry deswegen beim afghanischen Präsidenten angerufen und ihm mitgeteilt, daß in der Frage des bilateralen Sicherheitsabkommens "eine weitere Verzögerung weder praktikabel noch vertretbar" sei. Die Formulierung von Kerrys Sprecher Jen Psaki, wonach eine Nicht-Paraphierung des Vertrags in diesem Jahr "der Welt signalisieren würde, daß sich Afghanistan zu der Partnerschaft mit seinen Unterstützern nicht verpflichtet sieht und bereit ist, alle finanzielle und praktische Hilfe, die angeboten worden ist, aufs Spiel zu setzen", läßt erkennen, daß Amerikas Chefdiplomat auch vor Drohungen nicht zurückschreckte. Ohne die rund acht Milliarden Dollar, die Afghanistan für seine Sicherheitsausgaben jedes Jahr von der "internationalen Gemeinschaft" erhält, wäre Kabul nicht in der Lage, seine derzeit 350.000 Mann starke Armee und Polizei zu unterhalten. Auf einer Sicherheitstagung in Halifax in der kanadischen Provinz Nova Scotia erklärte ebenfalls am 22. November US-Verteidigungsminister Chuck Hagel, bekomme Washington vor Ende dieses Jahres kein grünes Licht aus Kabul, könne er Präsident Obama nicht empfehlen, die Planung für eine US-Militärpräsenz ab 2014 in Afghanistan fortzusetzen.

Die Weigerung Karsais, seine Unterschrift unter das geplante Sicherheitsabkommen zu setzen, ist keine große Überraschung. Zwar steht Afghanistans Präsident der Zusammenarbeit mit den USA wohlwollend gegenüber, doch scheut er sich davor, in die Geschichtsbücher als die Person einzugehen, die der langfristigen Besatzung seines Landes durch ausländische Truppen den Weg öffnete. Er hat die Loya Jirga zusammengerufen, damit die umstrittene Entscheidung von einem breiten Konsens getragen ist. Karsai hat schon einmal den Verdacht geäußert, daß es den USA bei der Einrichtung von neuen dauerhaften Militärstützpunkten am Hindukusch weniger um die Bekämpfung von Al Kaida oder die Sicherheit Afghanistans als vielmehr um die Kontrolle Zentralasiens und die Eindämmung von China und Rußland geht. Bei der Eröffnung der Loya Jirga, noch während er noch um die Zustimmung zum Sicherheitsabkommen warb, räumte er sogar ein, daß er den Amerikanern nicht vertraue, wie sie ihm auch nicht vertrauten.

Bisher galten als Hauptstreitpunkte zwischen den Regierungen Afghanistans und der USA die Forderung Washingtons, wonach amerikanische Soldaten in Afghanistan nicht der dortigen Gerichtsbarkeit unterworfen werden dürfen, und die Frage, inwieweit die ausländischen Truppen Hausdurchsuchungen durchführen dürfen. Nach dem von Kerry und Karsai kurz vor Beginn der Loya Jirga ausgehandelten Text sollen die nächtlichen Razzien nur bei dringendem Handlungsbedarf und nur in Begleitung von afghanischen Offizieren durchgeführt werden. Wie bei üblichen State of Forces Agreements (SOFA) der USA mit anderen Ländern werden sich die amerikanischen Soldaten bei Vergehen in Afghanistan gegenüber den eigenen Militärbehörden und nicht den Gerichten des Gastlandes zu verantworten haben. Zudem hat das Pentagon durchgesetzt, daß ausländische Dienstleistungsunternehmen weiterhin steuerfrei für die US-Streitkräfte in Afghanistan arbeiten dürfen.

In den letzten Jahren haben sich die USA vergeblich bemüht, zu irgendeiner Art von Verständigung mit den Taliban zu kommen, die ein Ende des Krieges in Afghanistan einleiten könnte. Doch alle Annäherungsversuche Washingtons sind an der Kernforderung der Taliban nach Abzug sämtlicher ausländischer Militärangehöriger aus Afghanistan gescheitert. Ein Abrücken der Männer um Mullah Mohammed Omar von dieser Position ist nicht in Sicht. Also ist mit einer Fortsetzung und vielleicht sogar einer Eskalation des Krieges in Afghanistan nach dem offiziellen Ende der NATO-Mission dort im kommenden Jahr zu rechnen.

23. November 2013