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ASIEN/809: Volksrepublik China und Taiwan kommen sich näher (SB)


Volksrepublik China und Taiwan kommen sich näher

Historisches Treffen zwischen Volkschinesen und Taiwanesen in Nanjing



In einer Zeit zunehmender Spannungen in Ostasien hat China am 11. Februar einen wichtigen PR-Erfolg erzielen können. An diesem Tag kam es zu den ersten Regierungskonsultationen seit 1949 zwischen Vertretern der Volksrepublik China und Taiwan, das den offiziellen Titel Republik China trägt. Der Ort der Begegnung, Nanjing, war auch von großer symbolischer Bedeutung. Nach dem Untergang der Mandschu-Dynastie 1912 wurde die ostchinesische Metropole zur Hauptstadt der von Sun Yat-sen ausgerufenen Republik China, als deren Nachfolgerin sich Taiwan heute noch sieht. 1937 haben japanische Invasionstruppen Nanjing eingenommen und an der Bevölkerung der Stadt ein grausames Massaker mit Zehntausenden Toten verübt. Zuvor war die national-konservative Kuomintang-Regierung Chang Kai-sheks geflohen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zwischen Chinas Nationalisten und Kommunisten zum Bürgerkrieg. Nach der Niederlage 1949 siedelte Changs Kuomintang samt Armee nach Taiwan über, das die japanischen Besatzer vier Jahre zuvor geräumt hatten.

Lange Jahre galt die Republik China international als rechtmäßige Vertreterin des Reichs der Mitte, und es waren Kuomintang-Diplomaten aus Taipeh, welche die Vetomacht Chinas im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ausübten. Nach dem historischen Besuch Richard Nixons in Peking 1972 änderte sich jedoch die Lage völlig. Sieben Jahre später brachen die USA die bisherigen Beziehungen zu Taiwan ab und erkannten die Volksrepublik als legitime Vertreterin Chinas an. Die meisten UN-Mitgliedsstaaten folgten dem Schritt der Amerikaner. Zuvor hatten sich Washington und Peking auf die Ein-China-Formel geeinigt. Demnach ist Taiwan ein Bestandteil Chinas, doch darf die Wiedervereinigung der Insel mit dem Festland nur mit friedlichen Mitteln erfolgen. Um letzteres zu gewährleisten, haben die USA für Taiwan eine Sicherheitsgarantie abgegeben.

Drei Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 gab die Kuomintang ihre Diktatur auf Taiwan zugunsten eines demokratischen Systems auf. Seitdem beherrschen zwei konkurrierende Blöcke die Politik auf der Insel. Die pan-blaue Koalition, die aus der nationalistischen Kuomintang (KMT) und der kleineren Neuen Partei (CNP) besteht, befürwortet die Annäherung an die Volksrepublik und die Wiedervereinigung Taiwans mit dem Festland nach entsprechenden Reformen dort zu einem "demokratischen" China. Die pan-grüne Koalition aus der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) und der kleineren Taiwan Unabhängigkeitspartei (TAIP) tritt für die staatliche Souveränität der Insel und die vollständige Loslösung vom Festland ein und strebt nach einer engeren Anbindung an die USA und deren wichtigsten ostasiatischen Verbündeten, der ehemaligen Kolonialmacht Japan.

1993 kam es in Singapur zu ersten informellen Gesprächen zwischen Vertretern Pekings und Taipehs. Zwecks Verbesserung der Beziehungen über die Taiwan-Straße hinweg wurden zwei Nicht-Regierungsorganisationen, die Straits Exchange Foundation (SEF) in Taipeh und die Association for Relations Across the Taiwan Strait (ARATS) in Peking gegründet. Seitdem ist der Waren- und Personenverkehr zwischen Insel und Festland enorm angestiegen. Taiwanesische Investitionen haben nicht unerheblich zum wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik beigetragen. Gleichwohl stehen viele der 23 Millionen Taiwanesen der von der Regierung in Peking angestrebten Wiedervereinigung Chinas skeptisch gegenüber. Sie befürchten, vom Festland mit seinen mehr als eineinhalb Milliarden Menschen an die Wand gedrückt und von den dort regierenden Kommunisten ihrer demokratischen Rechte beraubt zu werden.

2008 wurde Ma Ying-jeou von der Kuomintang zum Präsidenten Taiwans gewählt. 2012 erfolgte seine Wiederwahl. Während der Präsidentschaft des in Hongkong geborenen Mas sind so viele Reise- und Handelserleichterungen zwischen Taiwan und der Volksrepublik erfolgt wie noch niemals zuvor. Erstmals durften Volkschinesen die Inselrepublik Taiwan als Touristen besuchen (2013 waren es drei Millionen). Direkte Luft- und Seeverbindungen wurden eingerichtet und auf den früheren Umweg über Hongkong wurde verzichtet. Für viele Produkte sowie Finanzdienstleistungen aus der Volksrepublik wurde der taiwanesische Markt geöffnet. Letztes Jahr betrug der Handel zwischen Taiwan und der Volksrepublik einen Wert von 197 Milliarden Dollar. Ma hat sich mehrmals zum Ziel der eventuellen Wiedervereinigung Chinas bekannt, wenngleich als Bedingungen dafür demokratische Reformen in der Volksrepublik und die Zustimmung einer Mehrheit der Taiwanesen genannt.

Die Amtszeit des ehemaligen Bürgermeisters von Taipeh läuft in zwei Jahren aus. Bis dahin will die Führung in Peking offenbar auf dem Feld der bilateralen Beziehungen mit Taipeh weitere Fortschritte erzielen, die selbst nach einem Sieg eines Kandidaten der Unabhängigkeitsbefürworter 2016 nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Gleich beim ersten Tag des Treffens in Nanjing haben Wang Yu-chi, der Leiter des Mainland Affairs Council in Taipeh, und Zhang Zhijun, Chef des Taiwan Affairs Office in Peking, die Einrichtung ständiger Kommunikationsverbindungen zwischen ihren beiden Ämtern beschlossen. Im weiteren Verlauf der Gespräche erörterten die Regierungsvertreter die Rechte von Taiwanesen in der Volksrepublik - Journalisten, Studenten und Personen, die von der Polizei festgenommen werden - sowie über die mögliche Aufnahme Taiwans in die verschiedenen Regionalorganisationen Asiens. Am zweiten Tag des Festlandsbesuch legte Wang am Grab Sun Yat-sens, dessen Mausoleum vor den Toren Nanjings liegt, einen Kranz nieder.

Sichtbare Versöhnung mit Taipeh ist für Peking nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch von Nutzen. Wegen der geographischen Lage ist Taiwan auch in den Streit um den Besitz der Senkaku/Diaoyu-Inseln, die sich derzeit in japanischer Verwaltung befinden, sowie um Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer verwickelt. Nicht umsonst hat Tokio im April 2013 mit Taipeh ein Abkommen geschlossen, das taiwanesischen Fischern ungehinderten Zugang zu den Gewässern um die Senkaku/Diaoyu-Inseln gewährt. Gelingt es der Volksrepublik, mit Taiwan eine gemeinsame Position in den besagten Streitereien zu erzielen, würde dies Pekings diplomatische Position gegenüber Japan als auch den Philippinen deutlich stärken.

13. Februar 2014