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ASIEN/849: Aung San Suu Kyi läßt Myanmars Muslime im Stich (SB)


Aung San Suu Kyi läßt Myanmars Muslime im Stich

Friedensnobelpreisträgerin unternimmt nichts gegen Islamophobie


Als einer der großen Erfolge der Amtszeit von Hillary Clinton als US-Außenministerin gilt die "demokratische Öffnung" Myanmars - Richtung Westen und weg von der Volksrepublik China, versteht sich. 2010 hatte die birmesische Militärdiktatur auf Drängen Washingtons das Hausarrest für die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi aufgehoben. 2012 konnte deren National Liga für Demokratie (NLD) die ersten Parlamentswahlen seit rund 20 Jahren gewinnen. Heute regiert Suu Kyi in Naypyidaw als Premier- und Außenministerin in Personalunion. Traurigerweise geht die von Clinton und Suu Kyi eingeleitete Abkehr Myanmars von der Militärherrschaft hin zur "Demokratie" mit einer drastischen Verschlechterung der Menschenrechtslage der muslimischen Minderheit einher. Diese sieht sich blutigsten Übergriffen der Streitkräfte und buddhistischen Ethnofaschisten ausgesetzt. Es droht sogar ein Völkermord, ohne daß die im Westen wie ein Popstar gefeierte Suu Kyi auch nur einen Finger krümmt.

Offiziell gibt es in Myanmar 135 verschiedene Volksgruppen. Obwohl die 1,1 Million Menschen zählende muslimische Ethnie der Rohingya seit Jahrhunderten nachweislich in der heutigen Provinz Rakhine, dem früheren Königreich Arakan, angesiedelt ist, gelten deren Angehörige nicht als Burmesen. Praktisch alle anderen der rund 60 Millionen Bürger Myanmars sind Buddhisten. Statt dessen werden die Rohingya seit 1982 formell als illegale Einwanderer aus Bengalen, die eigentlich nach Bangladesch abgeschoben gehören, behandelt. Ihnen werden dadurch wichtige Bürgerrechte vorenthalten. 2012 kam es in Rakhine zu schweren Ausschreitungen, die mehreren hundert Rohingya das Leben kosteten. Auslöser war die angebliche Vergewaltigung einer buddhistischen Frau durch eine Gruppe Moslems. Bis heute ist nicht klar, ob sich der Vorfall überhaupt ereignet hat oder nicht. Dessen ungeachtet wurde damals das Viertel der Rohingya in der Hafenstadt Kyaukpyu vollkommen niedergebrannt. Hunderttausende Moslems mußten fliehen, um ihr Leben zu retten. Einige haben es in Fischerbooten nach Bangladesch geschafft; andere wiederum sind bei dem Versuch ertrunken. Heute vegetieren mehr als 120.000 Rohingya in provisorischen Notunterkünften am Rande von Rakhines Provinzhauptstadt Sittwe dahin. 2015 kam es zu einer regelrechten Flüchtlingskrise, als Zehntausende Rohingya zum Teil erfolgreich, zum Teil vergeblich mit Fischerbooten und kleinen Schiffen nach Thailand, Indonesien und Bangladesch der Gewalt und der Repression zu entkommen versuchten.

Suu Kyi spielt in der ganzen Entwicklung eine unrühmlich, für eine Friedensnobelpreisträgerin unwürdige Rolle. Für die zahlreichen Appelle aus dem Ausland, sich für die Rohingya einzusetzen, sich gegen deren Diskriminierung und Mißhandlung auszusprechen, zeigt sie sich bis heute mehr oder weniger taub. 2012 hat sie sich dem Druck buddhistischer Hetzer und Krawallmacher gebeugt und dafür gesorgt, daß in Rakhine, wo die Rohingya die Bevölkerungsmehrheit stellen, ein muslimisches Mitglied ihrer NLD als Kandidat für die Parlamentswahlen nicht aufgestellt wurde bzw. dessen Name von der Kandidatenliste verschwand. Im vergangenen Mai wurde bekannt, daß Suu Kyi den neuen US-Botschafter in Myanmar, Scott Marciel, darum gebeten hatte, den Begriff "Rohingya", der in der Liste der in Myanmar anerkannten Volksgruppen nirgendwo zu finden ist, nicht zu nutzen. Marciel hat sich demonstrativ geweigert, sich dem amtlichen Sprachgebrauch Naypyidaws anzupassen. Der Grund für die Bitte Suu Kyis ist einfach. Das Wort Rohingya ist eine indoarische Variante des Namens Rakhine und weist somit auf die lange Besiedlung dieses Landstrichs am östlichen Rand des Indischen Ozeans durch die Muslime dort hin.

Auf die vielfache internationale Kritik hat die Regierung in Myanmar im August endlich reagiert und eine Sonderkommission der Vereinten Nationen unter dem Vorsitz des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan mit einer Untersuchung der ethnisch-religiösen Probleme in Rakhine beauftragt. Doch da war es inzwischen schon zu spät. Anfang Oktober haben militante Rohingya die Sache in die eigenen Hände genommen, drei Posten an der Grenze zu Bangladesh überfallen und dabei neun Soldaten getötet. Seitdem herrscht in Rakhine der Ausnahmezustand. Aus den spärlichen Berichten, die aus der Unruheprovinz kommen, läßt sich entnehmen, daß Birmas Militärs ganze Dörfer niederbrennen, Männer umbringen und Frauen vergewaltigen. Zahlreiche Rohingya sind in die Wälder geflohen, einige von ihnen werden dennoch dort niedergemetzelt. Der Arakan Rohingya National Organization zufolge waren allein im Bezirk Maungdaw zwischen dem 12. und 15. November 150 Zivilisten von den marodierenden staatlichen Streitkräften ums Leben gebracht worden.

Die international anerkannte Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat am 16. November Satellitenbilder niedergebrannter Siedlungen der Rohingya in Rakhine veröffentlicht. Die Echtheit der Aufnahmen wird von Militär und Regierung Myanmars in Frage gestellt. Dasselbe Militär hatte noch im September erklärt, alle von den Rohingya "illegal" aufgebauten Gebäude, darunter 2500 Wohnungen, 600 Läden, ein Dutzend Moscheen und 30 Schulen, beseitigen zu wollen. Auf neuerliche Berichte von sexuellen Übergriffen der Militärs reagierte U Aung Win von der Arakan Nationalpartei (ANP), der zugleich Vorsitzender der staatlichen Untersuchungskommission in Rakhine zu den Grenzvorfällen am 9. Oktober ist, gegenüber der BBC mit dem ungeheuerlichen Spruch, die Soldaten hätten unmöglich die drei Dorfmädchen vergewaltigen können, weil Rohingya-Frauen "sehr schmutzig" seien. Währenddessen spielt die Demokratie-Ikone Suu Kyi die grausamen Vorgänge herunter. Vor kurzem erklärte sie gegenüber der Washington Post, daß "die Situation in Rakhine das Erbe vieler Jahrzehnte der Probleme" sei; eine Verbesserung werde man nicht "über Nacht" schaffen, denn sie "braucht Zeit". Damit hat sich Suu Kyi als verläßliche Marionette der Generäle erwiesen, die hinter den Kulissen in Myanmar bis heute die Fäden ziehen.

18. November 2016


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