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ASIEN/850: Donald Trump provoziert diplomatische Krise mit China (SB)


Donald Trump provoziert diplomatische Krise mit China

Noch nicht einmal im Weißen Haus spielt Trump die Taiwan-Karte aus


Als Politneuling Donald Trump entgegen allen Erwartungen der Konzernmedien und der meisten Demoskopen die ehemalige First Lady, Senatorin von New York und Außenministerin Hillary Clinton bei der US-Präsidentenwahl am 8. November besiegte, reagierten viele in Friedensaktivistenkreisen mit Erleichterung. Durch die Niederlage der demokratischen Kandidatin, die im Wahlkampf gegen das Erstarken von Rußland und Wladimir Putin rhetorisch zu Felde gezogen war, die eigene Email-Affäre auf Hackerangriffe des Kremls zurückzuführen versuchte und für die Verhängung einer Flugverbotszone in Syrien gegen den Willen Moskaus eintrat, sei der Welt der Dritte Weltkrieg erspart geblieben, dachten sich nicht wenige linke Politbeobachter. Leider währte die Entwarnung nicht lange. Nicht einmal in das Weiße Haus eingezogen, hat der designierte US-Präsident Trump durch Kontaktaufnahme mit der Präsidentin Taiwans eine diplomatische Krise mit der Volksrepublik China provoziert. Ein neuer Kalter Krieg zwischen Washington und Peking bahnt sich an, der jederzeit in einem Nuklearinferno enden kann.

Seit Wochen betreibt Trump mittels Twittermeldungen, Telefonaten und Privattreffen in seinem Penthouse im obersten Stockwerk des nach ihm genannten Wolkenkratzerturms am New Yorker Central Park in Manhattan eine eigene Diplomatie am State Department und Noch-Präsidenten Barack Obama vorbei. Die mangelnde Vorsicht und die Flapsigkeit, die Trump dabei an den Tag legt - Großbritanniens Premierministerin Theresa May hat er telefonisch gesagt, sie solle "sich melden", das nächste Mal, wenn sie in die USA reise - hat international für Irritationen gesorgt. Trumps überambitionierte und gleichzeitig unbeholfene Gehversuche auf dem diplomatischen Parkett waren Gegenstand eines Artikels, der am 2. Dezember bei der New York Times unter der Überschrift "Trump's Breezy Calls to World Leaders Leave Diplomats Aghast" erschienen ist. Dort hieß es, sowohl der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, als auch des US-Außenministeriums, John Kirby, hätten öffentlich Trump die Hilfe der zuständigen Experten angeboten und ihn zur Einhaltung bewährter Gepflogenheiten ermahnt - offenbar vergeblich.

Der gefährliche Mangel des Immobilienmagnaten und Realityfernsehstars an jeder Art von Mäßigung oder Zurückhaltung in seinem Verhalten wurde vollends offenkundig, als am 3. Dezember bekannt wurde, daß Trump gerade am Tag der Veröffentlichung besagter NYT-Artikel zehn Minuten lang mit der Präsidentin Taiwans, Tsai Ing-wen, telefoniert hatte. Die Regierung Taiwans hat die sensationelle Nachricht von dem Telefonat über die Taipeh Times durchsickern lassen. In einer ersten Reaktion gegenüber der Financial Times erklärte Evan Medeiros, Leiter der Asien-Abteilung im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses: "Die chinesische Führung wird dies als eine hochprovokante Aktion von historischen Dimensionen betrachten."

Das Telefonat ist deshalb ein Affront, weil die USA seit 1979 keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan unterhalten. Für Washington ist die Volksrepublik das einzige China; Taiwan, wohin die nationalistische Kuomintang unter Chiang Kai-shek nach der Niederlage gegen die Kommunisten Mao Zedongs im Bürgerkrieg 1949 floh, gilt als Teil Chinas und die Wiedervereinigung der Insel mit dem Festland als erstrebenswert, solange sie auf ausschließlich friedlichem Wege erfolgt. Damit die Volksrepublik niemals auf die Idee kommt, Taiwan mit Waffengewalt einzuverleiben, beliefert Washington Taipeh seit Jahren mit größeren Mengen Waffen; die USA haben sich sogar vertraglich zur Verteidigung Taiwans vor jedweder Militäraggression verpflichtet.

In den letzten Jahren sind sich die Volksrepublik und Taiwan immer näher gekommen. Sie treiben im großen Stil Handel. Es herrscht in der Taiwan-Straße praktische Reisefreiheit. Durch politische Annäherung und wirtschaftliche Zusammenarbeit will Peking die Wiedervereinigung der "abtrünnigen Provinz" sanft herbeiführen. Während die Nachfolger der Kuomintang-Gründergeneration die Annäherung an das Festland befürworten, lehnen die Taiwan-Nationalisten sie ab, verteufeln die Volksrepublik als kommunistischen Unrechtsstaat und kehren bei jeder Gelegenheit die eigene demokratische Regierungsform groß heraus. Die Taiwan-Nationalisten, deren Vertreterin Tsai im vergangenen Januar die Präsidentenwahl gewonnen hat, können sich auf die Unterstützung revanchistischer Kreise sowohl in den USA als auch bei der ehemaligen Kolonialmacht Japan stützen, die China den Aufstieg zur Weltmacht mißgönnen.

Haben die Sinophoben in den letzten vier Jahrzehnten in Washington wenig zu melden gehabt, so scheint sich dies nach der Wahl Trumps dramatisch zu verändern. Als es Kritik an seinem Telefonat mit Tsai hagelte, reagierte Trump wie gewohnt dünnhäutig und unwirsch. Per Twitter behauptete er, Tsai hätte ihn zur Gratulation wegen der Wahl zum US-Präsidenten angerufen und nicht umgekehrt. Später gab er sich ebenfalls per Twitter verwundert darüber, daß die USA Taiwan "Milliarden von Dollar an Militärausrüstung" verkaufen, er aber mit dessen Präsidentin nicht sprechen dürfen solle. In Peking hielt man den Ball flach und deklarierte das Telefongespräch zu einem Ausdruck der "Unerfahrenheit" des Noch-Privatmanns Trump. Gleichzeitig ließ die Führung in Peking durchblicken, daß die Volksrepublik, sollte Trump nach der Amtseinführung Ende Januar weiterhin die "Eine-China-Politik" in Frage stellen, die diplomatischen Beziehungen zu den USA gänzlich abbrechen werde.

Inzwischen stellte sich heraus, daß das Telefon zwischen dem Präsidentenamt in Taipeh und Trump Tower kein Lapsus gewesen ist, sondern eine von langer Hand geplante Provokation. In einem Artikel, der am 4. Dezember bei der Washington Post erschienen ist, hieß es: "Donald Trumps protokollbrechendes Telefonat mit der taiwanesischen Staatschefin ... ist das Ergebnis von Monaten stiller Vorbereitungen und Überlegungen unter Trumps Beratern bezüglich einer neuen Strategie des Engagements mit Taiwan, die begannen, noch bevor er republikanischer Präsidentschaftskandidat wurde." Vor diesem Hintergrund dürfte es kein Zufall sein, daß der einzige ausländische Regierungschef, den Trump seit der Präsidentenwahl in New York zum Gespräch empfangen hat, Japans Premierminister Shinzo Abe gewesen ist.

Zu den wichtigsten Persönlichkeiten hinter der hochaggressiven China-Strategie Trumps gehören laut Washington Post Reince Priebus, der Noch-Vorsitzende der republikanischen Partei, der demnächst im Weißen Haus das Amt des Stabchefs übernimmt, und Wirtschaftsprofessor Peter Navarro, der vor einigen Monaten in der einflußreichen Fachzeitschrift Foreign Policy Trumps "Frieden-Durch-Stärke-Vision für die Asiatisch-Pazifische Region" erläuterte. Daß Trump nach seiner ganzen Anti-China-Polemik im Wahlkampf als Präsident einen noch gefährlicheren Kurs gegenüber der Volksrepublik einzuschlagen gedenkt, zeigen die jüngsten Twitter-Absonderungen des Prahlhanses aus Queens. Als die Kritik am Telefonat mit Tsai noch am 4. Dezember anhielt, twitterte Trump: "Haben uns die Chinesen gefragt, ob es OK sei, ihre Währung abzuwerten (was den Wettbewerbsdruck auf unsere Konzerne erhöht), unsere Produkte in ihrem Land mit schweren Zöllen zu belegen (die USA machen dies nicht) oder einen massiven militärischen Komplex mitten im Südchinesischen Meer zu bauen? Ich denke nicht!"

Die Konfrontation zwischen den USA und China bahnt sich seit längerem an. Spätestens seit Hillary Clinton beim ASEAN-Regionalforum im Juli 2010 in Hanoi die ungehinderte Seefahrt im Südchinesischen Meer zum "nationalen Interesse" der USA erklärt und beim APEC-Gipfel in Honolulu im September 2011 "America's Pacific Century" ausgerufen hat, befinden sich Washington und Peking auf Kollisionskurs. Die USA haben seitdem ihre militärische Präsenz im chinanahen Raum - von Südkorea, über Japan, Taiwan, den Philippinen, Indonesien, Australien bis nach Indien - drastisch erhöht. Die jüngste Nachricht, wonach John Bolton das Rennen für den Posten als Außenminister Trumps macht, kündigt Unheil an. Dem Ex-UN-Botschafter George W. Bushs haftet der Ruf als unverbesserlicher Kriegstreiber an. Zur Kontroverse um das Telefonat zwischen Trump und Tsai erklärte Bolton am 4. Dezember gegenüber dem konservativen Nachrichtensender Fox News, die USA sollten "Bewegung in die Beziehungen" zu China "bringen". "Seit einigen Jahren hat China aggressive, kriegslüsternde Ansprüche im Südchinesischen Meer erhoben. Niemand in Beijing soll uns vorschreiben, mit wem wir telefonieren", so der erzreaktionäre Republikaner.

Eins steht fest: Die Börsenmakler, die gleich nach Bekanntwerden von Trumps Sieg bei der Präsidentenwahl für einen sprunghaften Anstieg des Wertes aller US-Rüstungsaktien sorgten, haben den richtigen Riecher gehabt. Offenbar lautet Trumps Rezept zur Ankurbelung der US-Wirtschaft - "Make Amerika Great Again" -, ein Wettrüsten mit China zu veranstalten. Das große Problem beim Militärkeynesianismus ist jedoch, daß er leicht in einen echten Krieg ausarten kann.

5. Dezember 2016


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