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ASIEN/859: Gulbuddin Hekmatyar kehrt nach Kabul zurück (SB)


Gulbuddin Hekmatyar kehrt nach Kabul zurück

Ex-Mudschaheddin und Islamistenführer fordert Ende des Krieges


Mehr als 16 Jahre und eine Billion Dollar Militärausgaben später ist in Afghanistan immer noch kein Ende des längsten Kriegs in der Geschichte der USA in Sicht. Aktuell sind rund 8.500 US-Soldaten am Hindukusch stationiert. Demnächst soll der neue US-Präsident Donald Trump auf Drängen des Pentagons eine Aufstockung der amerikanischen Militärpräsenz in Afghanistan von mindestens 3000 Mann absegnen. Man kann davon ausgehen, daß Trump beim NATO-Gipfel am 25. Mai in Brüssel den entsprechenden Einsatz weiterer europäischer Truppen in Afghanistan einfordern wird. Wozu dies alles gut sein soll, ist unklar. Schließlich hat sich 2009 der letzte frischgebackene US-Präsident, nämlich Barack Obama, zur Entsendung von 30.000 Soldaten nach Afghanistan überreden lassen, die zwar zu einigen taktischen Siegen, jedoch zu keinem durchschlagenden Erfolg gegen die Taliban geführt hatte.

Auch wenn die NATO behauptet, durch ihre Präsenz in Afghanistan für "Frieden" und "Stabilität" sorgen zu wollen - faktisch bewirkt sie das Gegenteil. 2016 hatten die afghanischen Streitkräfte ihre höchsten Verluste seit Beginn des Kriegs zu verzeichnen gehabt. Unter der anhaltenden Gewaltwelle leidet die Zivilbevölkerung enorm. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres ist im Vergleich zum selben Zeitraum 2016 nach Angaben der Vereinten Nationen die Anzahl der getöteten Frauen und Kinder - allesamt Zivilisten - um 54 respektive 17 Prozent gestiegen. Als Machtdemonstration hat das US-Militär am 13. April auf ein unterirdisches Versteck der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) in der Provinz Nangahar die sogenannte "Mother of All Bombs" (MOAB) abgeworfen. Bis heute weiß niemand, ob und wieviel IS-Kämpfer durch die Detonation der 8500 Kilogramm schweren Bombe getötet wurden.

Von der großen MOAB-Inszenierung haben sich jedenfalls die Taliban nicht beeindrucken lassen. Am 21. April haben sich zehn schwerbewaffnete Taliban-Freiwillige, die als reguläre Militärs gekleidet waren, Zutritt zum Gelände des Stützpunkts Schaheen des 209. Korps der afghanischen Armee nahe Masar-i-Scharif in der nordafghanischen Provinz Balch verschafft und mittels Schüssen, Granatenwürfen und Sprengstoffgürtel zwischen 140 und 256 Soldaten - die genaue Zahl liegt immer noch nicht vor - umgebracht. Auf die höchsten Verluste der afghanischen Sicherheitskräfte an einem Tag folgte prompt die Entlassung von Verteidigungsminister Abdullah Habibi und Generalstabschef Kadam Schah Schahim. In Reaktion auf den aus der Sicht Washingtons beunruhigenden Vorfall flog am 24. April der US-Verteidigungsminister, General a. D. "Mad Dog" Mattis, nach Kabul zu einem Krisentreffen mit Präsident Aschraf Ghani ein.

Erst am 28. April haben die Taliban den eigentlichen Auftakt ihrer diesjährigen Frühjahrsoffensive verkündet. Der Name der Offensive lautet "Operation Mansuri". Damit gedenken die Taliban ihres ehemaligen Chefs, Mullah Aktar Muhammed Mansur, den die CIA am 21. Mai 2016 per Drohnenangriff liquidierten, wodurch jene diplomatische Initiative zur Beilegung des Krieges, die seit Monaten hinter den Kulissen gelaufen war und an der die Regierungen der USA, Afghanistans, Pakistans und der Volksrepublik China beteiligt gewesen waren, torpediert wurde. An den jüngsten multilateralen Diskussionen zum Thema Afghanistan, zu denen Rußland seit Anfang des Jahres nach Moskau Vertreter Afghanistans sowie von dessen Anrainerstaaten eingeladen hat, verweigert Washington die Teilnahme. Schlimmer noch, in den letzten Wochen haben mehrere ranghohe US-Militärs ohne nähere Begründung den Vorwurf in den Raum gestellt, die Russen würden den Taliban nicht nur durch Gesprächsangebote, sondern auch materiell helfen.

Die USA und die Regierung in Kabul hätten sich selbst längst mit den Taliban arrangiert, würden letztere nicht an ihrer Kernforderung nach dem Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan festhalten. Doch dazu sind die Strategen im Pentagon, für die US-Luftwaffenstützpunkte am Hindukusch als Machtprojektion Richtung Rußland, China, Iran und Pakistan unerläßlich sein sollen, partout nicht bereit.

Bei der afghanischen Bevölkerung dürfte die Einsicht nach der Notwendigkeit einer inner-afghanischen Lösung zur Beendigung des Krieges immer mehr Verbreitung finden. Hierfür spricht die Rückkehr des 69jährigen, ehemaligen Mudschaheddin-Kommandeurs Gulbuddin Hekmatyar nach Kabul am 4. Mai. Im vergangenen Sommer hat Hekmatyar, der in den achtziger Jahren gegen die Sowjets gekämpft hatte, während des Bürgerkriegs zweimal Premierminister wurde, 1997 vor den Taliban in den Iran geflohen war und dessen paschtunische Milizionäre seit Jahren vom pakistanischen Grenzgebiet aus Krieg gegen die westlichen Streitkräfte führten, sich mit Kabul versöhnt. Im Rahmen eines formellen Friedensabkommens hat Präsident Ghani Hekmatyar und dessen Mitstreitern eine Generalamnestie für ihre früheren Verbrechen erteilt.

Vor Tausenden von Anhängern im Kabuler Fußballstadion erklärte am 5. Mai Hekmatyar, dessen Partei Hisb-i-Islami sich in den letzten Jahren politisch engagiert, er strebe kein Amt an, sondern wolle lediglich einen Beitrag dazu leisten, den Krieg in Afghanistan zu beenden. In diesem Zusammenhang machte Hekmatyar klar, daß hierfür die vollständige Räumung aller Militärstützpunkt durch ausländische Soldaten erforderlich sei, und verlangte dafür eine Revision des 2014 von Ghani und dem damaligen US-Außenminister John Kerry ausgehandelten Truppenstationierungsabkommens. Der Weg Hekmatyars aus dem bewaffneten Untergrund in die reguläre Politik ist derjenige, den sich Ghani und sein Premierminister Abdullah Abdullah auch für die Taliban wünschen. Doch dazu wird es nicht kommen, solange für die USA die Verfolgung der eigenen geopolitischen Ziele schwerer als das Wohlergehen der afghanischen Bevölkerung wiegt.

8. Mai 2017


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