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ASIEN/911: Vietnam - vor den Wagen gespannt ... (SB)


Vietnam - vor den Wagen gespannt ...


Am 17. Oktober hat US-Verteidigungsminister James Mattis Vietnam zu Gesprächen mit der politischen Führung besucht. Höhepunkt der Reise des Afghanistan- und Irakkriegsveteranen in das südostasiatische Land war der Besuch auf dem Luftwaffenstützpunkt Bien Hoa, der 25 Kilometer nördlich von Ho-Chi-Min-Stadt, dem ehemaligen Saigon, liegt. Anlaß der Stippvisite war die Besichtigung eines von Washington finanzierten Projekts zur Reinigung des Geländes von Agent Orange, jenem berüchtigten Entlaubungsmittel, das die US-Luftwaffe während des Vietnamkrieges in gigantischen Mengen beim vergeblichen Versuch versprüht hat, den Nachschub für die Vietkong-Rebellen im Süden aus Nordvietnam, der zum Teil über Laos und Kambodscha lief, zu unterbinden. Doch was sich zunächst wie ein Bemühen der USA anhört, die Verbrechen des Vietnamkriegs wiedergutzumachen, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als gezielte Maßnahme, die Regierung in Hanoi in Stellung für den nächsten großen Konflikt in der Region, diesmal gegen die Volksrepublik China, zu bringen.

An den direkten Folgen der großflächigen Versprühung des dioxinhaltigen Agent Orange leiden heute mehr als drei Millionen Menschen. Sie haben Krebs, Leukämie oder sind mißgebildet auf die Welt gekommen. Extrem hoch, wenn auch unbekannt, dürfte die Anzahl der Elternpaare sein, die darunter leiden, daß sie in den letzten rund 50 Jahren wegen Agent Orange Mißgeburten hinnehmen mußten oder deren verunstaltete Säuglinge nicht überlebensfähig waren und kurz nach der Geburt gestorben sind. In weiten Teilen Vietnams erkranken heute noch Menschen wegen des Dioxins in Getreide und Obst wie auch im Grundwasser.

Weil das Thema extrem heikel ist, war die Presse nicht zugelassen, als sich Mattis selbst ein Bild von den Vorbereitungen für das Säuberungsverfahren in Bien Hoa machte, das nächstes Jahr beginnen soll. Am Flughafen von Da Nang, dem ehemaligen Hauptquartier des US-Militärs in Südvietnam nahe der früheren Grenze zu Nordvietnam, ist vor kurzem ein ähnliches Projekt nach fünf Jahren zu Ende gegangen. Die dortige Reinigung des Bodens hat 110 Millionen Dollar gekostet. Das Areal bei Bien Hoa soll weitaus stärker mit Dioxin belastet sein. Angaben des U. S. Congressional Research Service (CRS) zufolge ist die Bodenbelastung dort eintausendmal höher als der international zulässige Grenzwert. Vermutlich deshalb werden für die Säuberungsaktion 390 Millionen Dollar veranschlagt.

Möglicherweise ist die unglaublich hohe Dioxinbelastung in Bien Hoa nicht allein auf die Lagerung von Agent Orange zurückzuführen, sondern auch die Spätfolge eines der offiziell "schlimmsten Unglücke in der Geschichte der US-Luftwaffe". Am 16. Mai 1965 führte in Bien Hoa die Notlandung eine Kampfjets der US-Marine dazu, daß eine Bombe einer auf dem Rollfeld startbereit wartenden Maschine explodierte und eine Kettenreaktion in Gang setzte. Insgesamt flogen dreizehn Militärmaschinen in die Luft, von denen vier zwecks bevorstehender Mission bereits mit Bomben beladen waren. Auch das umfangreiche Munitionsdepot auf dem Stützpunkt fing Feuer und explodierte. In dem Inferno kamen 28 amerikanische und sechs südvietnamesische Militärangehörige ums Leben. Weitere 100 Personen trugen schwere Verletzungen davon.

Im vergangenen März kam es im Hafen von Da Nang zum ersten Besuch eines US-Flugzeugträgers in Vietnam seit dem Krieg. Viele der 5500 Besatzungsmitglieder der U. S. S. Carl Vinson hatten Landgang und vergnügten sich in der viertgrößten Metropole Vietnams, die für ihre Strände berühmt ist. Einige Offiziere besuchten eine Krankenstation für die Opfer von Agent Orange. Ob sie dies freiwillig taten, ist nicht bekannt. Vermutlich handelte es sich um eine reine PR-Aktion, die suggerieren sollte, daß sich die Amerikaner für die Menschen interessieren, die unter ihren Kriegsverbrechen leiden mußten. Auffällig ist jedenfalls, daß der Artikel der New York Times vom 5. März über den Besuch ganz im Zeichen der zunehmenden Konfrontation zwischen Washington und Peking stand. Die Überschrift lautete "U. S. Aircraft Carrier Arrives in Vietnam, with a Message for China". Eindeutiger könnte die Botschaft nicht sein, denn die Carl Vinson nimmt seit Monaten bei den Operationen zur Aufrechterhaltung der "Navigationsfreiheit" im Südchinesischen Meer eine führende Rolle ein, mit denen die USA Chinas Territorialansprüche auf mehrere Riffe und Inseln streitig machen.

Und selbst in der Meldung der Nachrichtenagentur Reuters vom 17. Oktober über die bevorstehenden Aufräumarbeiten in Bien Hoa unter der Überschrift "U.S. prepares for biggest-ever Agent Orange cleanup in Vietnam" liest man nach einer kurzen Erläuterung des aktuellen Streits im Südchinesischen Meer Sätze wie diese: "Die Vereinigten Staaten ... sehen in Vietnam einen wichtigen Verbündeten bei der Erzeugung von regionalem Widerstand gegenüber Pekings Verhalten. US-Regierungsvertreter, darunter Mattis, der Vietnam zum zweiten Mal in diesem Jahr besucht, hoffen, daß die Aufarbeitung von Amerikas Kriegsvermächtnissen wie Agent Orange dazu beitragen kann, die Beziehungen zu stärken."

Die Asienreise von Mattis sollte ursprünglich mit einem Besuch des US-Verteidigungsministers bei seinem chinesischen Amtskollegen Wei Fenghe in Peking beginnen. Doch das bilaterale Treffen wurde aufgrund steigender Spannungen von der Regierung Donald Trump abgesagt. Anstelle dessen kamen die beiden Ressortchefs am 18. Oktober für eineinhalb Stunden am Rande einer regionalen Militärkonferenz in Singapur zusammen. Bei der Unterredung soll Mattis nach Angaben von Randall G. Schriver, des im Pentagon für Asien- und Pazifik-Angelegenheiten zuständigen Staatssekretärs, die Sorgen der anderen Anrainerstaaten des Südchinesischen Meers bezüglich des chinesischen Verhaltens zur Sprache gebracht haben. Die USA wären zur Einmischung in den Territorialstreit Vietnams mit China über die Paracel-Inseln im nordwestlichen Teil des Südchinesischen Meers sicherlich bereit. Ob das jedoch für Vietnam von Vorteil wäre, ist eine andere Frage.

21. Oktober 2018


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