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HISTORIE/302: Operation Condor holt Henry Kissinger erneut ein (SB)


Operation Condor holt Henry Kissinger erneut ein

Peter Kornbluh entdeckt unbekanntes Material zum Letelier-Attentat


Seit Jahren versuchen nationalkonservative Kräfte in den USA die Rolle Washingtons beim Militärputsch Augusto Pinochets gegen die Regierung des demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende 1973 herunterzuspielen und den Vorgang als innerchilenische Angelegenheit darzustellen. Angeführt wird diese Kampagne von Henry Kissinger, der als Kopf des nach ihm benannten, in New York ansässigen, weltweit auf höchsten Regierungsebenen agierenden Beratungsunternehmens und als Grand Seigneur der US-Außenpolitik heute noch über enormen Einfluß verfügt (Von 2001 bis 2008 wurde Kissinger des öfteren ins Weiße Haus geladen, um George W. Bush und Dick Cheney in Fragen der Geopolitik mit besonderem Blick auf den Irak, den Iran und Afghanistan zu beraten, und er steht - zusammen mit dem Ex-Außenminister George Schultz, dem Ex-Verteidigungsminister William Perry und dem Ex-Senator Sam Nunn - beim jüngsten Vorstoß Barack Obamas zur Eindämmung der Proliferationsgefahr bei Atomwaffen Pate). Der Grund für Kissingers aktive Beteiligung am Streit um die Bewertung des Pinochet-Putsches im besonderen und der Unterdrückung der lateinamerikanischen Linken in den siebziger Jahren im Rahmen der sogenannten Operation Condor im allgemeinen läßt sich leicht erklären. Europäische und südamerikanische Anwälte wollen den Friedensnobelpreisträger von 1973 - wegen seiner Rolle bei den Verhandlungen mit Hanoi zur Beendigung des Vietnamkrieges - wegen schwerer Menschenrechtsverbrechen, darunter die Ermordung Tausender Regimegegner, vor Gericht bringen.

Unter Historikern ist unbestritten, daß die damaligen Diktaturen in Südamerika geheimdienstliche, militärische und wirtschaftliche Unterstützung vom großen Bruder im Norden erhielten. Wie wenig bereit die USA damals waren, in ihrem "Hinterhof" irgendwelche sozialistischen Experimente zu dulden, geht deutlich aus jenem berühmten Satz hervor, den Kissinger 1970 bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats zum Thema des voraussichtlichen Sieges Allendes bei der chilenischen Präsidentenwahl zu Protokoll gab: "Ich sehe nicht ein, warum wir tatenlos zusehen sollen, wie ein Land nur wegen der Verantwortungslosigkeit seines Volkes kommunistisch wird." Ebenfalls berühmt ist die Aufforderung, die der US-Präsident Richard Nixon im September 1970 nach der Wahl Allendes an Kissinger und den damaligen CIA-Chef Richard Helms richtete: "Die Chancen stehen vielleicht 1:10, aber retten Sie Chile! ... nicht besorgt um die enthaltenen Risiken... 10.000.000 Dollar verfügbar, mehr wenn nötig... bringen Sie die [chilenische] Wirtschaft zum Schreien..."

Die Dauerdiskussion um die Umstände der Ermordung des chilenischen Präsidenten und die Einrichtung des länderübergreifenden Schreckensregimes mit Namen Operation Condor ist dieser Tage durch die Entdeckung eines bislang geheimen Dokuments aus dem Jahr 1976 im US-Nationalarchiv in Washington aufgeflammt. Gefunden wurde es von Peter Kornbluh, der in den zurückliegenden mehr als zehn Jahren als Leiter des Forschungsprojektes National Security Archive viel zur Aufhellung der dunklen Umtriebe Washingtons während des Kalten Krieges beigetragen hat. Bei dem Dokument handelt es sich um eine regierungsinterne Mitteilung, derzufolge die US-Botschafter in Santiago, Buenos Aires und Montevideo die befreundeten Regime in Chile, Argentinien und Uruguay nicht, wie von gemäßigten Kräften im State Department gefordert, bitten sollten, künftig auf Attentate auf oppositionelle Exilanten im Ausland zu verzichten. Als Initiator und als Thema der Mitteilung werden Kissinger, der nach dem Rücktritt Nixons 1974 unter dessen Nachfolger Gerald Ford neben seiner Position als Nationaler Sicherheitsberater auch den Posten des Außenministers übernommen hatte, und Operation Condor ausdrücklich genannt.

Hochinteressant, wie auch nicht wenig belastend, ist vor allem die Datierung der Mitteilung auf den 20. Juli 1976, denn nur einen Tag später explodierte am hellichten Tag im Washingtoner Diplomatenviertel unter dem Auto des früheren chilenischen Botschafters in der US-Hauptstadt, Orlando Letelier, eine Bombe. Neben dem früheren Vertrauensmann Allendes wurde durch die Explosion die Amerikanerin Ronni Karpen Moffitt, eine Mitarbeiterin des linkliberalen Washingtoner Institute for Policy Studies (IPS), die ebenfalls im Auto saß, in den Tod gerissen. Durchgeführt wurde der Anschlag von rechtsgerichteten Exilkubanern der Gruppe Omega 7, die den Auftrag zur Ermordung Leteliers, der sich in den Jahren seit dem Putsch in seiner Heimat als einer der profiliertesten Kritiker der Pinochet-Diktatur erwiesen hatte, vom chilenischen Geheimdienst hatte.

Daß Kissinger persönlich die Absendung jener Botschaft an die Regierungen Argentiniens, Chiles und Uruguays blockierte, die eventuell den Anschlag auf Letelier verhindert hätte, wirft kein gutes Licht auf den berühmtesten Diplomaten des 20. Jahrhunderts und rückt diesen in die Nähe des "internationalen Terrorismus". Bereits 2004 kam es zu einer heftigen Kontroverse um eine Rezension von Kornbluhs Buch "The Pinochet File: A Declassified Dossier on Atrocity and Accountability" in Foreign Affairs, der alle zwei Monate erscheinenden Zeitschrift des altehrwürdigen New Yorker Council on Foreign Relations (CFR). In Reaktion darauf, daß die Redaktion von Foreign Affairs den früheren US-Außenminister und Kissinger-Intimus William Rogers die Rezension verreißen ließ, trat der Autor und Lateinamerikaexperte Kenneth Maxwell als Mitarbeiter der Zeitschrift zurück. Damals behauptete Rogers felsenfest, Kissinger habe rein gar nichts mit der Ermordung von Letelier und Moffitt zu tun gehabt. Die jünste, von Kornbluh entdeckte Mitteilung widerlegt diese Behauptung aufs gründlichste.

12. April 2010