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HISTORIE/316: Halfen die USA Frankreich beim Atomsprengkopfbau? (SB)


Halfen die USA Frankreich beim Atomsprengkopfbau?

Neue Erkenntnisse zur Atompolitik der Regierung Richard Nixons


Nach der Veröffentlichung des jüngsten, neunseitigen Berichts der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) am 25. Mai steht der Iran erneut am Pranger, heimlich ein illegales Atomwaffenprogramm zu betreiben. Wie die New York Times am 26. Mai unter der überschrift "Watchdog Finds Evidence That Iran Worked on Nuclear Triggers" berichtete, wollen die IAEA-Inspekteure im Besitz von "Beweisen" dafür sein, daß die Iraner Experimente mit Urandeuterid, das bei einer Kernwaffe als Zünder für die Kettenreaktion verwendet werden kann, und Studien über die mögliche Bestückung der Shahab-3-Rakete mit einem nuklearen anstelle eines konventionellen Sprengkopfs durchgeführt haben. Im NYT-Artikel, wird der "angebliche Einsatz" von Urandeuterid (UD3) als Hinweis auf "eine mögliche Verbindung zwischen Teherans Programm" und dem Vater der pakistanischen Atombombe, Abdul Qadeer Khan, interpretiert, was dem Vorwurf der illegalen Verbreitung von Kernwaffentechnologie gegen beide Staaten gleichkommt.

Als Autoren des hysterisch anmutenden NYT-Artikels zeichneten William Broad und David Sanger verantwortlich. Letzterer war bekanntlich zusammen mit seiner damaligen Kollegin Judith Miller in der Zeit zwischen den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 und dem angloamerikanischen Einmarsch in den Irak am 19. März 2003 für mehrere wichtige Titelgeschichten der "Gray Lady" verantwortlich, die den von der Regierung George W. Bush gewollten Eindruck erzeugten, der böse, böse Saddam Hussein horte heimlich ABC-Waffen und stecke zudem mit dem noch böseren Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden unter einer Decke. Entsprechend konstruiert fällt Sangers und Broads Versuch aus, einen finsteren Nexus zwischen der iranischen Mullahkratie und dem "schurkischen pakistanischen Ingenieur" Khan zu konstruieren: "Ein berühmtes Foto von Dr. Khan, den Pakistan aus dem Hausarrest in Islamabad entlassen hat, zeigt ihn vor einem schematischen Diagramm einer Atombombe an einer Tafel. Ein Pfeil, der Richtung der Bombenmitte zeigt, trägt die Aufschrift Urandeuterid." Ähnlich dürftig sind die den Iran angeblich belastenden "Beweise" der IAEA, die allesamt nicht publik gemacht werden dürfen, weil sie von irgendwelchen nicht näher identifizierten westlichen - will heißen teheranfeindlichen - Geheimdienststellen stammen.

Interessanter als die den Iranern unterstellten, eventuell völlig aus der Luft gegriffenen Umtriebe im Bereich der Atomwaffenproliferation sind die neuen Erkenntnisse über konkrete Maßnahmen, welche die Regierung Richard Nixons nach ihrem Amtsantritt im Januar 1969 auf diesem brisantesten aller Felder der Außen- und Sicherheitspolitik ergriffen haben. Zur Erinnerung: 1960 hatte Frankreich in der algerischen Sahara seinen ersten Atomtest durchgeführt und war damit nach den USA, der Sowjetunion und Großbritannien die vierte Atommacht geworden; 1968 waren bis auf wenige Ausnahmen wie Indien, Israel und Pakistan die meisten Staaten dem Nicht-Verbreitungsvertrag beigetreten; darin versprachen die offiziellen Atommächten - seit 1962 gehörte die Volksrepublik China dazu - die Abschaffung ihrer Kernwaffenarsenale, während alle andere Staaten solchen Kriegsmitteln für immer abschwörten.

Für Frankreich festigte der Besitz eines eigenen nuklearen Abschreckungspotentials, der sogenannten "Force de Frappe", den eigenen Status als Vetomacht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Hinzu kommt, daß die Grande Nation in den sechziger Jahren unter ihrem damaligen Präsidenten General a. D. Charles de Gaulle einen von den USA autonomen, außenpolitischen Kurs fuhr. De Gaulle, der Held des Zweiten Weltkrieges, hatte 1966 die französischen Streitkräfte aus der Kommandostruktur der NATO herausgenommen. Aus Sicht Washingtons galt Paris deshalb als unsicherer Kantonist, zumal damals die kommunistische Partei Frankreichs mit die stärkste Westeuropas war.

Wie mehrere, vor kurzem freigegebene und von der Forschungsgruppe National Security Archive an der George Washington University in der US-Hauptstadt ausgewertete Dokumente zeigen, hinderten die schwierigen amerikanisch-französischen Beziehungen Nixon und seinen Nationalen Sicherheitsberater Henry Kissinger nicht daran, den Franzosen unter die Arme zu greifen, als sie sich mit Problemen bei der Umwandlung ihrer Atombombe in eine einsatzfähige Waffe, speziell beim Bau des nuklearen Sprengkopfes, konfrontiert sahen. Über diese bislang unbekannte Fußnote des Kalten Krieges berichtete am 25. Mai die Nachrichtenagentur Agence France Presse unter der Überschrift "US secretly helped France develop nuclear weapons, documents reveal".

Aus den Dokumenten geht als Motiv der Nixon-Regierung für die Nachhilfe in Sachen Atompsrengkopfbau der Wunsch hervor, Großbritannien wegen mangelnder Unterstützung in Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion zu bestrafen. In einer Mitteilung wird Kissinger mit den Worten zitiert: "Die Briten benehmen sich erbärmlich. Wenn sie merken, daß wir eine andere Option haben, werden sie sich eventuell einen Ruck geben." Großbritannien baute damals wie heute seine eigenen Atomsprengköpfe und die U-Boote, die sie transportieren, griff gleichzeitig jedoch auf die Raketen der USA und deren satellitengestütztes Navigationssystem zurück.

Weil damals eine Zusammenarbeit im Atomwaffenbereich mit Frankreich nach US-Gesetz verboten war, mußten sich Nixon und Kissinger einen Umweg ausdenken, um Paris helfen zu können. Da kamen sie auf die Idee, daß sich Kissinger bei Gesprächen mit Robert Galley, damals der Verteidigungsminister von De Gaulles Amtsnachfolger George Pompidou, von diesem unterrichten lassen würde, wie weit die französischen Ingenieure und Wissenschaftler wären, um ihm anschließend zu sagen, ob sie den richtigen Weg verfolgten oder nicht. Für diese Vorgehensweise erfand man den Euphemismus der "negativen Führung". Gleichwohl versprach Kissinger, den Franzosen nur häppchenweise brauchbare Hinweise zukommen zu lassen. Die Informationen sollten Galley zwar "zum Sabbern bringen", ihn gleichzeitig aber dazu zwingen, "eine Weile studieren" zu müssen. "Ich werde Galley fertigmachen", verkündete stolz Kissinger gegenüber Nixon.

Angesichts der Ölkrise und des nicht gewinnbaren Vietnamkrieges sowie nach der Abkopplung des Dollars vom Goldstandard war damals den Verantwortlichen in Washington die Grenzen der internationalen Macht der USA schmerzhaft bewußt geworden. Mit Unbehagen nahm man die Entwicklung der Europäischen Union zu einem gefährlichen wirtschaftlichen Konkurrenten wahr. Auch deshalb wollte die Nixon-Regierung mittels Hilfe für die französischen Atomwaffenbestrebungen die Europäer gegeneinander ausspielen. In einer anderen Mitteilung an den Präsidenten erklärte Kissinger: "Wir wollen Europa daran hindern, sich zu einem gegen uns gerichteten, einheitlichen Block zu entwickeln. Wenn wir die Hoffnung der Franzosen nähren, daß sie die Briten überholen können, wird das uns unserem Ziel näherbringen." Als es rund zehn Jahre später der Regierung von Nixons republikanischem Nachfolger Ronald Reagan darum ging, der Sowjetunion in Afghanistan das eigene "Vietnam" zu bereiten, und Washington dafür dringend auf die Hilfe Pakistans angewiesen war, hat die CIA den eingangs erwähnten A. Q. Khan im Ausland die Technologien und Erkenntnisse beschaffen lassen, die für den Bau der islamischen Atombombe notwendig waren.

27. Mai 2011