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HISTORIE/320: Erlogene Gründe zum Irakkrieg stammten aus Folter (SB)


Erlogene Gründe zum Irakkrieg stammten aus Folter

Amerikas Kriegsmaschinerie braucht stets propagandistischen Nachschub



Am 19. März 2003 verkündete US-Präsident George W. Bush den Beginn des Anti-Saddam-Feldzuges, während zeitgleich amerikanische, britische und australische Streitkräfte in den Irak einmarschierten. Mit Bomben und Raketen ließ die alliierte Streitmacht die Nacht in Bagdad zum Tag werden und die Fernsehzuschauer in aller Welt an einer erschreckenden wie beeindruckenden - "shock and awe" - Demonstration militärischer Zerstörungsmacht teilhaben. Zehn Jahre später liegt der Irak am Boden und wird von ethnischen und religiösen Spannungen erschüttert, während der US-Staatshaushalt nicht zuletzt aufgrund der gigantischen Kosten der 2011 zu Ende gegangenen Militärbesatzung des Zweistromlandes in eine gefährliche Schieflage geraten ist.

Aus der Distanz von zehn Jahren ist es beängstigend, festzustellen, wie wenig die politische Elite in Washington aus dem Irak-Fiasko gelernt hat. US-Präsident Barack Obama weigert sich, die Verantwortlichen von damals zur Rechenschaft zu ziehen, und muß sich deshalb mit dem Erbe eines destabilisierten Nahen Ostens und des Sonderinternierungslagers für gefangene "Terroristen" auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba herumschlagen. Der Demokrat Obama hat eine Aufarbeitung der Geschichte deshalb ausgeschlossen, weil dies sonst eine politische Krise enormen Ausmaßes in den USA, einschließlich Klagen wegen Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen gegen zahlreiche Mitglieder der republikanischen Vorgänger-Administration, zur Folge hätte.

Statt dessen ernannte er zu Beginn seiner zweiten Amtszeit John Brennan, der unter Bush jun. zuerst Stabschef von CIA-Direktor George Tenet und später Leiter der Terrorismusbekämpfungsabteilung beim Auslandsgeheimdienst war, zum neuen CIA-Chef. Der Kongreß hat der Personalentscheidung vor wenigen Tagen zugestimmt. Zwischen 2001 und 2005 hatte Brennan bei den "außergewöhnlichen Überstellungen" verschleppter Muslime an befreundete Regime oder in irgendwelche "black sites" der CIA im Ausland zwecks Folter eine führende Rolle gespielt und ist damit vermutlich auch für die erlogene Begründung des Irakkrieges mitverantwortlich gewesen.

Wie man später von Lawrence Wilkerson, seinerseits Stabschef von General a. D. Colin Powell, erfahren sollte, waren die geheimdienstlichen Erkenntnisse über die Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins und die vermeintlichen Verbindungen zwischen dem irakischen Geheimdienst und Al Kaida dermaßen dürftig, daß Bushs Außenminister weite Teile seines Vortrags vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 5. Februar 2003 streichen wollte. Doch kaum hatte er diesen Entschluß gefaßt, da meldete sich "innerhalb einer Stunde" - so Wilkerson - der damalige CIA-Chef Tenet mit der Nachricht, ein in Ägypten gefangenes, ranghohes Al-Kaida-Mitglied hätte im Verhör zugegeben, daß der irakische Geheimdienst zwei Kampfgefährten Bin Ladens für den Bau biologischer und chemischer Waffen instruiert hätte (Aufgrund dieser Neuigkeiten warnte Powell eine Woche später in New York vor dem "finsteren Nexus" zwischen dem "Schurkenstaat" Irak und dem global agierenden "Terrornetzwerk" Al Kaida, der eine inakzeptable Bedrohung für den Nahen Osten, die USA und die gesamte Welt darstelle). Hierzu merkte der Schattenblick am 1. September 2011 unter der Überschrift "Dick Cheney sorgt mit seinen Memoiren für Kontroverse - Lawrence Wilkerson bezichtigt Cheney des Kriegsverbrechens" [1] folgendes an:

Bei dem besagten Al-Kaida-Mitglied handelt es sich um Ibn Al Scheich Al Libi, der von 1995 bis 2000 ein "terroristisches" Ausbildungslager im ostafghanischen Khaldan geleitet haben soll und im Dezember 2001, wenige Wochen nach Beginn des Anti-Taliban-Feldzuges der Amerikaner und ihrer Verbündeten in Afghanistan, in Pakistan verhaftet wurde. Nach Zwischenaufenthalten in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager im afghanischen Kandahar und auf dem US-Kriegsschiff Bataan im Arabischen Meer wurde Al Libi Anfang 2002 im Rahmen des "Extraordinary rendition"-Programms der CIA nach Ägypten transportiert und dort brutalst gefoltert.
Was die folgenschwere Aussage über eine Zusammenarbeit zwischen Bagdad und Al Kaida in Sachen Massenvernichtungswaffen betrifft, so hat Al Libi diese laut CIA-Dokumenten 2004 zurückgenommen. In einem Bericht des Geheimdienstauschusses des US-Senats von 2006 räumte man ein, der schwer gepeinigte Libyer habe sich die damalige Geschichte nur ausgedacht, um weiteren Mißhandlungen und der angedrohten Ermordung zu entgehen. In diesem Zusammenhang gibt es Hinweise, wonach die Anweisung an die ägyptischen Folterschergen, von Al Libi das zur Legitimierung des bevorstehenden Irakkriegs benötigte Geständnis herauszupressen, direkt vom Amt des damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney kam. Zu diesem Schluß ist zum Beispiel der ehemalige CIA-Analytiker und heutige Friedensaktivist Ray McGovern in einem Artikel, der am 18. Mai 2009 bei www.conononsortiumnews.com erschienen ist, gekommen.
Der Anlaß McGoverns zu seiner ausführlichen Behandlung dieses Themas war damals die Nachricht vom plötzlichen Tod Al Libis im Abu-Salim-Gefängnis in der libyschen Hauptstadt Tripolis, nur wenige Tage nachdem Ende April 2009 Mitarbeiter von Human Rights Watch ihn bei einem Kontrollbesuch dort zufällig entdeckt hatten. Nach Angaben der libyschen Behörden hat sich Al Libi, den die US-Behörden 2006 an sein Heimatland ausgeliefert hatten, das Leben genommen. Doch der plötzliche Tod des vielleicht wichtigsten Belastungszeugen in Hinblick auf die vorgetäuschte Begründung für den Irakkrieg wenige Tage nach seiner überraschenden Entdeckung durch westliche Menschenrechtsaktivisten läßt den Verdacht zu, daß Muammar Gaddhafi seinen neuen Freunden in Washington durch die Beseitigung einer Gefahrenquelle einen großen Gefallen tun wollte. Sollte das der Fall gewesen sein, denn wäre der Verzicht auf ein solch wichtiges Faustpfand für den libyschen Revolutionsführer der sich dieser Tage im eigenen Land vor den Bomben und Raketen der NATO auf der Flucht befindet, ein noch größerer Fehler gewesen als die Stilllegung seines Atomwaffenprogramms, um sich mit dem Westen auszusöhnen.

Doch nicht nur die wichtigsten "Hinweise" auf eine Verbindung zwischen Bagdad und der Bin-Laden-Truppe, sondern auch die für die Verwicklung Al Kaidas in die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 sind das Ergebnis grausamster Folter gewesen. In dem 2004 erschienenen Untersuchungsbericht der offiziellen 9/11-Kommission wird Abu Zubaydah als Hauptbelastungszeuge präsentiert. Der im März 2002 in Pakistan gefangengenommene Saudi ist jahrelang in Geheimgefängnissen der CIA gefoltert und dabei 83mal dem sogenannten "waterboarding" unterzogen worden. Im Verlauf dieser Tortur soll er zugegeben haben, persönlich anwesend gewesen zu sein, als Khalid Sheikh Mohammed - der mutmaßliche 9/11-"Architekt" - Osama Bin Laden den Plan für die Flugzeuganschläge vorlegte. So steht es auf Seite 35 des 9/11-Kommissionsberichts geschrieben. In dem Bericht wird Zubaydah sogar mehr als 50mal namentlich erwähnt und an verschiedenen Stellen als "Al-Kaida-Komplize", "langjähriger Verbündeter Bin Ladens", "Bin-Laden-Leutnant" oder "Al- Kaida-Leutnant" bezeichnet.

Inzwischen hat sich herausgestellt, daß Al Zubaydah, der seit 2007 in Guantánamo Bay einsitzt und auf einen Prozeß vor einem Militärtribunal wartet, nicht in die Flugzeuganschläge verwickelt gewesen ist und auch kein Vorabwissen darüber besaß. Dies hat die US-Regierung 2009 gegenüber den Anwälten Al Zubaydahs schriftlich bestätigt. Die dadurch entstandene Lücke in der offiziellen Version vom "Tag, der die Welt veränderte", hat Kevin Ryan in den vergangenen Monaten in zwei ausführlichen Artikeln analysiert. [2] [3] Er hat sogar den früheren Co-Vorsitzenden der 9/11-Kommission, Lee Hamilton, kontaktiert und um eine Erklärung gebeten. Hamilton konnte sich jedoch nicht an den Saudi erinnern - und das, obwohl der Ex-Senator noch 2008 mit der CIA einen heftigen Streit in der Öffentlichkeit geführt hatte, als bekannt wurde, daß der US-Auslandsgeheimdienst der 9/11-Kommission trotz mehrmaliger Nachfrage die Videoaufnahmen der Vernehmungen von Al Zubaydah und anderen "Terrorverdächtigen" vorsätzlich vorenthalten und später - 2005 - zerstört hatte.

Doch unter chronischer Vergeßlichkeit leidet im US-Politestablishment nicht nur Hamilton. Ungeachtet des Chaos im Irak behauptete Brennan bei der Anhörung über seine Nominierung zum neuen CIA-Chef vor dem Geheimdienstausschuß des Senats am 7. Februar - und damit auf den Tag fast zehn Jahre nach dem berüchtigten Auftritt Colin Powells im UN-Sicherheitsrat -, daß der Iran, ähnlich wie Nordkorea, "nach dem Besitz von Atomwaffen und den dafür zum Transport erforderlichen Interkontinentalraketen" strebe. Für die wilde Behauptung, die im Widerspruch zur erklärten Position aller US-Geheimdienste, die zuletzt in der National Intelligence Estimate von 2007 festgehalten wurde, hat Brennan keinen einzigen Beweis vorgelegt.

Keinerlei Beweise, aber dafür eine lebhafte Phantasie benötigten die Herren und Damen vom Kongreß und Senat in Washington, als sie Ende Dezember neue Sanktionen gegen das "Mullah-Regime" in Teheran verhängten und diese unter anderem mit der These begründeten, die iranischen Revolutionsgarden und die libanesisch-schiitische Hisb- Allah-Miliz hätten einen gegen die USA gerichteten terroristischen Brückenkopf in Lateinamerika etabliert. Der entsprechende Gesetzesentwurf, der einen wichtigen Schritt in Richtung Krieg zwischen den USA und dem Iran bedeuten könnte, wurde von Präsident Obama am 28. Dezember unterzeichnet.

Fußnoten:

1. http:\\www.schattenblick.de/infopool/politik/redakt/usa1294.html

2. http:\\www.globalresearch.ca/the-commission-of-enquiry-into-the-911- attacks-alleged-torture-testimony-is-worthless/5326736

3. http:\\www.digwithin.net/2012/10/15/zubaydah/

19. März 2013