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JUSTIZ/649: Obama hält am System unbefristeter Inhaftierung fest (SB)


Obama hält am System unbefristeter Inhaftierung fest

Bushs "globaler Antiterrorkrieg" hat Obama voll im Griff


Nicht einmal ein Jahr ist es her, da bewarb sich ein junger, relativ unerfahrener Senator aus Illinois namens Barack Obama um die Präsidentschaft der USA mit dem Versprechen, die ganzen Rechtsbeugungen der acht Jahre republikanischer Herrschaft unter George W. Bush rückgangig zu machen und künftig für die strikte Einhaltung von Gesetz und Verfassung zu sorgen. Unter anderem mit diesem Versprechen gelang es Obama, die Massen für sich zu begeistern, bei den demokratischen Vorwahlen Senatorin Hillary Clinton hinter sich zu lassen und bei der eigentlichen Präsidentenwahl am 4. November den republikanischen Kandidaten, den langjährigen Senator und Vietnamkriegsheld John McCain, zu schlagen sowie schließlich am 20. Januar als erstes schwarzes Staatsoberhaupt der USA ins Weiße Haus einzuziehen. In der Art und Weise wie er sich und seine Botschaften vermittelt ist Obama zweifelsohne ein absolutes Ausnahmetalent. Doch eines hat der Absolvent der Juraschule an der Universität Harvard mit seinen wenigen talentierten Politikerkollegen gemein, nämlich die Nicht-Einhaltung von Wahlversprechen. Medienberichten zufolge plant Obama aus der Ära Bush die unbefristete Inhaftierung "gefährlicher Terroristen" zu übernehmen. Einen schwereren Anschlag auf die US-Verfassung und die ihr zugrundeliegenden liberal-freiheitlichen Prinzipien kann man sich kaum vorstellen.

Daß Obama ein Blender, wenn auch ein sehr geschickter, war und ist, wurde bereits vor der Wahl klar, als er im Juli 2008 entgegen anderslautender Beteuerungen mit seiner Stimme half, ein Gesetz durch den Kongreß zu bringen, das eine nähere Untersuchung der von Bush 2001 angeordneten, 2005 durch eine Enthüllung der New York Times bekanntgewordenen illegalen Überwachung des Telefon- und E-Mail-Verkehrs in den USA durch die National Security Agency (NSA) unmöglich machte, indem es den daran beteiligten Telekomunternehmen Immunität vor mehreren Dutzend Klagen wegen Verletzung der Privatsphäre garantierte. Aus Obamas versprochenem Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus dem Irak ist eine Verlegung derselben in Basen geworden, die sich außerhalb der Städte befinden und von wo aus die USA dauerhaft die letzten Garanten von "Frieden" und "Stabilität" im Zweistromland und in der umliegenden Region spielen wollen. Gleichzeitig forciert Obama seit seinem Amtsantritt unerbittlich den Krieg gegen die Taliban und andere aufständische Gruppen in Afghanistan und weitet ihn mittels verstärkter Drohnenangriffe auf Ziele im pakistanischen Grenzgebiet aus. Auf diese Weise will der Friedensstifter aus dem Wahlkampf nach eigenen Angaben nun der Präsident aller Amerikaner sein, das heißt dem chauvinistischen Fußvolk bei den oppositionellen Republikanern demonstrieren, daß er genauso gut, wenn nicht sogar besser als Bush jun., den Oberkommandierenden der Supermacht abgeben und "den Terroristen" tüchtig einheizen kann.

Was den Umgang mit den gefangengenommenen "feindlichen Kombattanten" betrifft, so versucht Obama hauptsächlich durch kosmetische Veränderungen die Kritiker zu besänftigen, ohne die Republikaner zu sehr gegen sich aufzubringen. So wurden gleich nach dem Machtwechsel in Washington per Erlaß des Präsidenten die berüchtigten Geheimgefängnissen der CIA im Ausland, die sogenannten "black sites", geschlossen und die Anwendung von Folter durch Mitarbeiter der US-Geheimdienste oder der von diesen beauftragten privaten Sicherheitsunternehmen verboten. Dafür hat sich jedoch Leon Panetta bei der Kongreßanhörung über seine Eignung für den Posten als neuer CIA-Chef offen bereit erklärt, verhaftete Verdächtige notfalls an befreundete Regime im Ausland - die Namen Afghanistan, Ägypten, Jordanien, Marokko, Pakistan und Saudi-Arabien fallen einem in diesem Zusammenhang ein -, auszuliefern und dort foltern zu lassen.

Bei der Verwirklichung des Wahlversprechens, das umstrittene Gefangenenlager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba innerhalb eines Jahres zu schließen, stößt Obama auf Probleme, für die er wenig kann. Gegen die vom Weißen Haus geplante Verlegung der Guantánamo-Häftlinge in die USA schreien die Republikaner im Kongreß und ihre Streitgefährten bei den Massenmedien Zeter und Mordio und tun so, als stellte diese Maßnahme eine Gefahr für die nationale Sicherheit Amerikas dar. Diese hysterische, selbstgerechte Haltung hat wiederum Widerstand bei den US-Verbündeten ausgelöst, die prinzipiell bereit wären, entlassene Guantánamo-Häftlinge bei sich aufzunehmen und ihnen politisches Asyl anzubieten.

Nichtsdestotrotz zeichnet sich in dieser Frage eine dreifache Aufteilung ab. Ein Großteil der derzeit 229 Guantánamo-Häftlinge, die als völlig unschuldige Männer - in erster Linie wegen des damals Ende 2001, Anfang 2002 im Zuge des Einmarsches in Afghanistan gezahlten Kopfgeldes von 5000 Dollar - in die Maschinerie des "globalen Antiterrorkrieges" geraten sind, wird in die Heimat abgeschoben (wo dies nicht möglich ist, wird zu anderen Maßnahmen gegriffen, wie die Ansiedlung einer Gruppe Uighuren aus China vor wenigen Tagen auf Bermuda zeigt). Diejenigen Männer, gegen die Beweise wegen Verwicklung in irgendwelche Anschläge des Al-Kaida-"Netzwerks" oder Angriffe auf die US-Streitkräfte vorliegen und bei denen eine gute Chance auf Verurteilung besteht, werden an die zivilen Justizbehörden in den USA gegebenfalls an das Pentagon zwecks Prozeß übergeben. Übrig bleiben rund 90 sogenannter "Topterroristen" wie der vermeintliche 9/11-Chef Planer Khalid Sheikh Mohammed (KSM) und Ramsi Binalschibh, gegen die nicht prozessiert wird, weil sie schwer gefoltert worden sind oder die "Beweise" gegen sie "geheim" sind - oder beides - und sie dadurch gute Chancen auf einen Freispruch hätten, und die angeblich niemals freigelassen werden dürfen, weil sie tatsächlich so gefährlich sein sollen.

Ursprünglich spielte die Obama-Regierung mit dem Gedanken an die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsgerichtshofs, vor dem hinter geschlossenen Türen solchen Männern der Prozeß gemacht werden könnte. Wie jedoch Dafna Linzer und Peter Finn, beide Reporter für die Washington Post, am 26. Juni in einem Artikel für ProRepublica, ein unabhängiges Institut, das sich dem investigativen Journalismus verpflichtet sieht, berichteten, haben Obama und seine Berater diesen Plan wegen der zu erwartenden Kritik seitens des linken Flügels bei den eigenen Demokraten verworfen. Um einen langwierigen Streit im Kongreß zu vermeiden, will Obama auf jene Maßnahme zurückgreifen, weswegen Bush zurecht als erster amerikanischer Diktator dargestellt wurde, nämlich auf die der unbefristeten Inhaftierung. Dies berichteten Linzer und Finn unter Berufung auf drei ranghohe Mitarbeiter der US-Regierung, die offenbar Einlick in die Diskussionen zur Vorbereitung des entsprechenden Exekutivbefehls des Präsidenten haben.

Zur Verschönerung der drakonischen Maßnahme heißt es, der Inhaftierungsbefehl an sich wäre nicht unbefristet, sondern müßte jedes Jahr nach einer entsprechenden Überprüfung der Umstände vom Präsidenten erneuert werden und käme sowieso nur bei Ausländern und nicht bei US-Bürgern zur Anwendung. Dies ändert nichts an der Tatsache, daß die Inhaftierung von Personen, ohne sie relativ schnell in Anwesenheit eines Richters formell anzuklagen und ihnen dabei die Möglichkeit zur Stellungnahme bezüglich der gegen sie erhobenen Vorwürfe zu geben, mit der Habeaskorpusakte, einer Säule der westlichen Rechtssprechung, nicht zu vereinbaren ist. Sollte Obama auf diese Innovation Bushs zurückgreifen, dann würde er die berüchtigte Sondermaßnahme institutionalisieren, statt, wie im Wahlkampf versprochen, für ihre Beseitigung zu sorgen.

29. Juni 2009