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JUSTIZ/675: Keine Gerechtigkeit für Folteropfer in Obamas Amerika (SB)


Keine Gerechtigkeit für Folteropfer in Obamas Amerika

Klage Binyam Mohameds vom Obersten Gerichtshof abgewiesen


Nach der Anklageerhebung am 16. Mai in New York gegen Dominique Strauss-Kahn wegen sexueller Nötigung und versuchter Vergewaltigung eines Zimmermädchens des Nobelhotels Sofitel am Times Square, bleibt die Affäre um den Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), der bis zu seiner spektakulären Verhaftung auf dem Flughafen JFK drei Tage zuvor als aussichtsreichster Gegenkandidat Nicolas Sarkozys bei der Präsidentenwahl in Frankreich im kommenden Jahr galt, das große Medienthema. In einem am 17. Mai in der New York Times erschienenen Artikel zum Thema der Aufregung, die der Fall im Heimatland des Sozialisten und ehemaligen Finanzministers ausgelöst hat, wurde der französische Historiker und Publizist Max Gallo mit Lobliedern auf das Justizwesen der USA zitiert. Nach Ansicht Gallos "manifestiert" sich in der Art und Weise, wie die Beamten des NYPD den noch nicht verurteilten, eigentlich unter der Unschuldvermutung stehenden Strauss-Kahn auf dem Weg zur Anklageerhebung wie einen gemeinen Kleinganoven in Handschellen der Weltpresse vorführten, ein dem "amerikanischen Justizsystem innewohnender Egalitarismus", der "uns in Frankreich überrascht".

Über eine derart positive Auslegung des Strauss-Kahn aufgezwungenen, medialen Spießrutenlaufs könnte man laut lachen, würde man das Gefühl nicht los, Gallo und die Meinungsmacher bei der New York Times - das journalistische Flagschiff des US-Kulturimperialismus schlechthin - machten sich selbst heimlich über den Leser in all seiner Gutgläubigkeit lustig. Eine Gleichbehandlung aller Angeklagten in den USA zu postulieren ist angesichts des bevölkerungstechnischen Überproporz, mit dem Millionen junger schwarzer Männer, die dort in den letzten vierzig Jahren wegen Verstoßes gegen die Drogengesetze hinter Gittern gelandet sind, nicht nur ein schlechter Witz, sondern auch eine Beleidigung der Intelligenz. Zumal sich die USA unter Barack Obama, dem ersten schwarzen Präsidenten Amerikas, weiterhin von einer demokratischen Republik mit Gewaltenteilung zu einem Polizeistaat entwickeln, über den der Oberkommandierende der Streitkräfte mit Sitz im Weißen Haus thront.

Den jüngsten Schritt auf dem Weg in die Diktatur haben die USA am 16. Mai unternommen, als der Oberste Gerichtshof in Washington die Klage mehrerer Opfer der ursprünglich unter Obamas demokratischem Parteikollegen Bill Clinton, später unter dem Republikaner George W. Bush zur vollen Blüte entwickelten Praxis der CIA-Folterflüge als nicht verhandelbar abschmetterte. Mit ihrem Urteil bestätigten die Richter des U. S. Supreme Court eine umstrittene Entscheidung des 9. Bundesberufungsgerichts vom 8. September 2010. Um den Hintergrund des Falls zu beleuchten, hier ein Ausschnitt aus dem Artikel, der am 10. September im Schattenblick - Infopool\Politik\Redaktion - unter der Überschrift "USA/1255: Obama-Regierung blockiert Klage gegen CIA-Folterflüge" erschienen ist:

Im August 2007 hatte die American Civil Liberties Union (ACLU) im Namen von Binyam Mohamed, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Gefangenschaft auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba befand, und vier anderen Opfern der "außergewöhnlichen Verschleppungen" der CIA - Abou Elkassim Britel, Ahmed Agiza, Mohamed Farag Ahmad Bashmilah und Bisher al-Rawi - beim Bundesgericht in San Francisco Klage gegen Jeppesen Dataplan eingereicht (das Charterflugzeugunternehmen hat im nahegelegen San Jose sein Hauptquartier). Die Klage wurde 2008 in erster Instanz unter Verweis auf einen schriftlichen Antrag des damaligen CIA-Direktors Michael Hayden, wonach eine öffentliche Behandlung des Falls die "nationale Sicherheit" der USA gefährden würde, als nicht zulässig abgewiesen. Gegen das Urteil ist die ACLU in die Berufung gegangen und hat im April 2009 Recht bekommen. Das Gericht entschied, daß die Klage prinzipiell behandelt werden dürfe, wiewohl aus Rücksicht auf die "nationale Sicherheit" die Behandlung eventueller Staatsgeheimnisse ausgespart werden müßte.

Für die Anhänger des damals erst drei Monate im Amt befindlichen Präsidenten Obama war die Enttäuschung riesengroß, als sich die neue Regierung in Person des Justizministers Eric Holder mit dem Urteil nicht einverstanden erklärte und ihrerseits beim 9th Circuit U.S. Court of Appeals eine Zurückweisung der Klage als ganzes beantragte. Schließlich hatte sich Obama während des monatelangen Kampfes um die US-Präsidentschaft im Jahr zuvor als scharfer Kritiker der These der Bush-Administration von der Allmacht des Staatsoberhaupts - "unitary executive" - in Zeiten des "globalen Antiterrorkrieges" präsentiert und versprochen, nach seinem Einzug ins Weiße Haus Gesetz und Verfassung wieder Geltung zu verschaffen. Sogar die drei Richter des Appellationsgerichts sollen "entsetzt" reagiert haben, als Anwälte des Justizministeriums sie nach "mehrmaliger Nachfrage" aufgeklärt hatten, daß entgegen ihren Erwartungen die Administration des Absolventen der juristischen Fakultät der Harvard University im Falle Mohamed gegen Jeppesen Dataplan genau dieselbe Position vertreten werde, wie die Regierung des raubeinigen Texaners. Dies berichtete John Schwartz am 10. Februar 2009 in der New York Times unter der Überschrift "Obama Backs Off a Reversal on Secrets".

Um das jüngste Urteil zu fällen, mußten alle elf Richter des Berufungsgerichtes für den 9. Bundesbezirk zusammenkommen. Mit der Urteilsfindung haben sich die sechs Richter, die als Mehrheit dem Antrag des Justizministeriums nach Zurückweisung der Klage stattgegeben haben, offenbar schwer getan. In der Urteilsverkündung sprach der Vorsitzende Richter Raymond Fisher von einem "schmerzhaften Konflikt zwischen Menschenrechten und nationaler Sicherheit". Die Entscheidung zugunsten der Regierung habe man "widerwillig" getroffen; es habe sich um einen "seltenen Fall" gehandelt, dessen Einzelheiten so brisant seien, daß der Schutz der "nationalen Sicherheit" vor der Wahrung der Menschenrechte Vorrang haben müsse. Vielleicht, weil die Gruppe um Fisher Gewissensbisse hatte, hat sie in einem außergewöhnlichen Schritt empfohlen, daß der Staat, der den Rechtsstreit gerade gewonnen hatte, die Anwalts- und Gerichtskosten der Kläger übernimmt und die fünf Folteropfer für das ihnen angetane Leid finanziell entschädigt.

Die fünf Richter, die bei der Entscheidung unterlagen, haben ihrerseits dem Urteil einen 58seitigen Anhang zugefügt, in dem sie sämtliche im öffentlichen Raum bekannte Details des Falls auflisteten. Mit dem Anhang wollten sie demonstrieren, daß die Klage durchaus gerichtlich behandelt werden könnte, ohne irgendwelche staatliche Geheimnisse zu bemühen oder preiszugeben. Sie bezeichneten das Urteil ihrer sechs Kollegen als "gefährlich", denn es ermöglicht, "regierungsamtliches Fehlverhalten unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit zu verstecken".

Unter Verweis auf eine von Justizminister Holder im September 2009 verfügte neue Richtlinie in Bezug auf den Schutz staatlicher Geheimnisse heißt es in dem Urteil, die Obama-Regierung versuche nicht "Peinlichkeiten zu vermeiden oder sich einer Überprüfung ihrer kontroversen Transfer- und Vernehmungspolitik zu entziehen, sondern legitimen Sorgen in Bezug auf die nationale Sicherheit gerecht zu werden". Das ist natürlich Humbug. Die Obama-Regierung behält sich ausdrücklich das Recht vor, jede Person auf der Welt, die man in Washington für einen "Terroristen" hält, selbst wenn es sich hier um einen US-Bürger handelt, umbringen zu lassen - entweder durch die CIA oder die Spezialstreitkräfte des Pentagons. Obama soll zwar aus PR-Gründen die geheimen Foltergefängnisse der CIA im Ausland geschlossen haben, beharrt jedoch darauf, "Terrorverdächtige" weiterhin zu verschleppen und im Ausland von den Schergen befreundeter Unrechtsregime foltern zu lassen.

Der Grund, warum die Obama-Regierung genauso wie die Bush-Administration unbedingt die Klage Binyam Mohameds gegen Jeppesen Dataplan nicht öffentlich behandelt haben will, ist, weil am Fall des Äthiopiers das Schändlichste am ganzen Folterskandal offensichtlich werden könnte, nämlich daß es bei der Mißhandlung von Gefangenen mitnichten um die Gewinnung von brauchbaren Erkenntnissen zur Verhinderung von Anschlägen, sondern von falschen Aussagen, mit denen man aggressive Maßnahmen bis hin zum Krieg begründen könnte, geht. Nach der Verhaftung im April 2002 am Flughafen von Karatschi wurde Binyam Mohamed, der seit 1994 als anerkannter politischer Flüchtling in Großbritannien gelebt hatte, wochenlang von Vertretern der amerikanischen, britischen und pakistanischen Geheimdienste schwer gefoltert. In Ermangelung irgendwelcher brauchbarer Hinweise für den "Antiterrorkampf" erzählte Mohamed, er habe einmal im Internet gelesen, wie man Uran anreichern könne, indem man es in einem Eimer um den eigenen Kopf schleudere. Dabei bezog sich Mohamed auf eine Persiflage, die in den neunziger Jahren in dem berühmten satirischen Mad Magazine erschienen war.

Die Nonsense-Angaben Mohameds setzte die Bush-Regierung bei einem ihrer vermeintlich größten Schläge gegen den "internationalen Terrorismus" ein, als im Juni 2002 Justizminister John Ashcroft die Festnahme Jose Padillas, der angeblich im Auftrag Al Kaidas eine "schmutzige Bombe" in einer US-Großstadt zünden sollte, einen Monat zuvor am Flughafen Chicago bekanntgab. Der Fall Padilla und das Märchen von der "radiologischen Bombe" spielten in den darauffolgenden Monaten bei der Begründung des illegalen Einmarsches in den Irak eine enorm wichtige Rolle. Mit Hinweis auf den angeblich vereitelten Anschlag schürte die Bush-Regierung monatelang die Angst der amerikanischen Bevölkerung vor den ABC-Waffen Saddam Husseins in den Händen irgendwelcher fanatischer Anhänger Osama Bin Ladens. Nachdem die US-Streitkräfte im Frühjahr 2003 den von der Bush-Administration ersehnten "Regimewechsel" in Bagdad durchgeführt hatten, stellte sich heraus, daß es genausowenig einen Komplott Al Kaidas mit einer "schmutzigen Bombe" wie die Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins gegeben hatte. Diese gelungene Inszenierung und die grausame Art ihrer Bewerkstelligung sollen so weit wie möglich aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt werden.

In seinem letztgültigen Urteil im Fall "Mohamed versus Jeppesen Dataplan 10-778" hat der Oberste Gerichtshof den Antrag der ACLU, das Urteil vom vergangenen September gehöre einkassiert, weil es auf einem Mißbrauch des Privilegs des Schutzes des "Staatsgeheimnisses" durch die Regierungen Bush und Obama basiere, zurückgewiesen. Wie nicht anders zu erwarten war, beriefen sich die Obersten Richter in ihrer Begründung auf die Gefahr für die "nationale Sicherheit", sollte die Klage von Mohamed und Co. gegen das Boeing-Tochterunternehmen öffentlich erörtert werden. Über das Argument der Kläger, praktisch alle Einzelheiten des Falls seien bereits in der Öffentlichkeit bekannt und unterlägen keinerlei staatlichem Geheimnisschutz, setzten sich die Richter einfach hinweg. Folglich ist der traurigen Bewertung des Ausgangs des jahrelangen juristischen Streits, mit der der ACLU-Anwalt Ben Wizner am 17. Mai im San Francisco Chronicle zitiert wurde -"Erneut hat sich der Oberste Gerichtshof geweigert, Folteropfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und den Ruf unserer Nation als Beschützerin der Menschenrechte und des Rechtsstaats wiederherzustellen" - nichts hinzuzufügen.

17. Mai 2011