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JUSTIZ/689: In Guantánamo wird trotz Obama weiter gefoltert (SB)


In Guantánamo wird trotz Obama weiter gefoltert

Auf Kuba werden unschuldige Personen vom US-Militär zwangsernährt



In Washington tobt derzeit ein heftiger Streit zwischen dem Geheimdienstausschuß des Senats und der CIA. Die Ausschußvorsitzende, die kalifornische Demokratin Dianne Feinstein, wirft dem US-Auslandsgeheimdienst vor, die Mitarbeiter des Senats, die an der Aufarbeitung des Folter-Programms der früheren Regierung des Republikaners George W. Bush beteiligt sind, ausspioniert und damit gegen das verfassungsmäßige Gebot der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Judikative und Legislative verstoßen zu haben. CIA-Chef John Brennan, der selbst tief in die Folter-Problematik verstrickt ist, bezichtigt die Senatsangestellten, streng vertrauliche Dokumente entwendet und illegal ihren Vorgesetzten im Ausschuß vorgelegt zu haben. Die aktuelle Berichterstattung über die Kontroverse hat den Eindruck aufkommen lassen, die Folter durch US-Behördenvertreter gehöre seit dem Einzug des Demokraten Barack Obama ins Weiße Haus Anfang 2009 der Vergangenheit an. Dem ist aber nicht so. In dem berüchtigten Sonderinternierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba wird weiterhin gefoltert - durch Zwangsernährung.

Obamas ursprüngliches Vorhaben, Guantánamo innerhalb von 12 Monaten seiner ersten Amtszeit als Präsident schließen zu lassen, ist am hysterischen Widerstand der Republikaner im Kongreß gescheitert, die den Vorschlag der Verlegung der Häftlinge auf das amerikanische Festland zu einer indiskutablen Gefährdung der nationalen Sicherheit aufgebauscht haben. So hat sich das Pentagon damit begnügen müssen, eine Kommission zu Gründen, welche die Insassen auf ihre Freilassungstauglichkeit hin überprüfen sollte. Derzeit werden noch 170 Personen auf Guantánamo festgehalten. 16 Männern, darunter auch Khalid Scheich Mohammed, denen man eine Verwicklung in die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 zu Last legt, wird der Prozeß gemacht. Die restlichen 154 Insassen sind in zwei Gruppen unterteilt: in diejenigen, die unter keinem "Terrorverdacht" stehen, jedoch aus irgendwelchen "politischen" Gründen in ihre Heimatländer nicht abgeschoben werden können, und in solche, denen man juristisch nichts nachweisen kann, von denen die US-Militärbehörden auf der Karibikinsel aber annehmen, daß sie sich nach der Freilassung irgendwelchen militanten amerikafeindlichen Gruppen anschließen könnten.

Als Präsident Obama den Auftakt zu seiner zweiten Amtszeit im Januar 2013 nicht zu einer Begnadigung der vielen unschuldigen Insassen genutzt hat, soll deren Enttäuschung riesengroß gewesen ein. Als wenige Monate später das Pentagon die Renovierung der Haftanstalt und dessen Ausbau für 150 Millionen Dollar zu einer dauerhaften Einrichtung bekanntgab, brachte dies das Faß zum Überlaufen. Dutzende Gefangene, die ohne Anklage bereits bis zu zwölf Jahre hinter Gitter saßen, traten in den Hungerstreik. Auch wenn die Zahl der Teilnehmer seitdem stark zurückgegangen ist und das Interesse der Medien nachgelassen hat, hält der Hungerstreik bis heute noch an. Trotz scharfer Proteste der American Medical Association (AMA), des größten Ärtzeverbandes der Vereinigten Staaten, werden die Hungerstreikenden gegen ihren Willen zwangsernährt. Die Art und Weise, wie das Wachpersonal die Zwangsernährung durchführt, kann man nicht anders als Folter bezeichnen. Dahinter verbirgt sich wahrscheinlich die Absicht, die Hungerstreikenden zur Aufgabe zu zwingen und andere Gefangene von einer Teilnahme an der Protestaktion abzuschrecken.

Exemplarisch haben die Anwälte des Jemeniten Emad Abdullah Hassan am 11. März vor einem Bundesgericht in Washington D.C. Beschwerde gegen dessen Zwangsernährung in Guantánamo eingelegt. Der heute 34jährige Hassan befand sich 2002 durch ein Universitätsstipendium in Pakistan, als er von der dortigen Polizei verhaftet und an die CIA - vermutlich gegen Zahlung eines Kopfgeldes - übergeben wurde. Kurz darauf hat man ihn nach Guantánamo verlegt. Die zuständige Prüfkommission schlug 2009 vor, Hassan auf freien Fuß zu setzen, weil ihm nichts vorzuwerfen sei und von ihm keinerlei "terroristische" Gefahr ausgehe. Trotzdem dauert sein Martyrium bis heute an. 2007 hat Hassan angefangen, mit gelegentlichen Hungerstreiks gegen die Freiheitsberaubung zu protestieren. Seit 2009 befindet er sich in dauerhaftem Hungerstreik, nicht weil er sich umbringen will, sondern um gegen die Zwangsinhaftierung ein Zeichen zu setzen. Seine Anwälte schätzen, daß er inzwischen mehr als 5.000 Mal zwangsernährt wurde.

Wie die grausame Prozedur in der Praxis aussieht, geht aus einem Gastbeitrag hervor, den Hassans britischer Hauptanwalt Clive Stafford Smith, der Gründer der Menschenrechtsorganisation Reprieve, am 11. März auf der Website von Al Jazeera America veröffentlicht hat. Demnach wird Hassan zweimal am Tag über mehrere Körperstellen, darunter auch am Hals, an einen speziellen Behandlungsstuhl gefesselt. Nach der völligen Immobilisierung führt man ihm einen Plastikschlauch durch eine Nasenhöhle, was extrem schmerzhaft sein soll, in den Bauch. Häufig läßt man anschließend die Flüssignahrung zu schnell einfließen, was dazu führt, daß Hassan sich erbricht und sein Gesicht und Oberkörper mit Erbrochenem beschmiert wird. Weil Flüssignahrung das Problem der Verstopfung mit sich bringt, werden Hassen gleichzeitig Medikamente verabreicht, die dem entgegenwirken sollen. Die Abführmittel führen jedoch häufig dazu, daß sich Hassans Darm schon während der Zwangsernährung entleert. Für ihn sei dies laut Stafford Smith der "am meisten erniedrigende Aspekt" der ganzen Prozedur. Nach Angaben des Anwalts lassen die Militärärzte den Patienten bis zu einer Stunde in diesem gräßlichen Zustand auf dem Stuhl sitzen, bis er losgeschnallt und in seine Zelle zurückgebracht wird. Dort angekommen bekommt er keine sauberen Kleider, sondern muß die verschmutzen stundenlang weitertragen.

Stafford Smith hat die Behandlungsmethode als "unzivilisiert" und "unamerikanisch" bezeichnet. Er forderte Obama dazu auf, Hassan und die anderen Unschuldigen von Guantánamo Bay einfach freizulassen. Leider dürfte der Aufruf des Menschenrechtlers ohne Wirkung bleiben. Denn an den entscheidenden Stellen im amerikanischen Regierungsapparat gibt es immer noch zu viele Personen, die offenbar glauben, daß die USA mit der Schreckensherrschaft von Guantánamo Stärke und die Bereitschaft, unerbittlich und gegebenenfalls übermäßig gegen jede "Terrorgefahr" vorzugehen, demonstrieren müssen.

14. März 2014