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LATEINAMERIKA/2145: Was rät Obama den "Verdammten dieser Erde"? (SB)


Evangelium der Versöhnung komplettiert Waffengewalt und Staatsräson


Nachdem sich George W. Bush in Lateinamerika so unbeliebt gemacht hat, wie kaum ein anderer US-Präsident vor ihm, wird Barack Obama den Scherbenhaufen nicht etwa kitten, sondern mit der verführerischen Botschaft hausieren gehen, man könne das Tal der Tränen guten Mutes durchschreiten, wenn man nur wie ein Mann zusammenstehe. Vor seinem Amtsantritt verkündete er in Washington, er werde das Werk Martin Luther Kings fortführen und dessen Traum zur Durchsetzung verhelfen. In den USA seien die Schicksale der einzelnen Bürger "untrennbar miteinander verbunden", erklärte Obama. "Wir wollen uns an Kings Lehre erinnern, daß unsere getrennten Träume in Wirklichkeit einer sind."

Träumen etwa der Ausbeuter und der Ausgebeutete, der Unterdrücker und der Unterdrückte, der Herr und der Sklave denselben Traum? Wer das behauptet und zum Leitmotiv seiner Präsidentschaft macht, ist angetreten, die Waffengewalt und Staatsräson um das Evangelium der Versöhnung zu ergänzen, denn ohne Beteiligung der "Verdammten dieser Erde", um mit Frantz Fanon zu sprechen, kommt Herrschaftssicherung niemals aus.

Wer aber meint, es handle sich lediglich um den alten Wein von Arm und Reich in neuen Schläuchen, begeht einen verhängnisvollen Irrtum und unterliegt dem Phänomen Obama in seiner betörenden Wirkgewalt. Inmitten der Krise des Kapitalismus und endloser Kriegszüge in aller Welt, inmitten um sich greifenden Elends im reichsten Land der Welt, gelingt es dem 44. Präsidenten der USA, ungeheure Erwartungen zu schüren und überwältigenden Optimismus zu wecken.

Laut "Washington Post" und "ABC-News" glauben mehr als zwei Drittel der US-Bürger, daß Obama sein ominöses Wahlversprechen, wonach alles anders wird, wahrmachen kann. Sie halten ihn für "ehrlich" und "vertrauenswürdig", für eine "starke Führungsfigur" und einen "guten Krisenmanager" sowie für ideologisch "auf der richtigen Seite". Millionen Menschen haben sich in Washington versammelt, um "die größte Feier der Geschichte" mitzuerleben. Obama hat "die offenste Vereidigungsfeier" aller Zeiten angekündigt, und dieser Ausnahmezustand wahnwitzigen Siegestaumels wird mit dem gigantischen Sicherheitsaufgebot von 25.000 Polizisten, 10.000 Nationalgardisten und 7.500 Soldaten überwacht.

Das Kolosseum des Imperiums läßt grüßen, doch diesmal in Dimensionen und Reichweiten, die den ganzen Erdkreis in ihren Bann zu schlagen drohen, der wie hypnotisiert den Blick nach Washington richtet, wo das neue Licht der Welt aufgehen soll. Die Länder und Völker Lateinamerikas wären gut beraten, sich zuallererst der lähmenden Faszination der Frage zu entziehen, was sie von diesem neuen US-Präsidenten zu erwarten haben. Der emanzipatorische Drang, den sie während der Bush-Ära entfaltet haben, darf doch nicht auf dem Altar Barack Obamas geopfert werden!

20. Januar 2009