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LATEINAMERIKA/2183: Expräsident Fujimori zu 25 Jahren Haft verurteilt (SB)


Spektakulärer Prozeß rechnet mit dem Regime der 1990er Jahre ab


Der frühere peruanische Präsident Alberto Fujimori ist in Lima zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Nach einer 15 Monate dauernden Verhandlung wurde er in einem Mordprozeß in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Ihm wurden Verbrechen zur Last gelegt, die eine Todesschwadron der Streitkräfte auf seinen Befehl hin begangen hat. Die Anschuldigungen seien zweifelsfrei bewiesen worden, erklärte der Vorsitzende Richter César San Martín in seiner Urteilsbegründung. Der Angeklagte sei "indirekter Urheber" heimtückischer Morde und Entführungen, die Anfang der 1990er Jahre an 25 Zivilisten begangen wurden. Ob Fujimori die Haftstrafe tatsächlich antritt, ist jedoch noch nicht entschieden. Der 70jährige verfolgte die Verkündung des Strafmaßes äußerlich gelassen und kündigte Einspruch beim Obersten Gericht des südamerikanischen Landes an.

Im November 1991 wurden in einem Vorort Limas Teilnehmer eines Grillfestes von der "Gruppe Colina", einer Spezialeinheit des militärischen Geheimdienstes, überfallen. Dabei erschossen die vermummten Angreifer 15 Menschen, darunter auch ein Kind, während sich die gesuchten Sympathisanten der Guerillaorganisation "Leuchtender Pfad" auf einer anderen Etage des Mietshauses befanden. Sieben Monate später, im Juli 1992, entführte die "Gruppe Colina" bei einem ähnlichen Überfall in Lima neun Studenten und ein Hochschullehrer, die später durch Genickschüsse getötet wurden.

Bei seinem Schlußplädoyer in der vergangenen Woche hatte sich der frühere Staatschef als unschuldig bezeichnet und den Kampf gegen die Rebellen der Gruppe "Leuchtender Pfad" zu rechtfertigen versucht. Seine Strategie zur Befriedung des Landes sei richtig gewesen, sagte Fujimori. Auf die gegen ihn gerichteten Vorwürfe ging er nur am Rande ein. Seine Verteidigung war bemüht, ihn als Staatsoberhaupt zu präsentieren, das über die Operationen gegen den maoistischen "Leuchtende Pfad" und anderer linksextremistischer Gruppen nicht informiert war und keine Befehlsgewalt über das Militär hatte. Fujimori wies alle Vorwürfe zurück und stellte sich in seinem Schlußwort als Opfer politisch motivierter Verfolgung dar. Er sprach von doppelten Standards: Wenn er inhaftiert sei, müsse es auch Ermittlungen gegen den jetzigen Präsidenten Alan García geben. García regierte bereits von 1985 bis 1990, hat aber jede Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen während dieser Zeit zurückgewiesen.

In krassem Widerspruch zu seiner angeblichen Unkenntnis stellte sich Fujimori in seinem als politisches Vermächtnis angelegten Plädoyer selbst als die Person dar, die den Kampf gegen die Subversion anführte und dabei alle Fäden in der Hand hielt. Zwei geständige Angehörige der Einheit "Colina" bestätigten vor Gericht, daß es sich dabei um eine Sondereinheit der Streitkräfte gehandelt habe, die auf Befehl von ranghohen, Fujimori direkt unterstellten Befehlshabern die Morde ausführte. Zu einem früheren Zeitpunkt hatte bereits der damalige Operationschef der Todesschwadron, Santiago Martín Rivas, unter anderem öffentlich geäußert, Fujimori habe die Gruppe persönlich angewiesen, subversive Kräfte umzubringen.

Nach Bekanntwerden des Urteils hoben Menschenrechtsorganisationen dessen Bedeutung auf internationaler Ebene hervor. José Miguel Vivanco von Human Rights Watch wies darauf hin, daß zum ersten Mal überhaupt ein demokratisch gewählter Präsident in einem vollkommen transparenten Verfahren wegen Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden ist. Das Gericht habe der Welt gezeigt, daß auch ehemalige Staatschefs nicht erwarten könnten, mit schweren Verbrechen davonzukommen. Fujimori war 2008 in einem anderen Verfahren bereits zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Zudem werden weitere Verfahren gegen ihn vorbereitet, in denen man ihm Korruption zur Last legt.

Für Fujimori ist mit der Urteilsverkündung sein Vorhaben endgültig gescheitert, sich noch einmal politisch zu betätigen. Das Urteil dürfte jedoch auch weitreichende politische Konsequenzen für Peru haben. Dem amtierenden Präsidenten Alan García werden ebenfalls Menschenrechtsverletzungen während seiner ersten Amtszeit vorgeworfen. Mit der Verurteilung Fujimoris dürfte damit der Druck steigen, auch García vor Gericht zu stellen.

Am Vorabend der mit Spannung erwarteten Urteilsverkündung hatten sich sowohl Anhänger als auch Gegner Fujimoris in der Hauptstadt versammelt, darunter Hinterbliebene jener 25 Opfer der Todesschwadron. Vor dem von starken Sicherheitskräften geschützten Gerichtsgebäude kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern. Angeführt von seiner Tochter Kaiko Fujimori hatten die Parteigänger des Expräsidenten für den Fall einer Verurteilung mit Straßenprotesten gedroht. In der Nähe des Gerichts hielten sie Spruchbänder mit Aufschriften wie "Fujimori, das Volk ist mit Dir!" hoch. Umfragen zufolge bezeichnet sich rund ein Drittel der Peruaner als Anhänger Fujimoris, während ihn zwei Drittel in Haft sehen wollen. Zur Urteilsverkündung waren 2.000 Polizisten im Einsatz, weitere 8.000 standen in Bereitschaft.

Keiko Fujimori versucht sich als Sachwalterin der Politik ihres Vaters zu profilieren. Die 34 Jahre alte Kongreßabgeordnete will aller Voraussicht nach bei der Präsidentenwahl 2011 kandidieren. Zuvor muß sie jedoch eine Partei mit einer tragfähigen Struktur aufbauen, die es mit dem einflußreichen Apparat der APRA des amtierenden Präsidenten Alan García aufzunehmen kann. Von diffusen Verweisen auf die Regierungsarbeit ihres Vaters abgesehen ist von einem politischen Programm bei ihr bislang nichts zu erkennen. García, der während Fujimoris Amtszeit im Exil in Kolumbien und Frankreich lebte, zeigte sich während seiner bisherigen Regierungsarbeit tolerant gegenüber dem "Fujimorismus". Während des Prozesses gegen seinen Amtsvorgänger hatte er sich mit Stellungnahmen weitgehend zurückgehalten.

Um Aufstieg und Einfluß Alberto Fujimoris zu bewerten, muß man auf die politischen Verhältnisse im Peru der 1980er Jahre zurückblicken. Damals verfestigte sich unter den Regierungen der Accion Popular (1980-1985) und der APRA ((1985-1990) das burgeoise System zu Lasten der Lebensverhältnisse für die Mehrheit der Bewohner des Andenstaats. Dies trug zum überraschenden Aufstieg Fujimoris bei, der sich 1990 im ersten Wahlgang aus dem politischen Niemandsland auf den zweiten Rang katapultierte und in der Stichwahl mit dem Schriftsteller Mario Vargas Llosa den Kandidaten der Elite und Oberschicht übertrumpfte.

In den 1990er Jahren holten Präsident Alberto Fujimori und sein Geheimdienstberater Vladimiro Montesinos - mit hoher Wahrscheinlichkeit ein von der CIA generiertes Gespann - mit einem als parlamentarische Demokratie kaschierten Regime in Peru die Diktatur nach. Sie setzten auf breiter Front durch, was immer Washington und die internationale Finanzadministration für nötig erachteten, um das Land politisch willfährig und in Schuldknechtschaft zu halten: Vernichtung der Guerilla, Ausrottung der Kokakulturen, Durchsetzung einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, hohe Überschuldung, Abbau sozialer Leistungen und dementsprechender Subventionen, Einschüchterung und Ausschaltung der Gewerkschaften und der Opposition. Die Folge waren eine Konsolidierung der Eliten, gute Wirtschaftsdaten, wachsender Wohlstand für eine Minderheit und massive Verelendung der Bevölkerungsmehrheit, die zunehmend ausgegrenzt wurde und in der vorgeblichen Erfolgsbilanz nicht mehr repräsentiert war.

Dieser harte Kurs erforderte einerseits eine rigide Sicherheitspolitik, die Montesinos mit einem Netz aus Überwachung, Einschüchterung und Korruption geradezu virtuos bediente. Nach dem Sturz des Regimes fand man Tausende Videobänder im Archiv des Schattenmanns, der jede Geldübergabe heimlich aufgezeichnet hatte, um die Empfänger erpreßbar zu machen. Zugleich durften die beiden Machthaber den Bogen der Ausbeutung und Unterdrückung nicht überspannen, wollten sie nicht verzweifelten Widerstand gegen ihr Regime provozieren. Daraus resultierten Fujimoris Reisen durch die Provinz, die den armen und ausgegrenzten Menschen vorgaukelten, der Präsident sei persönlich erschienen, um ihnen eine Straße, eine Schule oder den Kredit für ein Haus zu schenken. Daß diese Gaben nur Bruchteile dessen waren, was ihnen die Regierung an unterlassener Infrastruktur- und Sozialpolitik vorenthielt, war offenbar ein zu weitreichender Gedanke, als daß er unter den armen Leuten auf fruchtbaren Boden gefallen wäre.

Als dieses Werk der Ausbeutung, Unterdrückung und Zurichtung mit harter Hand vollbracht war, wurden die beiden hochgeschätzten Handlanger überstaatlicher Zugriffsinteressen binnen kürzester Frist verfemt und demontiert - ein Verfahren, dessen sich insbesondere die US-Administration weltweit immer wieder bedient. Die peruanische Justiz bekam Montesinos nach mehrmonatiger Flucht zu fassen und steckte ihn in ein Hochsicherheitsgefängnis außerhalb der Hauptstadt Lima, das er einst selbst für die gefangenen Guerilleros errichten ließ. Hatte er vordem zahllose Politiker, Richter, Journalisten, Unternehmer und andere Personen in einflußreichen Positionen bestochen und mittels heimlich gesammelter Informationen in der Hand gehabt, so kann er heute nur noch andere mit seinen Enthüllungen in Schwierigkeiten bringen, ohne selbst maßgeblich davon zu profitieren. Er verbüßt eine fünfzehnjährige Haftstrafe, während man ihm nach und nach immer weitere Prozesse macht.

Sein früherer Kumpan Fujimori mußte das Land im Jahr 2000 fluchtartig verlassen, da man ihm dort wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption den Prozeß machen wollte. Er wurde im November 2005 in Santiago de Chile bei seiner überraschenden Einreise aus dem sicheren japanischen Exil festgenommen, als er in den Präsidentschaftswahlkampf Perus persönlich eingreifen wollte. Zunächst schien er es besser getroffen zu haben als sein früherer Zwilling Montesinos. Das änderte sich jedoch im September 2007, als Chile entgegen langjähriger Praxis nach verbissenem juristischen Tauziehen Fujimori schließlich an Peru auslieferte.

Schon zuvor war im Frühjahr 2006 sechs Jahre nach dem unrühmlichen Ende des diktatorisch ambitionierten Regimes der Name Fujimori in die aktuelle Politik des Andenstaats zurückgekehrt. Es handelte sich jedoch nicht um den Expräsidenten, der zu diesem Zeitpunkt im chilenischen Hausarrest saß, sondern seine Tochter Keiko Fujimori, die als neugewählte Abgeordnete ins Parlament einzog. Wie sie am Wahltag erklärte, sei sie sich dessen bewußt, daß die große Unterstützung, die sie erfahren habe, eigentlich ihrem Vater gelte, dem die Menschen in Liebe und Dankbarkeit verbunden seien, was natürlich eine schamlose Übertreibung war. Daß viele Peruaner den alten Hardliner inzwischen in milderem Licht sahen, lag in erster Linie daran, daß sich sein Nachfolger Alejandro Toledo als Enttäuschung auf ganzer Linie erwiesen und maßlos unbeliebt gemacht hatte. Daraufhin wuchs der harte Kern eingefleischter Anhänger Fujimoris doch beträchtlich an, was den Expräsidenten bewogen hatte, sein komfortables Exil zu verlassen und die Rückreise in der vergeblichen Hoffnung zu wagen, er könne ins Rennen um das höchste Staatsamt eingreifen.

Neben der Verantwortung für die Umtriebe der "Gruppe Colina" legte man Fujimori auch zur Last, die Entführung eines Journalisten und eines Geschäftsmanns angeordnet zu haben, die nach einem Verhör durch den militärischen Geheimdienst wieder freigelassen wurden. Zudem soll er Abgeordnete und Journalisten bestochen, Montesinos aus schwarzen Kassen bezahlt haben und für gesetzwidrige Abhöraktionen verantwortlich gewesen sein.

Die gravierendsten Taten, für die Fujimori zur Rechenschaft gezogen wurde, stehen in Zusammenhang mit dem blutigen Kampf gegen die Guerillaorganisationen. In den Jahren des Bürgerkriegs zwischen 1980 und 2000 starben nach Angaben einer von der Regierung 2003 eingesetzten Kommission fast 70.000 Menschen. Der Anführer des maoistischen "Sendero Luminoso" (Leuchtender Pfad), Abimael Guzmán, wurde 1992 gefangengenommen und die Túpac Amaru nach der Geiselnahme in der japanischen Botschaft 1997 zerschlagen.

Wie aus freigegebenen Akten der US-Regierung hervorgeht, die vom National Security Archive an der George Washington University veröffentlicht worden sind, scheint Fujimori von Beginn seiner ersten Amtszeit an bewußt gewesen zu sein, daß die von ihm betriebene Niederschlagung der Rebellion im Land mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen verbunden war. So heißt es in einem damals geheimen Memo der US-Botschaft in Lima, das sich auf einen Mitarbeiter des Geheimdienstes beruft, Präsident Fujimori unterstütze einen zweigleisigen Plan zur Aufstandsbekämpfung. Ein Teil werde in der Öffentlichkeit abgehandelt und betone die Wahrung der Menschenrechte, während der andere Teil die Geheimdienste im Verborgenen stärke und die Behörden darauf vorbereite, wie sie mit Vorwürfen, es sei zu Menschenrechtsverletzungen gekommen, umzugehen hätten.

Ein anderes Dokument der Defense Intelligence Agency aus dem Jahr 1997 bringt Fujimori in unmittelbaren Zusammenhang mit der Hinrichtung unbewaffneter Rebellen in der japanischen Botschaft, die sich bereits ergeben hatten. Wie es in der Nachricht hieß, habe Fujimori Befehl gegeben, keine Gefangenen zu machen. Darüber wurde zwar im aktuellen Prozeß nicht verhandelt, doch belegen diese und zahlreiche weitere vom National Security Archive veröffentlichte Dokumente, daß der damalige Präsident Perus die Repression gezielt forciert hat und die US-Administration jederzeit im Bild war. Wie nicht anders zu erwarten, blieb im Prozeß gegen Alberto Fujimori die aktive Beteiligung Washingtons am Regime in Peru ausgeblendet.

8. April 2009