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LATEINAMERIKA/2201: Bolivien und Venezuela nationalisieren Schlüsselindustrien (SB)


Kontrolle über die Verwertung der Sourcen und höhere Anteile am Erlös


Nahezu im Gleichschritt schreiten Bolivien und Venezuela bei der Nationalisierung von Schlüsselindustrien voran, die dem Zweck dient, Kontrolle über die Verwertung der Sourcen und höhere Anteile am Erlös zu erlangen. Es handelt sich dabei um keine entschädigungslose Enteignung im klassischen Sinn, sondern um eine von der Regierung angeordnete Übertragung von Rechten und Anteilen, über deren Preis zwangsläufig heftiger Streit ausbricht. Da die betroffenen ausländischen Konzerne nicht bereit sind, freiwillig auf einen Teil ihrer Profite zu verzichten oder gar das Ruder aus der Hand zu geben, fügen sie sich nur zähneknirschend der neuen Konstellation. Mitunter verweigern multinationale Unternehmen einen entsprechenden Neuvertrag und ziehen sich ganz oder zeitweise aus dem Förderland zurück. In aller Regel kommen die ausländischen Investoren jedoch zu dem Schluß, daß ihre geschmälerten Gewinne immer noch groß genug sind, um das weitere Engagement zu rechtfertigen.

Vor seinem Amtsantritt im Jahr 2006 hatte Evo Morales seinen bolivianischen Landsleuten versprochen, er werde die Gas- und Ölindustrie unter nationale Kontrolle stellen. Im Mai 2006 schuf er mit einem Präsidialdekret die rechtliche Grundlage für die Gründung einer staatlichen Ölgesellschaft und die Nationalisierung dieser wichtigsten Industriezweige. Während die Privatfirmen bis dahin 82 Prozent der Gewinne einstrichen, der Staat hingegen nur 18 Prozent erhielt, hat sich das Verhältnis seither umgekehrt. Dadurch verdreifachten sich die Einnahmen aus dem Gasgeschäft mit den wichtigsten Abnehmern Brasilien und Argentinien auf jährlich 2,7 Milliarden Dollar. Die mit den Konzernen ausgehandelten Verträge und die hohen Weltmarktpreise erlaubten es der Regierung, Sozialprogramme zu finanzieren.

Drastisch gefallene Gaspreise haben inzwischen jedoch gewaltige Löcher in den Staatshaushalt gerissen, welche die Regierung zwingen, Leistungen einzuschränken. Hinzu kommen eine rückläufige Nachfrage, fehlende Investitionen, aber auch Inkompetenz und Korruption im Energiesektor. Trotz dieser schwerwiegenden Probleme geht die politische Führung Boliviens daran, die Wiederaneignung von Air BP durchzuführen, die das Monopol für alle zwölf Flughafentankstellen des Landes innehat. Geplant ist der Aufkauf des gesamten Aktienpakets, dessen Wert nun in Kürze ermittelt werden soll.

Auch die venezolanische Regierung schickt sich an, weitere Teile der Ölindustrie in staatlichen Besitz zu überführen. Das Parlament hat ein Gesetz zur Übernahme einer Reihe von Dienstleistungsunternehmen in diesem Sektor verabschiedet, das es der staatlichen Gesellschaft Petroleos de Venezuela (PDVSA) erlaubt, in der ölreichen Region am Maracaibo-See die Kontrolle über einheimische und ausländische Zulieferer, Transport- und andere Subunternehmen zu übernehmen. Davon unberührt bleiben vorerst private Bohrfirmen.

Wie Bolivien bekommt auch Venezuela die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftkrise und die gefallenen Preise für Rohstoffe zu spüren. Um die Ölproduktion zu steigern, wurden private Dienstleister herangezogen, die unter Einsatz ihrer Expertise und Technologie die Förderung auch unter schwierigen Bedingungen verbessern sollen. Da sich der Staatshaushalt zu mehr als 90 Prozent aus dem Ölexport speist, ist dies der mit Abstand wichtigste, um nicht zu sagen existentielle Wirtschaftszweig des Landes. Petróleos de Venezuela ist derzeit bemüht, eine Reduzierung der Schulden bei diesen ausländischen Privatunternehmen auszuhandeln.

Dieser Schwierigkeiten ungeachtet stellte Präsident Hugo Chávez unmißverständlich klar, daß die Venezolaner nie wieder Sklaven sein werden. So hat die Regierung die Nationalisierung von Bohrstellen, Ölterminals und Booten am Maracaibo-See angekündigt. Große Konzerne wie Chevron and Total setzen angesichts der gewaltigen Ölreserven ihr Engagement fort, da Venezuela im Unterschied zu anderen bedeutenden Förderländern wie Saudi-Arabien oder Mexiko ausländische Gesellschaften als Minderheitspartner auf den nationalisierten Ölfeldern duldet. Den europäischen und US-amerikanischen Konzernen droht inzwischen Konkurrenz aus Rußland und China, die vor allem im Orinocobecken tätig werden will.

12. Mai 2009