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LATEINAMERIKA/2220: Perus Regime setzt auf offene Repression (SB)


Rebellion indígener Völker durchkreuzt Doktrin Garcías


In Reaktion auf das Massaker von Polizeikräften an indígenen Demonstranten und deren entschlossenen Widerstand im peruanischen Amazonasgebiet hat der Kongreß in Lima zwei Dekrete Präsident Alan Garcías vorerst auf Eis gelegt. Die Ausbeutung von Rohstoffvorkommen durch ausländische Investoren und damit die kalkulierte Preisgabe der Existenzsicherung der Bewohner dieser Region ist damit allerdings nur vorübergehend verzögert, doch keineswegs abgewendet. Der Staatschef will die dort vermuteten immensen Öl- und Gasvorkommen durch ausländische Konzerne erschließen lassen, was angesichts der herrschenden Kräfteverhältnisse erfahrungsgemäß auf eine Ausplünderung heimischer Ressourcen zugunsten transnationaler Profiteure hinausläuft.

In eklatanter Verkennung des Organisationsgrads und des daraus erwachsenden Widerstandspotentials hatte der Präsident erklärt, sein Vorgehen sei für die Entwicklung des Landes unverzichtbar, während einige hunderttausend Ureinwohner irrelevant seien und sich dem Fortschritt nicht in den Weg stellen dürften. Da die protestierenden Indígenas durchaus in der Lage sind, die urbanen und industriellen Zentren Perus von der Versorgung mit Öl und Gas abzuschneiden, ordnete die Regierung die gewaltsame Räumung der wichtigsten Straßenblockade an, die von mehreren tausend Menschen aufrechterhalten wurde. Unter dem Beschuß mit Tränengas und scharfer Munition aus Hubschraubern und im Feuer schwerbewaffneter Spezialeinheiten am Boden wurden zahlreiche Menschen getötet, wobei bei dieser und weiteren daraus resultierenden Auseinandersetzungen mehr als 50 Opfer zu beklagen waren.

Offenbar nutzten die Sicherheitskräfte die von Präsident García in den nördlichen Amazonasprovinzen Bagua und Utcubamba verhängte Ausgangssperre, um die Ausmaße des Massakers zu vertuschen. Polizisten packten die Leichen von Indígenas in Säcke und warfen sie aus Hubschraubern über dem Fluß Marañón ab. Diesen Bericht Walter Kategaris von der AIDESEP aus Bagua bestätigte Gregor MacLennan von der Nichtregierungsorganisation "Amazon Watch", der sich dabei auf Augenzeugenberichte berief. Diese Vorgehensweise der peruanischen Sicherheitskräfte erinnert fatal an die Praktiken zu Zeiten südamerikanischer Militärdiktaturen.

Die offizielle Version der Regierung, wonach es unter den bis an die Zähne bewaffneten Sicherheitskräften mehr Opfer als unter den mit Pfeil und Bogen bewehrten Ureinwohnern gegeben haben soll, zog auch Nelson Manrique von der Pontifikalen Katholischen Universität Perus in Zweifel. Dieser warnte die Regierung davor, die Ureinwohner als eine Bedrohung des peruanischen Staates darzustellen. (junge Welt 11.06.09)

Alberto Pizango von der "Interethnischen Vereinigung für die Entwicklung des Regenwaldes" (AIDESEP) wird von der peruanischen Regierung wegen "Sezession und Terrorismus" per Haftbefehl gesucht. Erste Meldungen, er sei nach Bolivien entkommen, bestätigten sich nicht. Vielmehr beantragte er in der nicaraguanischen Botschaft in Lima politisches Asyl, das inzwischen offiziell gewährt wurde. Daß die indígenen Völker Perus in ihrem Kampf nicht allein stehen, unterstreichen Solidaritätserklärungen von Indígenen-Verbänden in ganz Südamerika, die unter anderem eine Klage gegen García vor dem Menschenrechtstribunal in Den Haag angekündigt haben.

Präsident Alan García bezichtigte auf einer Pressekonferenz konkurrierende "Erdölmächte", die den Konflikt in der Absicht entfacht hätten, die wirtschaftliche Entwicklung seines Landes zu behindern. Wenngleich er es vermied, Venezuela und Bolivien namentlich zu nennen, konnte doch nicht verborgen bleiben, auf wen sich die haltlose Bezichtigung bezog. Wie Garcías Parteifreund Muricio Mulder behauptete, zeigten die Proteste in Peru "sehr große Ähnlichkeiten mit denen, die Morales ins Präsidentenamt gebracht hatten, sie bereiten eine Atmosphäre der Anarchie." Ein anderer Abgeordneter beschuldigte Morales sogar direkt, dieser habe die "Rebellion" durch Briefe und Mitteilungen an eine Versammlung peruanischer Indígener angefacht. So wenig der Vorwurf zutrifft, Evo Morales stecke als Verschwörer hinter dem Aufbegehren der peruanischen Indígenas, so berechtigt ist die Furcht der politischen Führung in Lima, es könne ihr genauso ergehen wie ihrem bolivianischen Pendant im Jahr 2005.

In einer Pressekonferenz rückte der bolivianische Vizepräsident Álvaro García Linera die Verhältnisse gerade. Er bezeichnete es als großen Fehler, interne Probleme durch den Verweis auf Dokumente, Karten und Programme erklären zu wollen: "Kein Volk rebelliert, weil es ein Dokument gelesen hat. Die Völker rebellieren, weil sie leiden, weil sie gedemütigt wurden und weil sie sich um ihren Reichtum, ihre Ressourcen und ihre Rechte betrogen fühlen." (junge Welt 11.06.09)

Mit seinem neoliberalen Kurs und dem Schulterschluß mit Washington, der expliziten Abkehr vom Streben nach Selbstbestimmung und einer engeren Zusammenarbeit lateinamerikanischer Länder und nicht zuletzt einer Ausgrenzung und massiven Unterdrückung der indígenen Völker repräsentiert Präsident Alan García die untergehende Epoche repressiver nationaler Eliten, die sich als Vasallen der USA und überstaatlicher strategischer Interessen der Metropolen positionieren. Während das Wirtschaftswachstum Perus nur einer Minderheit zugute kommt, leidet die Mehrheit der Bevölkerung bis weit hinein in die Mittelschichten an zunehmender Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse. Der Widerstand verschiedener gesellschaftlicher Gruppen wurde wiederholt durch massiven Einsatz von Militär und Polizei unterdrückt, wobei die Regierung die offene Repression bislang scheute. In den indígenen Völkern des Regenwalds, der die Hälfte des Landes bedeckt, einen Spielball übergeordneter Verfügungsinteressen zu sehen, den man brutal aus dem Weg treten kann, könnte sich auch im Falle Perus als Anfang vom Ende des Regimes erweisen.

11. Juni 2009