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LATEINAMERIKA/2221: Kolumbianische Guerilla keineswegs besiegt (SB)


FARC auch nach 45 Jahren schlagkräftig


45 Jahre nach ihrer Gründung sind die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) zwar geschwächt, doch keineswegs geschlagen. Der von Präsident Alvaro Uribe angestrebte militärische Sieg ist nicht in Sicht, wie die jüngsten Aktivitäten der nach dem Führungswechsel neu formierten größten Guerillaorganisation des südamerikanischen Landes unterstreichen. Die Rebellen haben in den vergangenen Wochen ihre Angriffe spürbar verstärkt. Ende Mai starben bei Kämpfen zwischen den Streitkräften und Guerilleros insgesamt 20 Menschen, wobei die schwersten Gefechte aus der südlichen Provinz Meta gemeldet wurden. Offiziellen Angaben zufolge wurden dort elf Soldaten und fünf Mitglieder der FARC getötet. Zwei Wochen vorher hatten die Rebellen mehrere Polizeistationen an verschiedenen Orten angegriffen, wobei im Zuge dieser Auseinandersetzungen zehn Soldaten und Polizisten sowie sieben Rebellen starben. In der Provinz Norte de Santander wurden vier Soldaten getötet, als eine Militärpatrouille in ein Minenfeld der FARC geriet. Drei Polizisten und zwei Rebellen kamen bei einer Aktion des kleineren "Nationalen Befreiungsheeres" (ELN) um, das sich in seiner politischen Ausrichtung stärker an Kuba orientiert. Zu Kämpfen zwischen der FARC-Guerilla und den Sicherheitskräften kam es auch in der Provinz Tolima im Zentrum des Landes und in der südwestlichen Provinz Cauca.

Wie stark die 1964 gegründete Guerilla der "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" heute ist, vermag kein Außenstehender mit Sicherheit zu sagen. Nach Angaben der Regierung in Bogotá zählt sie derzeit rund 7.000 Kämpfer, was Nichtregierungsorganisationen für einen aus Gründen der Propaganda zu niedrig angesetzten Schätzwert halten. Sie gehen eher von 10.000 Kämpfern aus. Berichte von Überläufern lassen darauf schließen, daß die FARC nach den schweren Rückschlägen des vergangenen Jahres unter ihrer neuen Führerschaft wieder an Geschlossenheit und Kampfkraft gewonnen hat. Offenbar geht sie nun konsequent frontalen Konfrontationen mit der Armee aus dem Weg und greift verstärkt auf die traditionelle Guerillataktik zurück.

Unterdessen trifft der Führungszirkel um Präsident Uribe Vorkehrungen für den langfristigen Fortbestand seiner Macht. Am 30. Mai 2010 finden in Kolumbien Präsidentschaftswahlen statt, wobei noch immer ungeklärt ist, ob Uribe für eine dritte Amtszeit kandidieren wird. Sollte er das beabsichtigen, wofür es durchaus Hinweise gibt, müßte er zuvor eine erneute Verfassungsänderung herbeiführen. Im Jahr 2006 bedurfte es einer ersten Änderung der Grundordnung, um ihm die Möglichkeit der Wiederwahl einzuräumen. Wie sich später herausstellte, war ein Teil der Stimmen im Kongreß gekauft, als dieser die weitreichende Neuerung billigte.

Falls sich der Amtsinhaber jedoch zum Rückzug entschließt, muß Juan Manuel Santos einspringen, der vor wenigen Tagen als Verteidigungsminister zurückgetreten ist, um sich auf die Kandidatur vorzubereiten. Da die kolumbianische Verfassung vorsieht, daß Bewerber um die Präsidentschaft im Jahr vor den Wahlen kein öffentliches Amt mehr bekleiden dürfen, hält sich Santos mit seinem Rücktritt alle Optionen offen. Er gilt als der zweite Mann hinter Präsident Uribe und dessen designierter Nachfolger, wobei der Minister bei seinem Ausscheiden aus dem Kabinett die taktische Marschroute offenlegte: "Wenn der Präsident antritt, wird er auf meine völlige Unterstützung zählen können und entscheiden, auf welcher Position und wie ich meinen Land weiter dienen kann."

Der 57 Jahre alte Juan Manuel Santos gehört einer der mächtigsten und einflußreichsten Familien Kolumbiens an. Während formale Strukturen und Abläufe das Land als parlamentarische Demokratie ausweisen, sind es doch vor allem alteingesessene Familienclans, der an den Hebeln der Herrschaftssicherung sitzen und in der Konkurrenz diverser legaler und illegaler Kriegsherrn das überdauernde Element repräsentieren. Wirtschaftseliten und Streitkräfte, ja offenbar auch die Paramilitärs und Drogenkartelle sahen keinen Grund, sich Alvaro Uribes zu entledigen. Er gilt ihnen als bestmöglicher Sachwalter ihrer Interessen, wobei sie zugleich seine Verbindungen zu den Todesschwadronen und anderen zwielichtigen Kräften fürchten, die ihn zu einem Gegner machen, mit dem man sich nicht anlegt.

Kann man Alvaro Uribe, der ebenfalls einer Familie von Großgrundbesitzern entstammt, als politischen Meister im Aussteuern rivalisierender Machtblöcke bezeichnen, so gilt Santos als wesensverwandter Akteur, der bei identischen Zielen den Part des loyalen Gefolgsmanns übernommen hat, der bei Bedarf in die Bresche springen kann. Der Wirtschaftswissenschaftler war unter den Präsidenten César Gaviria und Andrés Pastrana Außenhandels- bzw. Wirtschaftsminister, worauf ihn Uribe im Juli 2006 zum Verteidigungsminister ernannte und ihn damit im Bürgerkriegsland Kolumbien mit dem wichtigsten Posten in seinem Kabinett betraute. Santos wurde seinem Ruf als rechtskonservativer Hardliner voll und ganz gerecht, wobei ihm der Umstand zugute kam, daß die milliardenschwere Militärhilfe der Vereinigten Staaten umgesetzt werden konnte und inzwischen in Gestalt für den Guerillakrieg ausgebildeter und hochgerüsteter Sonderbataillone griff.

In der Amtszeit dieses Verteidigungsministers verzeichneten die Streitkräfte wichtige Erfolge gegen die Rebellen. In enger Zusammenarbeit mit den Militärs und Geheimdiensten der USA griffen kolumbianische Truppen am 1. März 2008 ein provisorisches Lager der FARC in Ecuador an und töteten alle Insassen, darunter auch Comandante Raúl Reyes, der unter venezolanischer Vermittlung die Freilassung weiterer Gefangener in die Wege leiten wollte. Da es sich bei diesem folgenschweren Überfall um eine völkerrechtswidrige Operation auf fremdem Territorium handelte, brachte er Ecuador und Venezuela auf der einen und Kolumbien auf der anderen Seite an den Rand eines Regionalkrieges. Der zweite spektakuläre Schlag des vergangenen Jahres war die "Operation Schach", bei der ein Spezialkommando die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, drei US-Söldner und elf weitere Gefangene befreite und damit die FARC ihrer prominentesten Geiseln beraubte. Auch diese Operation war skrupellos geplant und ausgeführt, da sie das Emblem des Roten Kreuzes mißbrauchte.

Dank seiner Erfolge als Kriegsminister gilt Santos in Washington als ebenso vertrauenswürdig wie geeignet, Kolumbien als Bastion hegemonialer Einflußnahme zu verteidigen und zu sichern. Auch im eigenen Land hat er wenig Widerstand zu befürchten, da er über beträchtliche Medienmacht verfügt. Die Familie Santos hat über ihre Beteiligungen Einfluß auf den spanischen Medienkonzern PRISA und dessen wichtigste kolumbianische Zeitung "El País", während sein Cousin Enrique die größte Tageszeitung "El Tiempo" leitet und der Interamerikanischen Presse Assoziation vorsteht.

Nachfolger des als Verteidigungsminister zurückgetretenen Juan Manuel Santos wurde vorerst Generalstabschef Freddy Padilla, der auf Anordnung Präsident Uribes diesen Posten übergangsweise ausüben soll und zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte bleibt. Padilla gilt als Offizier, der Uribe nahesteht und dessen repressiven Kurs mit Sonderbefugnissen der Militärs, Aufstockung und Aufrüstung der Truppen sowie einer offensiven Kriegsführung gegen die Rebellen voll und ganz unterstützt.

12. Juni 2009