Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2266: USA und Teile Europas sanktionieren Sandinisten (SB)


Feind bleibt Feind - Alter Imperialismus in neuem Gewand


Die Geschichte Nicaraguas wurde in besonderem Maße von dem Zugriff imperialistischer Mächte, mit ihnen kollaborierenden nationalen Eliten und Machthabern, aber auch dem Widerstand gegen dieses Regime und dem Kampf um eine unabhängige Entwicklung geschrieben. Im Jahr 1909 zwangen die Vereinigten Staaten den liberalen Präsidenten José Zelaya zum Rücktritt. Drei Jahre später entsandten die USA Kanonenboote und Marinesoldaten, die von einer kurzen Unterbrechung abgesehen dauerhaft stationiert blieben, um die hegemonialen Ansprüche durchzusetzen. US-Soldaten ermordeten 1912 den liberalen Politiker Benjamín Zeledón. Der Widerstand gegen die Besatzer wurde einige Jahre später von Augusto César Sandino angeführt, der mit einer kleine Guerillatruppe die US-Amerikaner 1933 vertrieb. [1]

Diese hinterließen jedoch die berüchtigte Nationalgarde, deren Kommando Anastasio Somoza Garcia übernahm. Er verfügte damit über das entscheidende Zwangsmittel zur Unterdrückung des politischen Widerstands und ließ 1934 Sandino nach Friedensverhandlungen in Managua hinterrücks ermorden. Zwei Jahre darauf putschte er sich an die Macht und begründete die Diktatorendynastie der Somozas. Nach seiner Ermordung durch den Dichter Rigoberto López Perez führten seine Söhne Luis Somoza Debayle und Anastasio Somoza Debayle das Regime weiter. Für die Mehrzahl der Menschen im Land war das Dasein von Ausbeutung und Unterdrückung geprägt. Auf den Bananen- und Zuckerrohrplantagen der Großgrundbesitzer arbeitete die Masse der besitzlosen Landarbeiter unter sklavenähnlichen Verhältnissen.

Der Widerstand gegen diese elenden Lebensbedingungen und das repressive Regime wurde von jungen Revolutionären wie dem Landarbeitersohn Carlos Fonseca angeführt. In den Nachbarländern Honduras und Costa Rica operierten Organisationen, die sich im Jahr 1961 mit aufbegehrenden Gruppierungen Nicaraguas zur Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) zusammenschlossen. Diese repräsentierte ein relativ breites Bündnis aus Marxisten, Befreiungstheologen und bürgerlichen Kräften, so daß die Vorstellungen über die Formen und Ziele des Kampfs recht verschieden ausfielen.

Unter der Diktatur wurden Zehntausende Oppositionelle verfolgt und getötet. Rund 40 Prozent des landwirtschaftlich genutzten Bodens und ganze Industriezweige befanden sich schließlich in Besitz der Familie Somoza. Als diese jedoch im Zuge ihrer Bereicherung immer größere Teile des Bürgertums ausgrenzte, untergrub sie ihr eigenes Fundament und stärkte damit die wachsende Opposition. Nach dem schweren Erdbeben von 1972 bereicherte sich Somoza persönlich an Hilfsgeldern, wodurch seine Position auch international unter Druck geriet. Bei der Katastrophe starben mehr als 10.000 Menschen, Hunderttausende wurden obdachlos, doch die ausländischen Spendengelder für den Wiederaufbau wanderten zum großen Teil auf Privatkonten des Somoza-Clans, der selbst Blutspenden den Opfern vorenthielt. Mit der Ermordung eines US-Journalisten und des Zeitungsverlegers Pedro Joaquín Chamorro manövrierte sich die Diktatur noch weiter ins Abseits, während sich die Sandinisten beträchtlicher Sympathien im Ausland erfreuten. Aufstände nach dem Mord an Chamorro mündeten schließlich in einen Bürgerkrieg, dessen Opfer mit mehr als 40.000 Toten in erster Linie die Zivilbevölkerung trug. Nach der Niederlage im Vietnamkrieg waren die USA geschwächt und unter Präsident Carter zunächst wenig an einer weiteren Intervention interessiert.

Diese Konstellation führte dazu, daß die FSLN ungeachtet ihres uneinheitlichen Charakters und ihrer schwachen Bewaffnung den Somoza-Clan, der das Land jahrzehntelang drangsaliert hatte, am 19. Juli 1979 unter dem Jubel der Bevölkerung vertrieb. Die neu geschaffene "Regierung des Nationalen Wiederaufbaus" verstaatlichte den riesigen Besitz Somozas, schaffte die Todesstrafe ab, verteilte Getreide an Hungernde, führte eine Landreform durch, richtete eine kostenlose ärztliche Versorgung ein, leitete einer Kampagne zur Alphabetisierung ein und stärkte die Rechte der Frauen. An der Spitze dieser Regierung und später als gewählter Präsident hatte Daniel Ortega bis 1990 die Führung inne. Angesichts äußerer Bedrohung wurde eine Armee aufgebaut, welche die neue Gesellschaftsordnung verteidigen sollte.

Rasch wurde die tendenzielle gesellschaftliche Umgestaltung von den USA bedroht, die vor allem seit der Wahl Ronald Reagans im Jahr 1981 die "kommunistische Gefahr" in Mittelamerika rigoros bekämpften. Ehemalige Mitglieder der Nationalgarde, die von der CIA ausgebildet wurden, bildeten den Kern der Contras, die von Honduras und Costa Rica aus die Sandinisten drangsalierten. Mit einem Wirtschaftsembargo und verdeckten Militäroperationen sollte die sandinistische Regierung gestürzt werden. Die Contras gingen brutal gegen die Bevölkerung vor, folterten und töteten, zerstörten Gemeinde- und Gesundheitszentren. Mit rund 60.000 Toten waren es erneut vor allem die Zivilisten, welchen die Last des Krieges aufgebürdet wurde.

Dieser von Washington aufgezwungene Krieg trug entscheidend zum Scheitern der Sandinisten bei, die an der Durchführung ihrer sozialen Reformen gehindert wurden. Das Land versank im wirtschaftlichen Chaos, das in einer Hyperinflation mit Preissteigerungsraten von 36.000 Prozent im Jahr 1988 gipfelte.

Andererseits trugen die Sandinisten auch selbst zu ihrer Niederlage bei, indem sie beispielsweise eine Landreform ohne Rücksicht auf die Interessen der Kleinbauern durchsetzten. Auch die Mischökonomie aus starkem Staatssektor und "patriotischen" Unternehmen blieb umstritten. Persönliche Bereicherung führender Sandinisten tat ein übriges, um ihr Ansehen in der Bevölkerung sinken zu lassen. Die Wahlen im Jahr 1990 kamen unter Vermittlung der mittelamerikanischen Nachbarn zustande und führten zur Abwahl der sandinistischen Regierung. Nach dem Triumph der neoliberalen Violetta Chamorro im Jahr 1990 erfolgte eine vollständige Restauration der unter den Sandinisten eingeschränkten Ausbeutungsverhältnisse und die Rücknahme sozialer Reformen. Die Contras wurden nach langen Verhandlungen entwaffnet und die FSLN wechselte in die Opposition, wo sie von zahlreichen inneren Kontroversen und Spaltungen heimgesucht wurde. Aus dieser Phase resultieren mitunter erbitterte Feindschaften ehemals führender Repräsentanten der FSLN, die sich gegenseitig Verrat vorwerfen und das Recht absprechen, an den Sieg des Jahres 1979 anzuknüpfen.

Nachdem Daniel Ortega bei den Präsidentschaftswahlen 1996 und 2001 gescheitert war, gelang ihm schließlich im dritten Anlauf im November 2006 nach 16 Jahren in der Opposition die Wiederwahl ins höchste Staatsamt des Landes. Möglich machte dies nicht zuletzt ein Bündnis mit reaktionären Kräften, ein rigoroses Abtreibungsverbot als Konzession an die katholische Kirche sowie ein verändertes Wahlrecht, ohne dessen Hilfe er vermutlich von einem Zweckbündnis seiner Gegner ausgebootet worden wäre. Andererseits steht außer Frage, daß 16 Jahre konservativer Regierungen Nicaragua zum zweitärmsten Land Lateinamerikas nach Haiti abgewirtschaftet und alle Errungenschaften der früheren sandinistischen Regierung zerstört hatten.

Als Daniel Ortega Anfang 2007 das Präsidentenamt mit dem Versprechen antrat, die Revolution fortzuführen, war dies eine euphemistische Umschreibung früherer Unschärfe einer durchwachsenen Bewegung und um so mehr ein Anspruch an aktuell vertretene Positionen, über die sich streiten läßt. Während Ortega seinerzeit marxistischen Ideen mindestens nahestand, sagt er heute, daß Christentum und Sozialismus die Werte seien, die einen Revolutionär ausmachten. Unter dem starken Einfluß seiner Frau Rosario Murillo hatten die Sandinisten die Ecken und Kanten ihrer vormaligen Positionen abgeschliffen und sich liberalen bürgerlichen Kräften als bündnisfähige Reformkraft präsentiert. So wird in diesem Zusammenhang immer wieder gern zitiert, daß aus dem kräftigen Schwarz und Rot der FSLN ein blasses Rosa geworden ist, daß schon äußerlich signalisiere, in welch seichtes Fahrwasser die Bewegung gedriftet ist.

Seit er ins Präsidentenamt zurückgekehrt ist, bekennt sich Daniel Ortega jedoch zum Bündnis mit Hugo Chávez, Evo Morales und Rafael Correa, zur Mitgliedschaft in der ALBA und zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Mit der Übernahme der Regierung durch die FSLN wurden Gesundheit und Bildung wieder kostenfrei, bekämpft ein Null-Hunger-Programm die Armut. Als großen Erfolg konnte man dieser Tage in Nicaragua die Befreiung des Landes vom Analphabetismus feiern. Seit ihrem Amtsantritt im Januar 2007 ist es der Regierung gelungen, den Anteil der erwachsenen Bevölkerung, der weder lesen noch schreiben kann, von 21 Prozent auf 3,56 Prozent zu senken, was die UNESCO bestätigt habe. Damit ist Nicaragua nach Kuba, Venezuela und Bolivien das vierte Mitgliedsland der Bolivarischen Allianz ALBA, dem das gelungen ist. [2]

Für die armen Leute, an denen es Nicaragua am allerwenigsten mangelt, zählen in erster Linie die Sozialprogramme, die Präsident Ortega aufgelegt hat. Dank großzügiger Unterstützung Venezuelas und anderer befreundeter Länder werden Häuser und Straßen gebaut, Nahrungsmittel in den Armenvierteln subventioniert und Bildungsmaßnahmen gefördert. Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist die Stärkung der Landwirtschaft mit dem Ziel, Ernährungssouveränität zu erreichen. Unter den 5,5 Millionen Einwohnern des Landes gibt es 250.000 arme Bauernfamilien, die vor allem Grundnahrungsmittel wie Mais, Bohnen und Reis produzieren. Sie mit Krediten und Technologie zu versorgen, ist ein Anliegen der Regierung, das angesichts der Welternährungskrise als dringlicher denn je erachtet werden muß. Seit Ortegas Amtsantritt 2007 ist es dem Land gelungen, bei Grundnahrungsmitteln vom Importeur zum Exporteur zu werden.

Die Regierung der Sandinisten, wie moderat sie auch gegenüber früheren Positionen der FSLN geworden sein mögen, ist den Gegnern von einst auch heute ein Dorn im Auge. Während den neoliberalen Regierungen Nicaraguas trotz ihrer Elendsbilanz nie Auslandshilfen gekürzt wurden, haben die USA und Teile Europas derzeit insgesamt 150 Millionen Dollar eingefroren. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr rund elf Millionen Dollar Hilfszahlungen gestrichen und begründete dies mit "schlechter Regierungsführung", auch Finnland und die EU-Kommission beteiligen sich an den Sanktionen. Offensichtlich sind Ernährung der Bevölkerung, Gesundheitswesen und Bildung, Förderung kleinbäuerlicher Erwerbsmöglichkeiten und andere Hilfen für die Mehrheit der in Armut lebenden Menschen am allerwenigsten geeignet, der Führung in Managua eine förderungswürdige Politik zu attestieren.

Anmerkungen:

[1] Sieg der Menschenwürde. Vor 30 Jahren triumphierte in Nicaragua die sandinistische Volksbewegung (19.07.09)
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30739/1.html

[2] Sandinisten-ABC. Nicaraguanische Regierung feiert mit Tausenden den Sieg über den Analphabetismus und stellt bildungspolitische Ziele vor (26.08.09)
junge Welt

27. August 2009