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LATEINAMERIKA/2301: Kompromiß in Honduras - doch zu welchem Preis? (SB)


US-Regierung und Putschisten ziehen ihr Fangnetz zu


Mit den Präsidentschaftswahlen am 29. November in Honduras gedenken die Putschisten um Roberto Micheletti und deren Hintermänner in Washington das Kapitel Manuel Zelaya ein für allemal zu beenden. Die Kür eines neuen Staatschefs soll den Schlußstrich unter eine Regierungspolitik ziehen, die sich der partizipativen Demokratie zuwandte, die Dominanz der Vereinigten Staaten zu brechen hoffte und einer regionalen Bündnispolitik im Lager der ALBA den Zuschlag gab. Um die Wahlen über die Bühne zu bringen, ohne deren massiven Boykott durch die honduranischen Bürger und eine Nichtanerkennung auf internationaler Ebene zu riskieren, muß man dem entmachteten Präsidenten gewähren, was er zuallererst fordert, nämlich die Rückkehr ins Amt. Zu welchen Bedingungen dies geschieht, steht auf einem andern Blatt, das zu verschleiern sich US-Außenministerin Hillary Clinton und Putschistenführer Roberto Micheletti größte Mühe geben, wünschen sie doch einen zahnlosen Staatschef Zelaya in den wenigen verbleibenden Wochen im Präsidentenpalast und eine gebrochene Bewegung des Widerstands.

Unter Vermittlung einer hochrangigen Delegation unter Leitung des Lateinamerika-Beauftragten im US-Außenministerium, Thomas Shannon, wurde in Tegucigalpa ein Kompromiß erzielt, der nicht überraschen kann, wenn man sich den eingangs genannten Terminkalender der Kumpanei vor Augen führt. Micheletti, der zuvor alle Vorschläge vom Tisch gewischt und die Verhandlungen torpediert hatte, scheint plötzlich Kreide gefressen zu haben und versöhnlich gestimmt zu sein, als habe er nie etwas anderes gewollt. Wurde er von den Amerikanern unter Druck gesetzt? Wer das glaubt, geht der Scharade auf den Leim, den die Obama-Administration monatelang mit Penetranz aufgeführt hat: Verbale Rügen ja - wirksame Sanktionen nein, da man die Strategie der Intervention endgültig zu Grabe getragen habe.

Nun kann sich die US-Regierung als überlegene Ordnungsmacht mit Samthandschuhen gerieren, der im Handumdrehen gelungen ist, woran alle andern zuvor kläglich gescheitert sind: Beilegung des Konflikts in Honduras, Wahl eines neuen Präsidenten und Schwamm drüber! "Wir haben mit großer Klarheit die verfassungsmäßige Ordnung wiederhergestellt", verkündete Außenministerin Clinton. [1] Sie würdigte die Vereinbarung zur Lösung der politischen Krise als "historisches Abkommen" und gratulierte dem honduranischen Volk, dem gestürzten Staatschef Manuel Zelaya und Putsch-Präsident Roberto Micheletti zu der Vereinbarung. Ihr falle kein anderes lateinamerikanisches Land ein, das einen Bruch in seiner demokratischen und institutionellen Ordnung durch "Verhandlung und Dialog" überwunden habe. Sie sei sehr stolz auf die Menschen in Honduras, die zur friedlichen Lösung der Krise beigetragen hätten. [2]

Selbstgefälliger hätte der vermeintliche Sieg kaum abgefeiert werden können, zumal Clinton mit ihrer Gratulation an alle Konfliktparteien und das gesamte Volk eine Lösung suggeriert, die sämtliche Widersprüche unter einen Hut bringt. Wo angeblich niemand etwas verliert, kann das nur auf ein Manöver zu Lasten jener hinauslaufen, denen bereits alles weggenommen und nur ein minderer Bruchteil wiedergewährt worden ist. Die Herrschaftsverhältnisse sollen bleiben, wie sie sind, oder besser noch verfestigt werden durch den Triumph über Zelayas Kursänderung, der sein Amt als Vertreter der Eliten antrat und als Parteigänger einer weitreichenden Reform des Systems und dessen internationaler Einbindung beenden wird.

Wie Putschpräsident Micheletti kaum minder euphorisch wie Clinton in der Hauptstadt mitteilte, habe er einer Vereinbarung zugestimmt, die die politische Krise des Landes beenden soll. "Mit Freude gebe ich bekannt, daß ich vor wenigen Minuten meine Unterhändler zur Unterzeichnung des Abkommens autorisiert habe, das den Anfang vom Ende der politischen Krisenlage des Landes markiert." Als habe er nicht monatelang alle Gespräche sabotiert und jeden Kompromißvorschlag ausgeschlagen, rief er nun: "Schluß jetzt mit Ausreden, mit einer Rhetorik, die uns spaltet, Schluß mit politischen Spielen, das Volk von Honduras will dieses Abkommen, und jetzt haben wir die Chance, es zustande zu bringen." Seine Regierung habe große Zugeständnisse gemacht, um die Einigung zu erzielen, und werde sich im Ausland um ein Ende der verhängten Sanktionen bemühen. So hatte beispielsweise die EU-Kommission in Reaktion auf den Staatsstreich gegen den gewählten Präsidenten Zelaya im Juli die Entwicklungshilfe für Honduras gestrichen.

Manuel Zelaya, dessen Hauptforderung durch das nun getroffene Abkommen erfüllt werden soll, zeigte sich wohl oder übel in einer ersten Reaktion "überzeugt, daß dies der richtige Weg ist, um die Menschen in Honduras wieder miteinander zu versöhnen und um das zurückzuerlangen, was in den vergangenen vier Monaten verlorengegangen ist". Weiter sprach er von "einem Triumph für die Demokratie in Honduras". "Wir sind zufriedengestellt. Wir sind optimistisch, daß meine Wiedereinsetzung unmittelbar bevorsteht." [3]

Die Chefunterhändler Zelayas und Michelettis unterzeichneten ein Dokument, das in einem ersten Schritt vorsieht, daß der Oberste Gerichtshof des Landes eine Kongreßabstimmung über Zelayas Wiedereinsetzung genehmigen muß. Anschließend werden die Abgeordneten über die Rückkehr des gestürzten Präsidenten abstimmen. Bis zu den Präsidentschaftswahlen am 29. November soll eine Regierung der nationalen Einheit die Amtsgeschäfte übernehmen. Eine generelle politische Amnestie wird es nicht geben. Vielmehr wird eine Untersuchungskommission eingerichtet, welche die Ereignisse der vergangenen vier Monate aufarbeiten soll. Eine weitere Kommission soll die Umsetzung des jetzt vereinbarten Abkommens überwachen. Dem obersten Wahlgericht wird die Kontrolle über die Armee übertragen. Auch haben sich beide Seiten verpflichtet, das Ergebnis der Wahl Ende November anzuerkennen, die von ausländischen Beobachtern begleitet wird.

Viele Regierungen hatten die Forderung Präsident Zelayas nach dessen Rückkehr ins Amt vor dem 29. November unterstützt und gedroht, sie würden andernfalls das Wahlergebnis nicht anerkennen. Vor wenigen Tagen hatten 16 Mitglieder des US-Kongresses Präsident Obama in einem Schreiben aufgefordert, sich dieser Sanktion anzuschließen. Dessen ungeachtet fuhr das oberste Wahlgericht in Honduras mit den Vorbereitungen für den Urnengang fort, der unter allen Umständen durchgeführt werden soll. So gilt es unter anderem, im ganzen Land Wahlhelfer und -beobachter zu schulen, um angesichts der politischen Krise um so mehr einen formal einwandfreien Ablauf zu gewährleisten. Während für die Präsidentschaftswahl 2005 insgesamt 30.000 Personen in diese Aufgabe eingewiesen wurden, sollen es diesmal 180.000 sein. [4]

Ohne Zelayas Rückkehr ins Amt würde der Urnengang für fragwürdig, wenn nicht gar illegitim erachtet werden, was nicht nur für die Nachbarländer, sondern auch für Honduras selbst gilt. Dort hat in jüngsten Erhebungen fast die Hälfte der Befragten diese Auffassung kundgetan, wobei die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Dauer des Konflikts eher zu wachsen als abzunehmen scheint. Die Putschisten haben von Anfang an auf eine Verzögerungstaktik gesetzt, die nur dann Früchte trägt, wenn ihr Ende absehbar ist. Es handelt sich ja nicht um einen Staatsstreich klassischen Zuschnitts, bei dem die neuen Machthaber ihr Regime langfristig etablieren wollen, sondern vielmehr die Ausgrenzung einer Entwicklung, welche das Establishment zu eliminieren trachtet. So ließ Micheletti zu keinem Zeitpunkt Ambitionen erkennen, das gewaltsam geräumte Präsidentenamt länger als unbedingt nötig zu okkupieren, wobei er Zelaya mehrfach mit dem Angebot zu ködern versuchte, er werde sofort zurücktreten, sofern dieser auf das Amt verzichtet.

Wenngleich es sich also nicht um eine Wiederkehr der Militärdiktatur in Honduras handelt, darf man die Brachialgewalt dieses Regimes ebenso wenig unterschätzen wie ihren innovativen Charakter im Kontext moderner US-Doktrin, Regierungswechsel in anderen Ländern als Volkserhebungen im Namen der Demokratie zu inszenieren. Die verständliche Erleichterung über das mögliche Ende brutaler Gewalt der Sicherheitskräfte sollte daher den kritischen Blick auf die Stoßrichtung des aktuellen Kompromisses nicht trüben. Keine Rede mehr von einer verfassunggebenden Versammlung, eine Regierung der nationalen Einheit, in der Präsident Zelaya weitgehend die Hände gebunden sind, und nicht zuletzt die drohende Neutralisierung des Aufbegehrens gegen die herrschenden Klassen - das alles gibt keinen Anlaß zur Freude und am allerwenigsten Grund, sich vom Siegesrausch Clintons und Michelettis einwickeln oder gar mitreißen zu lassen.

Anmerkungen:

[1] Einigung in Honduras. Interimspräsident Micheletti zeigte Entgegenkommen (30.10.09)
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4839616,00.html

[2] Honduras: Clinton nennt friedliche Lösung "historisches Abkommen" (30.10.09)
http://www.stern.de/politik/ausland/honduras-clinton-nennt-friedliche- loesung-historisches-abkommen-1518147.html

[3] Honduras. Gestürzter Präsident darf zurück ins Amt (30.10.09)
http://www.focus.de/politik/ausland/honduras-gestuerzter-praesident- darf-zurueck-ins-amt_aid_449456.html

[4] As Honduran elections near, US diplomats seek end to leadership crisis (30.10.09)
http://www.csmonitor.com/2009/1029/p06s04-woam.html

30. Oktober 2009