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LATEINAMERIKA/2355: Britische Ölsuche läßt Streit um die Malvinas eskalieren (SB)


Argentinien beansprucht Souveränität über die Inselgruppe im Atlantik


Am 2. April 1982 begann die Invasion jener Inselgruppe im Südatlantik, die von den Argentiniern Islas Malvinas genannt wird, während die Briten von den Falkland-Inseln sprechen. Argentinien und Großbritannien lieferten sich 74 Tage lang einen blutigen Krieg um die 300 Meilen vor der argentinischen Küste gelegene Inselgruppe, in dem 649 argentinische und 255 britische Soldaten sowie drei Inselbewohner starben. Die britische Premierministerin Margret Thatcher, die ihren Ruf als "Eiserne Lady" in diesem Konflikt stählte, entsandte 110 Schiffe mit 28.000 Soldaten, um die Inseln zurückzuerobern und die etwa 3.000 Einwohner zu befreien. Erst 1990 nahmen die beiden verfeindeten Länder wieder diplomatische Beziehungen auf, die jedoch problematisch blieben, da Argentinien weiterhin Souveränität über die unter britischer Hoheit stehenden Inseln beanspruchte.

Der Krieg um diese Inselgruppe war in hohem Maße vom beiderseitigen Interesse getragen, von innenpolitischen Krisen abzulenken und das Volk auf den Kampf gegen einen äußeren Feind einzuschwören. Wie schlecht die Invasion von argentinischer Seite vorbereitet war, können ehemalige Kriegsteilnehmer bezeugen, die zu jahrelangem Stillschweigen verpflichtet worden waren. Ohne warme Kleidung und ausreichenden Nachschub waren die argentinischen Soldaten dem rauhen Klima mehr oder minder schutzlos ausgeliefert, als die gewaltige britische Streitmacht heranrückte. Als die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner Anfang des Jahres die Geheimhaltung von Armeedokumenten aus der Zeit der Militärdiktatur (1976 - 1983) per Dekret weitgehend aufhob, waren Daten in Verbindung mit dem Krieg von 1982 und Dokumente, die Informationen über Konflikte mit anderen Staaten enthalten, davon ausgenommen.

Im Jahr 1982 hatte der oberste Machthaber der argentinischen Junta, General Leopoldo F. Galtieri, sein Land in den Krieg um die Malvinas geführt. Der fehlgeschlagene Versuch, die von beiden Ländern beanspruchten Inseln zu okkupieren, beschleunigte den Niedergang der Junta, die in den Jahren des Regimes für den Tod Zehntausender Menschen verantwortlich war, die entführt, gefoltert und ermordet wurden. Die verheerende Niederlage führte das Ende der Militärdiktatur in Argentinien herbei, die zu den grausamsten und blutigsten Regimes Lateinamerikas zählte. Sie wurde 1983 schließlich von einer demokratisch gewählten Regierung abgelöst.

Nicht lange nach Wiederherstellung einer Zivilregierung wurden General Galtieri und andere Führer der Junta wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Galtieri wurde 1986 wegen seiner Rolle im Krieg um die Malvinas inhaftiert, doch ebenso wie die anderen Militärs Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre amnestiert und auf freien Fuß gesetzt. Seither hatte er zurückgezogen in einem Vorort von Buenos Aires gelebt, bis ein höchstrichterliches Urteil die Amnestie für verfassungswidrig erklärte und erneut Anklage erhoben werden konnte.

Unter Historikern gilt General Galtieri heute als Alkoholiker, der mit der Besetzung der Malvinas von dem drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch Argentiniens ablenken wollte. Sein erzwungener Rücktritt nach der militärischen Niederlage gegen die Briten klassifiziert ihn vollends als gescheiterten Machtmenschen. Wie zum Hohn erklärte später der ehemalige Gouverneur der Falklandinseln, Rex Hunt, erst Galtieris Dummheit habe sichergestellt, daß die Inselgruppe unter britischer Herrschaft blieb. Ohne die Invasion wären die Falklandinseln vermutlich im Zuge einer späteren Klärung Argentinien zugeschlagen worden. Wie Galtieri selbst einräumte, habe er nicht mit einem britischen Eingreifen gerechnet.

Geht man davon aus, daß die Greuel früherer Tage nicht etwa Ausbrüche des Wahnsinns oder Orgien des Blutrausches waren, sondern Verlaufsformen sich entwickelnder Herrschaftsverhältnisse, so läßt sich die argentinische Junta als blutrünstigste Episode lateinamerikanischer Militärdiktaturen nicht hinreichend charakterisieren, wenn man ihre Handlangerschaft zur Eliminierung linker Opposition und ökonomischen Unterwerfung des Landes nicht in Zusammenhang bringt. Als sich die Militärs aus der politischen Führung zurückzogen, war Argentinien hochverschuldet und der internationalen Finanzadministration ausgeliefert. Dieses Muster läßt sich auch in den Nachbarländern nachweisen, denen samt und sonders der Drang wie auch das Vermögen ausgetrieben wurden, einen wie auch immer beschaffenen unabhängigen Weg einzuschlagen.

Die Jahre der Junta waren aus Perspektive weltherrschaftlicher Entwürfe eine geradezu notwendige Regierungsform, um die Gesellschaften Lateinamerikas auf einen unumkehrbaren Kurs der Anbindung und Unterwerfung zu steuern. Die Vereinigten Staaten schufen und förderten die Militärdiktaturen, indem sie sich der Eliten und Machtstrukturen der betreffenden Länder bedienten. Washington hätte damals auf seinen hegemonialen Anspruch in dieser Weltregion pochen und den Krieg um die südatlantische Inselgruppe im Keim ersticken können. Statt dessen schützte die US-Regierung eine angebliche Neutralität in diesem Konflikt vor, wobei vieles darauf hindeutet, daß die britische Flotte heimlich bei der Aufklärung unterstützt wurde. Daher kann man davon ausgehen, daß die argentinische Junta für die USA ausgedient hatte und der überlegenen britischen Streitmacht zum Fraß vorgeworfen wurde.

Die Vereinten Nationen riefen Argentinien und Großbritannien immer wieder vergeblich zur Aufnahme von Gesprächen über die Souveränität der Inselgruppe vor der Küste Patagoniens auf, welche die argentinische Regierung als Rechtsnachfolgerin der spanischen Krone für sich beansprucht. Die Briten okkupierten die Eilande im Jahr 1833 und reklamieren sie seither für sich, wobei die Bevölkerung heute fast ausschließlich aus britischstämmigen Kelpern besteht, die nicht unter argentinischer Oberhoheit leben wollen. Der britische Premierminister Gordon Brown lehnte vergangenes Jahr Verhandlungen über die Inseln ab.

Von den Gefühlen der Demütigung und Benachteiligung abgesehen, haben die Argentinier auch handfeste ökonomische Interessen an der Rückgewinnung der Souveränität, da die Inselgruppe in Verbindung mit neuen, ausgeweiteten Fischereilizenzen einen wirtschaftlichen Aufschwung genommen hat. Hinzu kommt, daß sie in jüngster Zeit auch als "Tor zur Antarktis" vermarktet wird, was man als Werbekampagne zur Förderung des Tourismus, aber auch als geostrategische Positionierung in Konkurrenz um die antarktischen Bodenschätze auslegen kann.

Zu einer Eskalation des jahrzehntelang nie gänzlich beigelegten Konflikts kommt es nun, weil die Bohrinsel "Ocean Guardian" dieser Tage gut 150 Kilometer vor der Nordküste Probebohrungen nach Erdöl aufnehmen soll. Der britische "Guardian" zitierte unlängst geologische Untersuchungen, die Vorräte von bis zu 60 Milliarden Barrel unter dem Seebett des umstrittenen Territoriums vermuten. Das britische Unternehmen Desire Petroleum hat die Bohrinsel gemietet und will sie später im Jahr an drei andere britische Firmen verleihen, die ebenfalls Bohrlizenzen besitzen. Angesichts hoher Erdölpreise und einer weltweiten Suche nach neuen Öl- und Gaslagerstätten ist es inzwischen wirtschaftlich vertretbar, die Klärung der Frage voranzutreiben, ob die Ölförderung vor dieser Inselgruppe aufgenommen werden soll.

Die argentinische Regierung verurteilte das britische Vorgehen als illegal und sprach von einer Verletzung der Souveränität Argentiniens. Man werde alles Menschenmögliche unternehmen, um die eigenen Rechte zu verteidigen und zu bewahren. Der ranghöchste britische Diplomat wurde zur Übergabe einer Protestnote in das Außenministerium einbestellt. Die britische Regierung wies den Protest ab und erklärte, daß es lang geübte Praxis der lokalen Regierung in Stanley sei, ihre Erdölindustrie innerhalb der Inselgewässer zu entwickeln. Mit militärischen Vorstößen der Argentinier rechne man jedenfalls nicht.

Dessen ungeachtet haben die Briten vier Eurofighter und zwei Kriegsschiffe auf der Inselgruppe im Südatlantik stationiert. Das Boulevardblatt "Sun" will sogar erfahren haben, daß die Royal Navy bereits das Versorgungsschiff "Wave Ruler", das Beobachtungsschiff "Scott" und den Kreuzer "York" zur Verstärkung geschickt hat. Darüber hinaus forderte Oppositionssprecher William Hague die Entsendung einer Marineverstärkung zur Inselgruppe im Südatlantik. [1]

Unterdessen hat die argentinische Regierung erneut unterstrichen, daß sie "geeignete Maßnahmen ergreifen" werde, um "illegale Aktivitäten auf den Inseln" zu verhindern. Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner unterzeichnete ein Dekret, das den gesamten Verkehr zwischen der Inselgruppe und dem argentinischen Festland unterbinden soll. [2]

Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat in diesem Konflikt Partei für Argentinien ergriffen und Großbritannien zur Rückgabe der Malvinas aufgefordert. Er unterstütze den argentinischen Widerstand gegen die von britischen Unternehmen geplante Suche nach Öl und Gas in den Gewässern um die Inseln, erklärte der venezolanische Staatschef in einer vom Fernsehen übertragenen Rede. "Wann wird England den Bruch internationalen Rechts stoppen? Gebt die Malvinas an Argentinien zurück", forderte Chávez. [3]

Anmerkungen:

[1] Südatlantik. Der neue Falklandkonflikt (20.02.10)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-02/argentinien-grossbritannien- falklandinseln

[2] Droht ein neuer Konflikt um die Falkland-Inseln? (19.02.10)
http://www.welt.de/die-welt/politik/article6462093/Droht-ein-neuer- Konflikt-um-die-Falkland-Inseln.html

[3] Chavez fordert. Briten sollen Falkland-Inseln an Argentinien zurückgeben (20.02.10)
http://derstandard.at/1266541058210/Chavez-fordert-Briten-sollen- Falkland-Inseln-an-Argentinien-zurueckgeben

20. Februar 2010