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LATEINAMERIKA/2387: Mexikos Staatschef in Obamas Rosengarten (SB)


Juniorpartner im Netz US-amerikanischer Sicherheitsarchitektur


Das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Mexiko ist seit der Einverleibung des halben mexikanischen Territoriums im Zuge der Vollendung US-amerikanischer Staatsgründung vom hegemonialen Impetus der Siegermacht geprägt. Obzwar der Form und Verfassung nach eine eigenständige Nation, deren Politik und Bürger historisch wohlbegründete Ressentiments gegen die Übermacht im Norden hegen, blieb Mexiko doch in hohem Maße abhängig von seinem erdrückenden Nachbarn. Als Washington in den Tagen des kalten Krieges massiv in Mittelamerika intervenierte, wahrten mexikanische Regierungen dennoch eine beachtliche außenpolitische Distanz und pflegten sogar gute Beziehungen zum verfemten Kuba, wie sie auch den Zugriff der US-Konzerne auf ihre nationalen Ressourcen und infrastrukturellen Komplexe verhinderten. Da Mexiko zwar Phasen verschärfter Repression gegen Teile der eigenen Bevölkerung, aber ungleich vielen anderen Ländern Lateinamerikas keine Diktatur etablierte, entbehrten die USA lange Zeit eines unmittelbaren Zugriffsinstruments. Ein anderes Schicksal, als letzten Endes doch nur ein Vasall Washingtons zu bleiben, war also trotz der unmittelbaren Nachbarschaft zumindest nicht völlig ausgeschlossen.

Unabdingbare Voraussetzungen für eine Emanzipation von der Hegemonialmacht wären eine gesellschaftliche Umwälzung unter zumindest angestrebtem Bruch mit dem System kapitalistischer Verwertung wie auch eine internationalistische Bündnispolitik gewesen, die jedoch in Mexiko nachhaltig verhindert wurden. Mit dem Entwurf der Herrschaftssicherung zugunsten des Postulats, die mexikanische Revolution habe stattgefunden, institutionalisierten die Machteliten die Konterrevolution geradezu als staatliche Doktrin, die ihren Ausdruck in einer paternalistischen Zuteilungsordnung von Gunstbeweisen fand. Obgleich es zu keiner Zeit an aufkeimenden Widerstandsbewegungen fehlte, konstituierte sich doch keine wirkmächtige Guerilla, wie sie in zahlreichen anderen Ländern dieser Weltregion als tendentielle Erschütterung der Staatsmacht in Erscheinung trat.

So zeichnet Mexiko bis heute eine extreme Polarisierung der Verfügung über den gesellschaftlichen Reichtum aus, der sich in Händen weniger konzentriert und aus einer massenhaften Verelendung speist. In ihrem Vorteilsstreben blieb die herrschende Klasse mithin der sicherste Garant für die letztendliche Öffnung aller Tore, durch die US-amerikanische Plünderer und Hegemonialherren eindringen und das Land nach ihren Maßgaben zurichten konnten. Mit dem Beitritt zur Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) stellte Mexiko nahezu unumkehrbar die Weichen zu einer Existenz als dauerhaft unterlegenes Fragment des Dreierpakts, dessen Führungsmacht von dem ausgeprägten ökonomischen und sozialen Gefälle profitiert und dieses Verhältnis konsolidiert. Wesentliche Zwangsfolgen waren zum einen die weitgehende Vernichtung der mexikanischen Subsistenzwirtschaft durch die Einfuhr hochindustrialisierter und -subventionierter Agrarerzeugnisse aus den USA, die Mexiko einer Selbstversorgung beraubten und mit Blick auf die um sich greifenden Hungerkrisen in Versorgungsabhängigkeit brachten. Zum andern produzierte billige mexikanische Arbeitskraft in den Manufakturen der Maquila zu Sonderkonditionen für US-Unternehmen, bis dieses Strohfeuer extremer Verwertung unter unwürdigsten Bedingungen verlosch, weil die Armut in anderen Weltregionen zur Abwanderung dieser spezifischen Form der Ausbeutung führte.

Die erklärtermaßen US-freundlichen Präsidentschaften der konservativen Staatschefs Vicente Fox und Felipe Calderón fügten der ökonomischen Öffnung den polizeilichen, geheimdienstlichen und militärischen Zugriff seitens der USA hinzu. Washington subventioniert die innere Kriegsführung der mexikanischen Regierung mit milliardenschwerer Rüstungshilfe und setzt eine gemeinsame Sicherheitspolitik durch, die das südliche Nachbarland in einen Puffer gegen das anbrandende Armutsheer des Südens und ein Regime zur Niederschlagung der Hungerrevolte verwandelt. Der sogenannte Antidrogenkampf mit seinen Tausenden Todesopfern ist die Folge dieser Kompression, die in Mexiko zu jener Explosion führt, die sich die USA damit vom Leib halten.

"Wir werden gegen die Drogenkartelle zusammenstehen", versicherte US-Präsident Barack Obama seinem Staatsgast Felipe Calderón im Rosengarten des Weißen Hauses [1] und kündigte den Mexikanern damit unverhohlen an, daß es noch weitaus schlimmer für sie kommen wird. Seit Beginn seiner Amtszeit hat der mexikanische Staatschef die Innenpolitik militarisiert und inzwischen mehr als 50.000 Soldaten in den Einsatz geschickt. Über 22.700 Menschen sind in diesen Kämpfen getötet worden, die ein Regime durchsetzen, das sich vorderhand gegen die Kartelle, langfristig jedoch gegen das absehbare Aufbegehren der ins Elend gestoßenen Bevölkerungsteile richtet, die der Hunger auf die Straße treibt. So real die Bedrohung durch die entgrenzte Brutalität der Drogenbanden und deren Infiltration nahezu aller Institutionen ist, so muß dieses Phänomen doch in seiner Substanz und Genese als Verlaufsform der Herrschaftssicherung im supranationalen Kontext bewertet werden. Der "Antidrogenkampf" ist wie sein Bruder der "Antiterrorkrieg" eine von den USA und ihren Verbündeten in die Welt gesetzte Chimäre, die die Notwendigkeit der schrankenlosen Intervention bis hin zum globalen Krieg wie auch die Repression im eigenen Land postuliert und rechtfertigt.

Als die mexikanische Zeitung "El Universal" nach dem letztjährigen Antrittsbesuch Obamas mit leeren Händen in Anspielung auf den Wahlkampfslogan höhnte, "Yes, we can ... wait again", brachte die darin zum Ausdruck gebrachte Enttäuschung ungewollt das eigentliche Dilemma auf den Punkt. Sofern sich Mexikaner wiederum vernachlässigt fühlen und der US-Regierung vorwerfen, sie konzentriere sich auf Afghanistan und den Irak und vernachlässige darüber Mexiko, spiegelt das tiefste Abhängigkeit wider, die in der Rettung durch die Übermacht ihre einzige Hoffnung sieht. Müßte nicht der Verweis auf die beiden Kriegsschauplätze im Mittleren Osten ganz im Gegenteil dazu führen, daß die Zuwendung der USA das letzte ist, was man sich wünschen kann?

"Sie glauben also, wir sind ein gescheiterter Staat", empörte sich die frühere Außenministerin María del Rosario Green Macías beim Amtsantritt des neuen US-Botschafters in Mexiko. Der Politologe und Chefdiplomat Carlos Pascual gilt als versierter Forscher mit dem Spezialgebiet "failed states", womit er aus Sicht seines Dienstherrn durchaus die beste Wahl für diesen Posten war. Daß Mexiko am Abgrund des Zerfalls staatlicher Ordnung stehe, ist eine strategische Einschätzung des Pentagons, die offenbar gezielt lanciert worden war. Seither protestiert man in Mexiko bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen diese Zuweisung, was beweist, daß die Drohkulisse zum gewünschten Erfolg geführt hat. Das Primat der Sicherheitspolitik drängt alle anderen gesellschaftlichen Widersprüche so sehr in den Hintergrund, daß die Bürger nichts sehnlicher wünschen, als die Wiederherstellung der Ruhe um jeden Preis.

Anmerkungen:

[1] Hilfe für Präsident Calderón. Obama erklärt Mexikos Drogenbaronen den Krieg (20.05.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,695784,00.html

20. Mai 2010