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LATEINAMERIKA/2393: Uribes Wunschkandidat Santos dominiert ersten Wahlgang (SB)


Antanas Mockus erreicht weit abgeschlagen die Stichwahl


Nach dem ersten Durchgang der kolumbianischen Präsidentschaftswahl steht zu befürchten, daß die Ära Alvaro Uribes nahezu ungehindert ihre Fortsetzung findet. Zeit für die Eliten in Bogotá und Washington, den Sekt kaltzustellen, damit man bei der Stichwahl am 20. Juni auf den konservativen Regierungskandidaten Juan Manuel Santos anstoßen kann. Der frühere Verteidigungsminister und Wunschnachfolger des scheidenden Uribe hat allen Vorhersagen zum Trotz mit 46,6 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit nur knapp verfehlt und den Grünen Antanas Mockus weit hinter sich gelassen, der nur auf enttäuschende 21,5 Prozent kam. Damit blieb das prognostizierte Kopf-an-Kopf-Rennen aus, wie auch alle Annahmen Makulatur sein dürften, der ehemalige Universitätsprofessor und Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá habe nach seiner phänomenalen Aufholjagd beste Aussichten, im zweiten Wahlgang den Sieg davonzutragen. [1]

Woher die eklatante Fehleinschätzung der Vorhersage rührt, ist vorerst ungewiß, doch nährt sie den Verdacht, daß Meinungsumfragen insbesondere in Kolumbien leicht zu fiktiven Resultaten wie beispielsweise der allseits kolportierten außerordentlichen Popularität Alvaro Uribes führen. Der Philosoph und Mathematiker Mockus hat auf Facebook und Twitter mit Abstand die meisten Anhänger, was dem Irrtum Vorschub geleistet haben könnte, die Präsenz in den neuen Medien bilde die realen Verhältnisse in diesem Land ab, dessen urbane Mittel- und Oberschichten eine gewaltige Kluft von den städtischen Elendsquartieren und der bäuerlichen Armut trennt.

Antanas Mockus, dessen kometenhaftem Aufstieg in den Prognosen ein jäher Absturz bei der Wahl gefolgt ist, der seine Aussichten dramatisch sinken ließ, galt insofern als potentieller Lichtblick, als man im Falle seines Wahlsiegs zumindest kleinere Kurskorrekturen nicht ausschließen kann. Allerdings sollte man darüber nicht vergessen, daß er sich in seinen zentralen Positionen zur Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitspolitik nur unwesentlich von Santos unterscheidet. Der Sohn litauischer Einwanderer macht sich für eine korruptionsfreie Regierung und Steuererhöhungen stark, wobei er von dem Bonus seiner zumeist erfolgreich bewerteten beiden Amtszeiten als Hauptstadtbürgermeister profitiert. Vieles, was dieser Tage positiv über ihn vermerkt wird, bezieht sich lediglich auf andere Umgangs- und Präsentationsformen, wobei das Lob des versöhnlichen und unterhaltsamen Politikstils häufig die Frage nach den substantiellen Inhalten marginalisiert.

Wie Mockus hervorhob, habe er mit dem Einzug in die Stichwahl ein Ziel erreicht, das vor wenigen Monaten noch unmöglich schien. Seine Partei war erst im August 2009 offiziell gegründet worden, und in Umfragen vom März wurde ihm für die Präsidentschaftswahl ein Stimmenanteil von weniger als zehn Prozent vorausgesagt. Nun gebe es eine "grüne Hoffnungswelle", erklärte er. "Wenn wir innovativ sind, gewinnen wir den zweiten Wahlgang. Wir wissen, daß wir vereint die Gesellschaft radikal verändern können", rief er seinen Anhängern zu. Dies beinhalte den Kampf gegen Gewalt, Korruption und Ungerechtigkeiten. Er beschränkte sich in seiner Ansprache im wesentlichen auf Slogans wie "Das Leben ist heilig" und verlor kein Wort über mögliche Allianzen mit anderen politischen Kräften, um das Ruder bis zum 20. Juni noch herumzureißen. [2]

Der Ökonom, Journalist und mehrfache Minister Juan Manuel Santos gehört einer mächtigen Bogotaner Politiker- und Journalistenfamilie an. Sein Großonkel Eduardo war von 1938 bis 1942 Staatschef, Vetter Francisco amtiert derzeit als Vizepräsident. Zusammen mit dem spanischen Planeta-Konzern kontrolliert diese Dynastie die Mediengruppe El Tiempo um die gleichnamige Tageszeitung, bei der Santos in den 1980er Jahren stellvertretender Chefredakteur war. Seit 1991 widmet er sich ganz der Politik. [3]

Santos hat neben dem Verteidigungsressort auch schon das Finanzministerium geleitet und war mit dem Versprechen angetreten, die Politik des amtierenden Präsidenten Alvaro Uribe fortzusetzen. Er wertete sein gutes Abschneiden im ersten Wahlgang nicht zuletzt als Erfolg für den aus dem Amt scheidenden Uribe. "Dies ist Ihr Sieg, Präsident Uribe, und er ist für alle von uns, die Ihr enormes Erbe verteidigen wollen", erklärte der 58jährige vor jubelnden Anhängern nach Verkündung des Ergebnisses, zumal er sogar in fast allen Städten, darunter auch in Bogotá und Medellín, klar in Führung lag. "Ich danke Gott für die Gelegenheit, meinem Vaterland zu dienen." Als habe er das angestrebte Amt bereits in der Tasche, rief er alle Kolumbianer zur Einheit auf und kündigte "eine Regierung von allen für alle" an, was natürlich absurd ist, aber von Wahlsiegern weithin favorisiert wird, die ihre Landsleute von Anfang an über den Löffel balbieren.

Bei einer Wahlbeteiligung, die nach Angaben der Wahlkommission knapp unter 50 Prozent lag und damit für kolumbianische Verhältnisse nicht sonderlich schlecht war, hatten sich insgesamt neun Kandidaten den knapp 30 Millionen Stimmberechtigten zur Wahl gestellt. Weit abgeschlagen auf den Plätzen drei und vier landeten Germán Vargas Lleras von der rechtsgerichteten Bewegung Cambio Radical mit zehn Prozent der Stimmen und der Linkspolitiker Gustavo Petro mit neun Prozent. Niederschmetternd war das Ergebnis für die Kandidaten der beiden Traditionsparteien: Die Konservative Noemí Sanín kam auf gut sechs, der Liberale Rafael Pardo auf 4,5 Prozent.

Zur Absicherung des Wahlgangs war landesweit die gewaltige Zahl von 340.000 Sicherheitskräften mobilisiert worden, wobei es zu 17 Gefechten zwischen Regierungstruppen und linksgerichteten Guerilleros kam. Nach offiziellen Angaben wurden bei diesen Kämpfen mit den FARC-Rebellen, die zum Boykott des Urnengangs aufgerufen hatten, mindestens vier Soldaten getötet. Dennoch sprach Innenminister Fabio Valencia Cossio von der friedlichsten Wahl der vergangenen 40 Jahre in Kolumbien, da die Störungen der öffentlichen Ordnung im Vergleich zur Präsidentschaftswahl 2002 um 86 Prozent zurückgegangen seien. Die stellvertretende Innenministerin Viviana Manrique teilte mit, daß 118 Beschwerden über Unregelmäßigkeiten bei der ersten Wahlrunde eingegangen seien.

Der amtierende Staatschef Uribe durfte nach zwei vierjährigen Amtszeiten nicht erneut antreten. Im Februar war er mit seinem Versuch, nach 2002 und 2006 ein drittes Mal in Folge zu kandidieren, am Verfassungsgericht gescheitert. Daraufhin trat sein früherer Minister Santos als Kronprinz für das Regierungslager an. Damit heißt der eigentliche Sieger des ersten Wahlgangs Alvaro Uribe. Dieser war nur am Morgen kurz öffentlich in Erscheinung getreten. "Die Würde des Vaterlandes zeigt sich durch die freie und nur vom Gewissen geleitete Ausübung des Stimmrechts", orakelte er sibyllinisch beim Verlassen des Wahllokals in der Hauptstadt Bogotá. Ob er dabei an die bei früheren Wahlgängen von Paramilitärs, aber auch Regierungsvertretern massenhaft zu seinen Gunsten erpreßten Stimmen dachte, ist nicht bekannt.

Wunschnachfolger Santos sagte jedenfalls in seiner Siegesrede genau das, was seine Anhänger hören wollten: "Ich danke Alvaro Uribe, dem besten Präsidenten, den Kolumbien je gehabt hat." Daraufhin brüllte die Menge: "Uribe! Uribe! Uribe!" Als Verteidigungsminister hatte er zwischen 2006 und 2009 dazu beigetragen, die Rebellenbewegung deutlich zu schwächen. Nun versprach Santos, die Politik seines Vorgängers unverändert fortzusetzen und vor allem kompromißlos den Frontalangriff gegen die FARC zu fahren.

Die Präsidentschaftswahl in Kolumbien wird natürlich auch in den Nachbarländern mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, wo man dem Brückenkopf US-amerikanischer Interventionspolitik in Südamerika zwangsläufig mit dem gebotenen Mißtrauen begegnet. Venezuelas Staatschef Hugo Chávez, der in der Vergangenheit manchen Strauß mit Alvaro Uribe und dessen Verteidigungsminister ausgefochten hat, will die Handelsbeziehungen zu Kolumbien weiter reduzieren, sofern Juan Manuel Santos die Wahl gewinnt. Wie dieser in einem aktuellen Interview zynisch erklärt hat, stimme er mit Chávez vermutlich nicht in allen Belangen überein. Dann zählte er als Beispiele das Verständnis von Demokratie, Freiheit, Privateigentum und Gewaltenteilung auf, um scheinheilig hinzuzufügen: "Aber wenn wir unsere Unterschiede respektieren, können wir herzliche Beziehungen pflegen." [4]

Sollte sich Antanas Mockus wider Erwarten in der Stichwahl durchsetzen, wäre eine gewisse Entspannung im gesamten regionalen Umfeld denkbar. Mit Juan Manuel Santos im Präsidentenpalast von Bogotá hielten Alvaro Uribe und die von ihm mit harter Hand durchgesetzten in- und ausländischen Herrschaftsinteressen die Politik Kolumbiens unvermindert in ihrem eisernen Griff.

Anmerkungen:

[1] Kolumbien. Santos und Mockus müssen in Stichwahl (31.05.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,697713,00.html

[2] Wahl in Kolumbien: Uribe überlistet das Verfassungsgericht (31.05.10)
http://www.stern.de/politik/ausland/wahl-in-kolumbien-uribe-ueberlistet-das-verfassungsgericht-1570346.html

[3] Kolumbiens Rechte klar in Führung. Uribe-Kronprinz Santos scheint einem ungefährdeten Sieg in der Stichwahl entgegenzusteuern (01.06.10)
http://www.neues-deutschland.de/artikel/172068.kolumbiens-rechte-klar-in-fuehrung.html

[4] Ex-Defense Chief Leads in Colombia (30.05.10)

New York Times

1. Juni 2010