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LATEINAMERIKA/2410: Sozialkampf in Panama - Widerstand gegen "Gesetz 30" (SB)


Regierung geht repressiv gegen Protest der Bananenarbeiter vor


Der mittelamerikanische Kleinstaat Panama ist von extremen sozialen Unterschieden geprägt. Während eine prosperierende Elite und die gehobene Mittelschicht von ihren Geschäftsverbindungen in alle Welt profitieren, wird das beachtliche Wirtschaftswachstum auf dem Rücken einer in Armut lebenden Mehrheit realisiert, die in den Städten als Subproletariat und insbesondere in der zu einem erheblichen Teil indígenen Landbevölkerung überproportional hoch von Armut betroffen ist. Der scheidende Staatschef Martín Torrijos hinterließ im vergangenen Jahr ein ruiniertes Gesundheitssystem sowie eine Bilanz mißachteter demokratischer Rechte, verheerender Umweltschäden und repressiver Übergriffe gegen Gewerkschaften. Soweit er überhaupt eine gewisse Umverteilung des Wohlstands in Angriff nahm, blieb dieses Vorhaben bereits im Ansatz stecken.

Am 1. Juli 2009 trat der konservative Unternehmer und Multimillionär Ricardo Martínelli von der Partei für Demokratischen Wandel (PCD) das Präsidentenamt an, der die Wahlen im Mai mit deutlichem Vorsprung gewonnen hatte. Der 57jährige Großunternehmer ist Eigentümer der größten Supermarktkette des Landes und besitzt ein Wirtschaftsimperium aus Ladengeschäften, Banken und landwirtschaftlichen Unternehmen. Im Wahlkampf wetterte er insbesondere gegen korrupte Politiker, die mittellos in den Regierungspalast einzögen und ihn als Millionäre verließen. Reichtum mit einer Supermarktkette und anderen Unternehmen zu scheffeln, gilt offenbar als ehrbar, während Politiker, die in die eigene Tasche wirtschaften, verhaßt sind. Als man ihm vorwarf, er wolle das Land wie seine Supermarktkette führen, erklärte er allen Ernstes: "Hoffentlich wird mir das gelingen!"

Derzeit versucht die Regierung des neoliberalen Präsidenten und Unternehmers Martínelli, das euphemistisch als "Reform des Arbeitsmarktes" ausgewiesene novellierte "Gesetz 30" in Stellung zu bringen. Es handelt sich dabei um nichts weniger als eine Initiative, welche durch Aushebelung einer Reihe arbeitsrechtlicher Garantien die Kräfteverhältnisse deutlich zugunsten der Wirtschaftsunternehmen verschieben soll. Die überarbeitete Bestimmung bezieht sich vordergründig auf das Luftfahrtwesen, berührt aber in seiner Tragweite das Arbeitsrecht, das Strafrecht und die Gliederung des Justizapparats. [1] Die Gesetzesreform erlaubt es Unternehmen, streikende Arbeiter durch neue Arbeitskräfte zu ersetzen, sie schafft Unternehmeranteile für Sozialleistungen ab und entbindet Betriebe von der Pflicht, Gewerkschaftsbeiträge für ihre Beschäftigten direkt an die Gewerkschaften abzuführen, was zweifellos auf deren Schwächung abzielt. Zudem sollen Umweltgutachten für private Investitionen künftig nicht mehr zwingend notwendig sein, und nicht zuletzt erhält die Polizei weitreichenden Kompetenzen, gegen sozialen Protest vorzugehen. [2]

Im Zuge der Auseinandersetzungen um das "Gesetz 30" kam es zu Landarbeiterprotesten in der nordöstlichen Provinz Bocas del Toro an der Grenze zu Costa Rica, wo die Bananenpflücker elf Tage lang mit Arbeitsniederlegungen und Straßenblockaden für höhere Löhne und gegen das neue Gesetz zu Felde zogen. Ihr Protest wurde von schwer bewaffneten Polizeieinheiten gewaltsam niedergeschlagen, die mit Tränengas, Gummigeschossen und scharfen Waffen gegen die Demonstranten vorgingen. Berichten der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina zufolge wurden dabei zwei Demonstranten durch Schüsse getötet, während sich die Zahl der zum Teil Schwerverletzten nach Angaben regionaler medizinischer Institutionen auf 123 beläuft. Andere Quellen sprachen sogar von sechs Toten und Hunderten Verletzten. Weit über hundert Menschen sollen in den vergangenen Tagen, nicht selten ohne jegliche rechtliche Grundlage, von der Polizei festgenommen worden sein. Die Korrespondenten von teleSur berichten außerdem von gezielter Repression gegen Journalisten, die sich kritisch gegenüber dem "Gesetz 30" äußern und die Streiks begleiten. Sie weisen auf einen Fall hin, in dem ein Fotograf festgenommen und mißhandelt wurde. [3]

Nach den tödlichen Schüssen auf die Landarbeiter in der Stadt Changuinola eskalierte die Lage, da die Demonstranten mehrere Polizisten gefangennahmen. Präsident Martínelli gab sich unversöhnlich und erklärte, man werde die umstrittene Gesetzesreform auf keinen Fall rückgängig machen. Die Regierung verhängte eine mehrtägige Ausgangssperre und ließ Haftbefehle gegen mehrere Gewerkschaftschefs ausstellen, darunter die Führung der kämpferischen Bauarbeitergewerkschaft.

Am Wochenende breitete sich der Protest auf das ganze Land aus. In Panama-Stadt wurden wichtige Verkehrsverbindungen blockiert und die Universität schloß bis auf weiteres. Im Streik befinden sich auch Bauarbeiter auf der Großbaustelle zum Ausbau des Panamakanals. Mehrere Gewerkschaftsverbände erklärten sich bereit, einen Generalstreik gegen die neoliberale Regierung zu unterstützen. Der Aufruf wird getragen von dem Bündnis Nationale Front zur Verteidigung der Wirtschaftlichen und Sozialen Rechte, das sich aus Bauarbeitern, Landarbeitern, Ärzten und Lehrern zusammensetzt und von indigenen Gemeinschaften der Region aktiv unterstützt wird. Auch die beiden Gewerkschaftsdachverbände CTRP und CONATO sprachen sich für einen landesweiten Generalstreik aus. Der Forderung nach einer Rücknahmen des umstrittenen Gesetzes schloß sich zudem die sozialdemokratische Partei PRD an.

Wie die Agentur latina press am Sonntag meldete, habe Arbeitsministerin Alma Cortez inzwischen Teile der "Reform" zurückgezogen und erklärt, daß "bestehende Gesetze nicht aufgehoben" würden. Die Arbeiter seien "Desinformationen" aufgesessen. Offenbar versucht die Regierung, den drohenden Flächenbrand eines um sich greifenden sozialen Protests durch beschwichtigende Stellungnahmen einzudämmen.

Vizepräsident Juan Carlos Varela setzte auf den Dialog mit den Gewerkschaften und handelte Gespräche aus. Arbeiterverbände und Regierung kamen überein, binnen 90 Tagen über eine geplante Änderung der Arbeitsgesetzgebung zu verhandeln. Auch sollen alle im Zuge der kürzlichen Proteste Verhafteten freigelassen werden. Ob die Gewerkschaften den für den heutigen Dienstag angekündigten Generalstreik absagen, blieb bis zuletzt unklar.

Die Vorgehensweise der Regierung Martínelli, welche die Führung der Bananenarbeitergewerkschaft bei dem Multi Bocas Fruit Company festnehmen lassen wollte und mit Waffengewalt gegen den Widerstand der Arbeiter vorging, zeugt von der Entschlossenheit dieser Administration, sozialen Protest gegen Hungerlöhne und reaktionäre Gesetze gewaltsam niederzuschlagen. Tödliche Schüsse aus Polizeiwaffen auf demonstrierende Arbeiter sind Ausdruck in Stellung gebrachter staatlicher Zwangsmittel zur Zementierung der gesellschaftlichen Verhältnisse Panamas.

Dies erinnert zwangsläufig an den Militärputsch in Honduras vom 28. Juni 2009, der den von Präsident Manuel Zelaya eingeleiteten Reformprozeß gewaltsam beendete und eine Welle der Repression gegen oppositionelle Kräfte lostrat. Nicht unabhängig zu sehen ist die jüngste Entwicklung in Panama auch von dem Assoziierungsabkommen, das die Europäische Union auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel, der im Mai in in Madrid stattfand, mit Staaten Mittelamerikas geschlossen hat. Eine Freihandelszone soll Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und teilweise auch Panama mit der EU verbinden, wobei es sich um das erste Assoziierungsabkommen handelt, das die EU nicht mit einem Land, sondern einer Staatengruppe schließt. Nach Angaben der Europäischen Union gehen derartige Vertragswerke über reine Freihandelsabkommen hinaus, da neben den Handelsbeziehungen auch die internationale Kooperation und der politische Dialog eine zentrale Rolle in den Abkommen spielen sollen.

Anmerkungen:

[1] Widerstand gegen "Gesetz 30" in Panama. Landarbeiterproteste wurden blutig niedergeschlagen (13.07.10)
Neues Deutschland

[2] Panama vor Generalstreik? Annäherung zwischen Bananenarbeitern und Regierung nach Auseinandersetzungen um Gesetzesreform (13.07.10)
http://amerika21.de/nachrichten/2010/07/3607/panama-gesetzesreform

[3] Panama: Streik & Repression gehen weiter (11.07.10)
http://de.indymedia.org/2010/07/285894.shtml

[4] Tödliche Eskalation in Panama (11.07.10)
http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=9041&Itemid=231

13. Juli 2010