Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2430: Putschversuch in Ecuador gescheitert - Armee befreit Präsident Correa (SB)


Meuternde Polizisten zum Aufstand angestachelt?


In Ecuador ist ein Putschversuch gegen Präsident Rafael Correa gescheitert, der die Handschrift einer verdeckten Operation erkennen läßt. Den Sturz linksgerichteter Regierungen unter dem Deckmantel unzufriedenen Bürgertums oder aufbegehrender Fraktionen des Staatsapparats zu betreiben, hat in Lateinamerika eine lange Tradition. Moderne Varianten dieser Intervention, die in Kollaboration einheimischer Eliten mit Akteuren hegemonialer Mächte vorgetragen wird, weichen erheblich vom klassischen Muster des Militärputsches ab und zeichnen sich durch ein mehr oder minder diffuses Erscheinungsbild aus, das die zugrundeliegenden Bestrebungen verschleiert und die ins Visier genommenen Opfer der Verschwörungsphantasien zum Zweck des eigenen Machterhalts bezichtigt.

In Ecuador zogen meuternde Polizisten gegen ein Gesetz zur Neuregelung des öffentlichen Dienstes zu Felde, das die Nationalversammlung am Vortag verabschiedet hatte. Im Zuge eines großflächigen Aufstands stellte die Polizei in weiten Teilen des Landes ihren Dienst ein und besetzte den internationalen Flughafen in Quito. Präsident Correa, der den Dialog mit einem Polizeiregiment in der Hauptstadt suchte, wurde mit Tränengasgranaten beschossen und dabei verletzt. Man brachte ihn zur Behandlung in ein Polizeikrankenhaus, wo er anschließend gegen seinen Willen festgehalten wurde, bis ihn am Abend eine Spezialeinheit der Armee befreite.

Mancherorts blockierten Polizisten Straßen mit brennenden Reifen und unterbrachen damit wichtige Verbindungswege. Da die Polizei ihre Tätigkeit eingestellt hatte, kam es in mehreren Städten zu Plünderungen von Geschäften und Angriffen auf Banken. Angesichts der unsicheren Lage wurden im ganzen Land die Schulen und Hochschulen geschlossen, viele Geschäfte und Banken stellten ebenfalls ihren Betrieb ein. Unterstützer des Aufstands stürmten in Quito einen öffentlichen Fernsehsender, doch gelang es ihnen nicht, die Ausstrahlung zu unterbrechen. Bei der Befreiung des Präsidenten kam es zu einem rund 20 Minuten dauerndem Gefecht zwischen Armee und Polizei, in dessen Verlauf Menschen verletzt und in einigen Fällen offenbar getötet wurden. [1]

Nach seiner Befreiung wandte sich der 47jährige Correa vom Balkon des Präsidentenpalasts aus in einer Rede an seine Anhänger, in der er einzelne Einheiten der Polizei für den Aufstand verantwortlich machte, hinter dem seines Erachtens der ehemalige Staatschef Lucio Gutiérrez steckt. Zugleich versicherte er, daß das umstrittene Gesetz nicht verändert wird, worauf er seine Rede mit den Worten schloß, daß nichts und niemand die Bürgerrevolution aufhalten werde. Nachdem die Nationalhymne erklungen war, sang man gemeinsam das Lied "El pueblo unido", bei dem der Präsident und seine Minister samt Tausenden Menschen in den Refrain einstimmten, das vereinte Volk könne niemals besiegt werden.

Ein Bericht des ecuadorianischen Verteidigungsministeriums kam bereits im Jahr 2008 zu dem Schluß, daß verschiedene Mitglieder des Polizeikorps in Abhängigkeit von der US-Botschaft in Ecuador stünden, die durch Bezahlung von Informanten, Ausbildung, Ausrüstung und Operationen systematisch vorangetrieben worden sei. Wie es in einem von dem kanadischen Journalisten Jean Guy Allard ins Internet gestellten Beitrag heißt, infiltriere der Auslandsgeheimdienst der USA seit Jahren die ecuadorianische Polizei. Zudem zitiert Allard den ehemaligen CIA-Agenten und Kritiker des Geheimdienstes, Philip Agee, der diese Vorgehensweise verschiedentlich angeprangert hat. Der Autor weist nun darauf hin, daß in den letzten Monaten verstärkt US-Funktionäre in Ecuador aufgetaucht seien, die nach offizieller Lesart die Beziehungen zwischen Quito und Washington vertiefen wollen. Darunter befanden sich der Lateinamerikabeauftragte des US-Außenministeriums, Arturo Valenzuela, ein erklärter Kritiker der linksgerichteten Regierungen in dieser Weltregion. Begleitet wurde er von dem Sonderdelegierten für den Klimawandel, Tedd Stern, dessen Verbindungen zur CIA bekannt seien. [2]

Aktueller Stein das Anstoßes sind verschiedene Gesetze, die unter anderem den öffentlichen Dienst und das Hochschulsystem neu regeln. Diese wurden in den vergangenen Wochen von verschiedenen Seiten heftig kritisiert, wobei sich viele Einwände daran entzündeten, daß bestimmte Privilegien der Angestellten im öffentlichen Dienst eingeschränkt werden sollen. So werden Angehörige von Polizei und Streitkräften nicht mehr mit jeder Beförderung Medaillen und Boni erhalten. Auch wird der Abstand zwischen zwei Beförderungen von fünf auf sieben Jahre verlängert. Wie der Präsident zur Begründung erklärte, würden damit Bonuszahlungen und Auszeichnungen aus dem gesamten öffentlichen Sektor entfernt, um den Mißbrauch von Staatsgeldern zu verhindern. Dies werde von der Mehrheit der Ecuadorianer unterstützt. Die Aufrührer bezeichnete er als einen Haufen undankbarer Banditen, die seine Frage, ob sie das Gesetz überhaupt gelesen hätten, verneinten. Die meuternden Polizisten seien Opfer von Gerüchten und Lügen geworden, die feindlich gesinnte Medien gestreut hätten. [3]

Die Auffassung, daß Regierungsgegner hinter dem Aufstand stünden, hatte bereits der Parlamentsabgeordnete der regierenden "Alianza País", Gabriel Rivero, zum Ausdruck gebracht. Rechte Putschisten hätten sich unter die protestierenden Polizisten gemischt, um einen Umsturz anzuzetteln. Auch Präsident Correa sprach von einem Putschversuch und rief in einer emotionalen Rede vor den Besetzern der Kaserne des Polizeiregiments Quito 1: "Wenn ihr den Präsidenten töten wollt: Hier bin ich!" Nach seiner zwölfstündigen Gefangenschaft und der Befreiung durch die Armee berichtete er: "Dort waren viele Infiltratoren, die als Zivilisten gekleidet waren, und wir wissen, woher sie kommen." Diejenigen, die den Aufstand geschürt hätten, würden hart bestraft. [4]

Die umgehende Vereitelung des Umsturzversuchs verdankt sich einer Reihe von Gründen, die sich als Schulterschluß unterschiedlicher Kräfte im In- und Ausland zusammenfassen lassen. In Quito versammelten sich Tausende Menschen, um die Freilassung Correas zu fordern. Im Laufe des Tages versicherten immer mehr Organisationen und Politiker Correa ihrer Unterstützung und verurteilten dessen Gefangenschaft als Anschlag auf die Demokratie. Wesentlich war insbesondere, daß sich die Armeeführung auf die Seite des Präsidenten stellte. Der Oberkommandierende, General Luis González, erklärte in einer im Fernsehen ausgestrahlten Ansprache, daß die Mitglieder der Armee ihrem Oberbefehlshaber, Präsident Correa, zu gehorchen hätten. "Ecuador ist ein Rechtsstaat", unterstrich González. Die Rückkehr zum Dialog sei "der einzige Weg, wie Ecuadorianer ihre Differenzen beilegen können". Auch Correas innenpolitischer Rivale, der Bürgermeister von Guayaquil, Jaime Nebot, erklärte auf einer Pressekonferenz: "Kein Problem sollte mit Gewalt und Nichtachtung der Verfassung und der Gesetze gelöst werden." [5]

Noch aus dem Krankenhaus heraus hatte Correa den Ausnahmezustand verhängen lassen. Dort versicherte er auch im Kontakt mit Journalisten, daß er sich den Forderungen der Meuterer nicht beugen werde. Aus der Klinik komme er entweder als Leiche oder als würdiger Präsident heraus. Die Koordinationsministerin für Politik, Doris Soliz, rief die Bevölkerung zur Ruhe auf und sprach von einem Akt der Disziplinlosigkeit, der unter Kontrolle gebracht werde. Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Verhinderung eines Umsturzes war die durchgängige Medienpräsenz, die es der Bevölkerung erlaubte, die Ereignisse mitzuverfolgen. Nachdem bereits der gescheiterte Dialogansatz bei der Polizeikaserne übertragen worden war, wurde die spätere Erstürmung des Polizeikrankenhauses durch Armeeinheiten live im Fernsehen übertragen, woran sich nicht nur die staatlichen, sondern auch die privaten Sender ausnahmslos beteiligten. Daher kam es nicht zu der bei Putschversuchen üblichen Praxis der Aufrührer, die Berichterstattung durch neutrale Sendungen oder Desinformation lahmzulegen. Auch andere lateinamerikanische Medien und internationale Nachrichtenagenturen werteten die Ereignisse in Ecuador als Putschversuch, so daß anderslautende Deutungen in keiner Phase Fuß fassen konnten.

Unterstützung erhielt der Präsident Ecuadors von den befreundeten Staatschefs in Venezuela und Bolivien. Hugo Chávez, mit dem Correa aus dem Krankenhaus mehrfach telefonierte, erklärte über Twitter, die Demonstranten versuchten, den Präsidenten zu stürzen. Der ecuadorianische Staatschef schwebe in Lebensgefahr. "Viva Correa!!", schrieb Chávez. Evo Morales rief alle südamerikanischen Amtskollegen zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, die in Buenos Aires stattfinden sollte. Unterdessen erklärte der peruanische Präsident Alan Garcia, er werde die Grenzen zu Ecuador schließen, bis Correas "demokratische Autorität" wiederhergestellt sei. Auch die kolumbianische Regierung forderte eine friedliche Lösung des Konflikts und kündigte eine Grenzschließung an.

Bei ihrer Sitzung in der argentinischen Hauptstadt verurteilte die Union der Südamerikanischen Nationen (UNASUR) den gewaltsamen Protest von Polizisten in Ecuador und forderte in einer gemeinsamen Erklärung, "die Verantwortlichen des Umsturzversuches zu verurteilen und zu bestrafen". Zur demonstrativen Unterstützung Correas reisten die Außenminister der UNASUR-Staaten heute nach Ecuador. Zugleich stellten die UNASUR-Mitglieder klar, daß ein Anhalten der gewaltsamen Proteste gegen die Regierung in Quito weitere Schritte wie eine Schließung der Grenzen, einen Handelsstopp und die Unterbrechung des Luftverkehrs sowie der Energieversorgung nach sich ziehen würde.

Die Organisation Amerikanischer Staaten kam zu einer Notsitzung zusammen, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerte sich tief besorgt über die Lage in Ecuador und selbst die USA und die EU signalisierten ihre Unterstützung der Regierung in Quito. Vertreter der Fraktion der Vereinigten Linken im Europaparlament verurteilten ausdrücklich den Putschversuch. Dies alles trug dazu bei, daß sich die Lage in weiten Teilen Ecuadors rasch beruhigte und die Polizei in den meisten Städten ihren Dienst wieder aufnahm. Lediglich in der Hauptstadt währte der Aufstand länger, bis er in den Abendstunden schließlich in dem Gefecht zwischen Armeekräften und Polizeieinheiten, die das Krankenhaus belagert hatten, gipfelte.

Das arme Andenland Ecuador mit seinen 14 Millionen Einwohnern blickt auf eine Geschichte der politischen Instabilität zurück. Innerhalb von zehn Jahren gaben acht verschiedene Staatschefs einander die Klinke in die Hand, von denen drei durch Massenprotest zu Fall kamen, bevor Rafael Correa Ende 2006 erstmals zum Präsidenten gewählt wurde. Der in Belgien und den USA ausgebildete Ökonom hatte sich im Wahlkampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft gewandt und den Armen Hilfsprogramme in Aussicht gestellt. An der Universität von Illinois mit einer Dissertation über Globalisierung promoviert, erregte der Wirtschaftswissenschaftler in seiner ersten Amtszeit internationales Aufsehen, als er den Schuldendienst für knapp ein Drittel der Auslandsschulden in Höhe von 10,1 Milliarden Dollar einstellte. Seine Begründung, bei diesem Teil der Verschuldung handle es sich nachweislich um betrügerische und ausbeuterische Praktiken der Gläubiger, trug ihm endgültig die Feindschaft all jener Kräfte ein, die ihn ohnehin der Nähe zu Hugo Chávez verdächtigten.

Nicht zuletzt in Reaktion auf die verschärften Anfeindungen aus Washington steuerte Correa, den man anfänglich eher an der Seite des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva verortet hatte, einen entschiedeneren Kurs. Ähnlich wie Chávez finanzierte er ein weitreichendes Sozialprogramm mit den Einnahmen aus dem hohen Ölpreis: Er verdreifachte die staatlichen Ausgaben für Bildung und Gesundheit, verdoppelte die monatliche Unterstützung für alleinerziehende Mütter und führte Subventionen für Kleinbauern und Hausbauer ein. Die allerdings stark vom Ölexport abhängige Wirtschaft wuchs 2008 um ansehnliche 6,5 Prozent, doch brachen die Staatseinnahmen 2009 durch den dramatisch sinkenden Ölpreis ein. Insgesamt bescheinigten ihm selbst Kritiker eine erfolgreiche Politik, da er eine Umverteilung des Wohlstands eingeleitet und die soziale Lage im Land verbessert habe. Seine Gegner rief er endgültig auf den Plan, als die von ihm angestrebte Verfassungsreform per Referendum angenommen wurde und er daraufhin im April 2009 als erster Politiker seines Landes eine Präsidentenwahl im ersten Durchgang gewann.

Die Meuterer beharren nun darauf, daß sie keine politischen Absichten verfolgt, sondern ausschließlich die Wahrung ihrer Einkommen im Sinn gehabt hätten. Auch im Lager der Opposition hatte niemand offen den Rücktritt Correas oder Neuwahlen gefordert. Der frühere Präsident Gutiérrez wies die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in einem Telefoninterview mit dem US-Sender CNN entschieden zurück. [6] Daraus zu schließen, es habe sich letzten Endes wohl nur um einen Sturm im Wasserglas gehandelt, wäre jedoch entweder verhängnisvoll oder gezielt irreführend. Wie frühere Beispiele von Umsturzversuchen oder erfolgreichen Staatsstreichen unter Beteiligung der USA in Venezuela, Haiti, Bolivien und Honduras belegen, handelte es sich stets um längere Phasen vorangegangener Destabilisierung, die einen jeweils landesspezifischen Verlauf nahmen. Was gestern in Ecuador geschehen ist, könnte durchaus der Auftakt zu einer massiven Kampagne sein, deren Ziel der Sturz Rafael Correas und seiner Regierung bleibt.

Anmerkungen:

[1] Als Augenzeuge in Ecuador (01.10.10)
http://amerika21.de/nachrichten/2010/10/14857/als-augenzeuge-ecuador

[2] Putschversuch: Bericht über CIA in Ecuador (01.10.10)
http://amerika21.de/nachrichten/2010/10/14854/putsch-cia-ecuador

[3] Putschversuch in Ecuador (30.09.10)
http://amerika21.de/nachrichten/2010/09/14811/putschversuch-ecuador

[4] Ausnahmezustand. Meuterei gegen Correa stürzt Ecuador in Staatskrise (01.10.10)
http://www.welt.de/aktuell/article10004702/Meuterei-gegen-Correa-stuerzt-Ecuador-in-Staatskrise.html

[5] Ecuadors Staatschef Correa. "Wenn ihr den Präsidenten töten wollt, hier ist er!" (01.10.10)
http://www.rp-online.de/politik/ausland/Wenn-ihr-den-Praesidenten-toeten-wollt-hier-ist-er_aid_913364.html

[6] Militär befreit Präsidenten von Ecuador (01.10.10)
http://www.focus.de/politik/ausland/konflikte-militaer-befreit-praesidenten-von-ecuador_aid_557866.html

1. Oktober 2010