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LATEINAMERIKA/2445: US-Regierung war über Morde der kolumbianischen Armee im Bilde (SB)


Kolumbiens Generalinspekteur informierte US-Botschafter


Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten haben Menschenrechte in das Arsenal ihrer Kriegsvorwände integriert, um die Legalisierung ihrer Sanktionen, Feldzüge und Besatzungsregimes voranzutreiben. Daß es um das Wohlergehen der auf diesem Wege zur bloßen Operationsmasse degradierten Menschen am allerwenigsten geht, belegt die Rechtfertigung eigener Grausamkeit im Namen der Sicherheit ebenso wie die notorische Blindheit hinsichtlich der Greueltaten verbündeter Regierungen, die man allenfalls milde tadelt, jedoch wissentlich gewähren läßt oder gar in diesem Treiben unterstützt.

Kolumbien stieg unter der Präsidentschaft Alvaro Uribes zum engsten und zuverlässigsten Verbündeten Washingtons in Lateinamerika auf, da die Führung in Bogotá nicht nur die militärische Vernichtung der kämpfenden Guerilla durchzusetzen versprach, sondern auch die bestmöglichen Verwertungsbedingungen US-amerikanischen Kapitals garantierte und darüber hinaus das Land als Brückenkopf der USA in einem als feindlich eingestuften regionalen Umfeld befestigte.

Unter dem Vorwand des "Antidrogenkampfs" pumpte Washington im Rahmen des "Plan Colombia" bislang mehr als 7 Milliarden Dollar in das südamerikanische Land, das auf diesem Wege eine umfangreichere Militärhilfe als irgendein anderer Staat außerhalb des Nahen Ostens von den USA empfing. Im September 2010 setzte die Obama-Administration über 30 Millionen Dollar für die kolumbianischen Streitkräfte frei, die angeblich Fortschritte beim Schutz der Menschenrechte zu verzeichnen haben. Daß die US-Regierung Kolumbien auch nach Ende der Amtszeit Uribes im August, dem sein früherer Verteidigungsminister Juan Manuel Santos nachfolgte, weiter für den Krieg gegen die Rebellen munitionieren würde, stand außer Frage. Ebenso klar war auch, daß man die dokumentierten Übergriffe der kolumbianischen Armee ignorieren und die offizielle Parole ausgeben würde, die Untaten der Sicherheitskräfte seien rückläufig.

Dabei war durchaus bekannt, daß die Streitkräfte von höchster Stelle gehalten waren, Erfolge in Gestalt getöteter Guerilleros vorzuweisen. Daraus resultierte ein System von Belohnung und Bestrafung innerhalb der Armee, das diesbezügliche Erfolge mit Bonuszahlungen und Urlaubstagen für die Soldaten honorierte, während mangelnde Opferzahlen Sanktionen nach sich zogen. Dies führte fast zwangsläufig dazu, daß Menschen entführt, umgebracht und als getötete Rebellen ausgewiesen wurden. Kolumbianische Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, daß mehr als 3.000 zumeist Jugendliche oder junge Männer dieser Praxis zum Opfer fielen.

Seit 2008 wurden zunehmend derartige Fälle in Soacha, einer Vorstadt Bogotás bekannt, in der Dutzende junge Männer aus armen Familien mit dem Versprechen auf einträgliche Arbeit in den Norden des Landes gelockt und dort von Soldaten umgebracht wurden. Dabei arbeiteten die betreffenden Einheiten der Armee mit lokalen kriminellen Banden zusammen, um die inzwischen als "falsos positivos" bekannten Leichen zu produzieren, die man als im Kampf getötete Rebellen ausgab. Als diese Praxis weithin bekannt wurde und ihren Widerhall auch in den ausländischen Medien fand, beeilten sich Regierung und Streitkräfte, das Phänomen zum Werk vereinzelter schwarzer Schafe unter den Militärs zu erklären, die Verbindungen zu Kriminellen und Drogenhändlern unterhielten. Das war die Version, die man auch in Washington wider besseres Wissen aufgriff, da ungeachtet aller parteipolitischen Querelen im US-Kongreß die Menschenrechtsverletzungen der kolumbianischen Streitkräfte kein Hindernis darstellen durften, deren massive Unterstützung fortzusetzen.

Der offiziellen Version der Regierungen in Bogotá und Washington widersprach der UN-Menschenrechtsermittler Philip Alston, der die "falsos positivos" als "weit verbreitetes und systematisches" Phänomen bezeichnete, das weit über ein bloßes Werk "einzelner Soldaten oder Einheiten" hinausgehe. Wie zahnlos die Vereinten Nationen im Angesicht der Führungsmächte sind, belegte einmal mehr, daß das Ergebnis dieser Ermittlungsarbeit folgenlos für die Regierungspolitik der USA und deren Militärhilfe für die kolumbianischen Streitkräfte blieb.

Eine jüngst von der Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlichte Depesche der US-Botschaft in Bogotá fördert nichts grundsätzliches Neues zutage, belegt aber immerhin, daß die Regierung in Washington dezidiert darüber ins Bild gesetzt wurde, wie weit verbreitet die "falsos positivos" tatsächlich waren. Im Februar 2009 erhielt das US-Außenministerium den Bericht über ein Treffen zwischen Botschafter William Brownfield und dem Generalinspekteur der kolumbianischen Streitkräfte, Generalmajor Carlos Suarez. Letzterer leitete die offiziellen Ermittlungen in Fällen außergerichtlicher Exekutionen von Zivilisten durch Armeeangehörige. [1]

Suarez teilte dem Botschafter bei ihrer Unterredung explizit mit, daß diese Praxis weit verbreitet sei. Ausgegangen sei das Phänomen von der 4. Brigade in Medellín, worauf diese Vorgehensweise später um sich gegriffen und andere Brigaden und Kommandos in der Region erfaßt habe. Zudem ließ der Generalinspekteur den US-Botschafter wissen, daß der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Oscar Gonzalez, die Ermittlungen behindere. Dieser versuche, sowohl Zeugen einzuschüchtern, damit sie nicht über Morde aussagen, die von der 11. Brigade in Sucre begangen wurden, als auch die Finanzen des Generalinspekteurs zu beschneiden.

Wie Suarez zur Erläuterung ausführte, habe er die Empfehlung ausgesprochen, 28 Offiziere und Soldaten eines bestimmten Bataillons wegen ihrer Beteiligung an derartigen Mordtaten zu entlassen. Gonzalez sei der Empfehlung jedoch nur in elf Fällen gefolgt und dies obwohl das betreffende Bataillon in dringendem Verdacht stand, mit Paramilitärs zusammenzuarbeiten und in der nordöstlichen Grenzregion zu Venezuela Hunderte Zivilisten umgebracht zu haben.

Darüber hinaus brachte der Generalinspekteur bei der Unterredung mit dem US-Botschafter das Phänomen der "falsos positivos" mit der Haltung Präsident Uribes in Zusammenhang, der militärischen Erfolg an Tötungszahlen bemesse und der Auffassung sei, daß die Betonung der Menschenrechte übertrieben werde und Fortschritte im Krieg gegen die FARC beeinträchtige.

Nur fünf Monate nach diesem Treffen zwischen Botschafter Brownfield und General Suarez in Bogotá schloß Washington ein Abkommen mit der Regierung Uribe, das den US-Streitkräften Zugang zu sieben Militärstützpunkten in Kolumbien gewährte. Von Menschenrechten war natürlich keine Rede mehr, als es galt, im Schulterschluß mit dem Verbündeten Ansprüche auf die Ressourcen Südamerikas mit Militärpräsenz zu unterstreichen.

Anmerkungen:

[1] Colombia cable: Army murder of civilians "widespread" (21.12.10)
World Socialist Web Site

21. Dezember 2010