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MILITÄR/806: Normalisierung deutscher Kriegsbeteiligung in Afghanistan (SB)


Deutsche Kriegsparteien zelebrieren die Totenklage


Der strategische Entwurf deutscher Kriegsbeteiligung in Afghanistan ist insofern aufgegangen, als die Bundeswehr dort zunehmend in Kampfhandlungen verwickelt wird, die über kurz oder lang zur Normalisierung des Krieges in der deutschen Öffentlichkeit führen sollen. Zwar weist die Forderung nach einem baldigen Rückzug in Meinungsumfragen bislang immer dann Spitzenwerte auf, wenn Soldaten der Bundeswehr getötet worden sind, doch darf die politische und militärische Führung auch in dieser Hinsicht auf einen Gewöhnungseffekt hoffen, sobald die Opferzahl steigt und die demonstrative Präsenz hochrangiger Politiker beim Eintreffen der Särge und auf den Trauerfeiern schwindet.

Noch ist die geheuchelte Empörung in Führungskreisen groß, wie auch reichlich Krokodilstränen fließen, als hätten Regierung und Generalstab die Soldaten allen Ernstes zu einer Friedens- und Aufbaumission an den Hindukusch entsandt, die von den Aufständischen torpediert wird. Auf ihrer Reise in den USA räumte Bundeskanzlerin Merkel in einer Rede an der Eliteuniversität Standford bei San Francisco ein, daß viele Menschen Zweifel hätten, ob die Mission in Afghanistan richtig ist. Trotz des Todes weiterer Bundeswehrsoldaten stehe sie jedoch "ganz bewußt hinter dem Einsatz".

Unterstützung erhielt die Kanzlerin von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der im ARD-"Morgenmagazin" einen wahren Eiertanz an Kriegsbefürwortung aufs Parkett legte: "Wir sind nicht kopflos hineingegangen, und wir dürfen jetzt nicht kopflos hinausgehen", verkündete Steinmeier, ohne sich der Doppeldeutigkeit seiner Worte bewußt zu werden. Die neue Bundeswehrstrategie, afghanische Sicherheitskräfte im Einsatz zu begleiten, sei risikobehaftet, doch dürfe man jetzt keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Nach einem solch tragischen Tag werde die Überzeugungsarbeit der Politik um so anspruchsvoller, zumal man gegenüber den Toten und ihren Angehörigen verpflichtet sei, "die Rechtfertigung und die Dauer des Einsatzes immer wieder zu überdenken". Wie lange die SPD noch über den Krieg nachdenken will, ließ Steinmeier offen, was wohl soviel bedeuten soll, daß die Sozialdemokraten selbstverständlich Kriegspartei bleiben und dazu noch die Stirn in Sorgenfalten legen.

Die Grünen-Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin forderten die Bundesregierung auf, umgehend alle Informationen offenzulegen, "wie es zu dieser neuerlichen Tragödie innerhalb kürzester Zeit kommen konnte". Das ist zwar der Gipfel an Heuchelei und beleidigt die Intelligenz des Durchschnittsbürgers, bietet sich aber durchaus an, wenn man den Krieg unterstützt und überdies den Eindruck erwecken will, man könne den richtigen vom falschen unterscheiden.

Lediglich die Linke unterstrich ihre Forderung nach einem Ende des Einsatzes. Wie Fraktionschef Gregor Gysi erklärte, könne ja wohl niemand mehr bestreiten, daß sich unsere Soldaten jetzt im Krieg befinden. Allerdings sollte man an dieser Stelle noch weitergehen und hinzufügen, daß dieser Zustand von Anfang an vorgesehen war und Schritt für Schritt herbeigeführt wurde. Sollen die Opfer umsonst gewesen sein?, werden die Kriegstreiber jetzt scheinheilig fragen und uns die absurde Rechnung präsentieren, daß sich tote deutsche Soldaten um so mehr lohnen, je höher ihre Zahl wird.

Am publikumswirksamsten stellte es einmal mehr Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg an, der unmittelbar zuvor der Truppe seinen dritten Besuch innerhalb eines halben Jahres abgestattet und ihr dabei reichlich neue und schwere Waffen versprochen hatte. Guttenberg und Generalinspekteur Volker Wieker hatten die Nachricht von den blutigen Kämpfen, bei denen zwei Panzerfahrzeuge zerstört, vier Soldaten getötet und fünf verwundet wurden, auf ihrer Rückreise im usbekischen Termes erhalten und waren sofort nach Masar-i-Scharif umgekehrt, um bei den Soldaten zu sein. Während Wieker an der Trauerfeier in Masar-i-Scharif teilnimmt, kehrt Guttenberg mit den verwundeten Soldaten nach Deutschland zurück, was in beiden Fällen in praktischer Hinsicht völlig nutzlos ist, aber sowohl bei der Truppe wie in der bundesdeutschen Öffentlichkeit gut ankommen dürfte.

Während Guttenberg instinktsicher entschieden hatte, seine Rückreise nach Deutschland zu verschieben, traten die sieben Bundestagsabgeordneten der CDU, FDP und SPD, die ihn in Afghanistan begleitet hatten, den Heimflug wie geplant an. Wie es hieß, habe diese Entscheidung bei vielen Soldaten in Afghanistan Unverständnis hervorgerufen. Die Bundeswehr sei schließlich eine Parlamentsarmee und könne deshalb größere Anteilnahme der Parlamentarier erwarten. Im Fokus der Kritik stand Rainer Arnold, der nicht nur Mitglied des Verteidigungsausschusses, sondern als Obmann der SPD auch oberster Sicherheitspolitiker seiner Partei ist und von Guttenbergs spontanem Wendemanöver übertölpelt wurde.

Nun bringt der Verteidigungsminister die verwundeten und einige Tage später der Generalinspekteur die gefallen Soldaten nach Hause, was vermutlich nicht nur vielen Angehörigen der Bundeswehr gefallen wird. Abgesehen von dem trivialen Einwand, daß die Heimkehr auch ohne das Zutun der beiden vonstatten gegangen wäre, sollte sich damit doch wohl eher die Forderung verbinden, jetzt vor allem die lebenden Soldaten zurückzuholen, ehe die nächsten getötet oder verletzt werden und erneut eine Trauerfarce an höchster Stelle abgezogen wird.

Der scheidende Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Reinhold Robbe, wies im ARD-"Morgenmagazin" tiefsinnig darauf hin, daß die neue Strategie der Bundeswehr, außerhalb der Lager aktiver zu werden, das Sicherheitsrisiko weiter erhöhe. Wie er hinzufügte, könne es insbesondere in der ersten Phase zu vermehrten Anschlägen und Gefechten kommen, bei denen Opfer zu beklagen seien. Mit seinem Verweis auf eine erste Phase wollte Robbe offenbar den naheliegenden Eindruck entkräften, daß alles immer schlimmer wird. Wie er hinzufügte, seien die deutschen Soldaten darauf eingestellt. Er hoffe jedoch, daß sich auch die deutsche Gesellschaft damit inhaltlich auseinandersetze.

Offenbar feiert die Dolchstoßlegende als beliebter Freibrief von Kriegstreibern in Politik und Militär wieder einmal Hochkonjunktur, wenn eine Diskrepanz zwischen Front und Heimatfront konstatiert wird, die es zu beheben gelte. Sollte die deutsche Gesellschaft wie ein Mann hinter den Soldaten stehen und sie hochleben lassen, ob sie nun viele "Taliban" zur Hölle schicken oder selber ins Gras beißen? Wie sich unmittelbar zeigt, ist jede Menge faul bei diesen vielzitierten Andeutungen, daß sich die Soldaten alleingelassen fühlten. Hat man die Bundesbürger gefragt, ob sie diesen Krieg wollen? Als dieser beschlossen und mandatiert wurde, machten das die Führungsmächte wie üblich unter sich aus. Von einer Beteiligung der fiktiven internationalen Gemeinschaft kann ebenso wenig die Rede sein wie von einem demokratischen Prozeß der Entscheidungsfindung in Deutschland.

Seit 2002 kamen insgesamt 43 Bundeswehrangehörige in Afghanistan ums Leben, 26 von ihnen bei Anschlägen oder Gefechten. Erst vor zwei Wochen wurden am Karfreitag drei deutsche Soldaten bei einem Feuergefecht mit Widerstandskämpfern in der Provinz Kundus getötet und acht weitere verletzt. Nun starben etwa 100 Kilometer südlich der Stadt Kundus in der Provinz Baghlan, die an die Unruheprovinz Kundus angrenzt, vier weitere deutsche Soldaten, während fünf verwundet wurden.

Wie es um die Sorge für die kriegsversehrten deutschen Soldaten bestellt ist, machte unterdessen die Klage des scheidenden Wehrbeauftragte Reinhold Robbe deutlich, der den Umgang mit im Dienst verletzten Bundeswehrsoldaten bemängelte. Sie müßten oft jahrelang und häufig vergeblich um die Anerkennung ihrer Wehrdienstbeschädigung kämpfen, sagte er dem ARD-Magazin "Panorama". Das sei "verheerend" und ein "Skandal". Betroffene Soldaten würden von der Bundeswehr "im Stich gelassen", wobei vor allem Soldaten mit Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) mit ihren Erkrankungen oft allein dastünden.

Nach Auskunft des Wehrbeauftragten haben bislang rund 600 Soldaten mit PTBS-Erkrankungen einen Antrag auf Wehrdienstbeschädigung eingereicht. Weniger als ein Drittel der Anträge sei anerkannt worden. Wie das Verteidigungsministerium auf Anfrage von "Panorama" mitteilte, ist die Zahl solcher Verfahren rasant gestiegen. Seien es im ganzen Jahr 2009 noch 109 Verfahren gewesen, so liege die Zahl schon jetzt bei 197.

Typisch für diese Fälle sind nach "Panorama"-Recherchen eine lange Verfahrensdauer und eine geringe Anerkennungsquote. Dabei spielen die Voten externer, ziviler Gutachter offenbar eine erhebliche Rolle. Eine solche Gutachterin aus Bremen reduzierte den Beschädigungsgrad mit folgender Begründung, die "Panorama" vorliegt: "Unter Beschuß zu stehen", könnte für einen Soldaten im Auslandseinsatz "nicht als außergewöhnlich belastend angesehen werden". Robbe kritisierte die Vergabe von Gutachten "an Sachverständige, die von militärischer Materie offensichtlich keine Ahnung haben". Hier müsse unterstellt werden, daß der Dienstherr, der einen Auftrag gibt, ein bestimmtes Ergebnis haben wolle. Dahinter stecke offenbar System. Er habe manchmal den Eindruck, daß in den "Wehrdienstbeschädigungsverfahren immer erst einmal für den Staat entschieden wird und gegen den betroffenen Patienten". Ein ehemaliger Soldat aus Leipzig, Steven Ruhnke, steht nach einem mittlerweile 15 Jahre dauernden Verfahren mittellos da. Das Versorgungsamt hat ihn nun an das Sozialamt verwiesen, wo der ehemalige Bundeswehrsoldat Sozialhilfe beantragen muß. Um auf diese Mißstände aufmerksam zu machen, wollte der Wehrbeauftragte den Ex-Soldaten gestern beim Gang zum Sozialamt Leipzig begleiten. (www.stern.de 15.04.10)

Darüber sollte nicht ausgeblendet werden, daß die Opfer des seit mehr als acht Jahren währenden Besatzungsregimes auf afghanischer Seite so hoch sind, daß man ihre Zahl allenfalls in groben Schätzwerten angeben kann.

16. April 2010