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MILITÄR/809: Besatzungsmächte sind der Alptraum der Afghanen (SB)


Hunger, Massaker, Todesschwadrone - Sieht so der Kampf um die Herzen aus?


Während die Afghanen in ihrer breiten Mehrheit seit langem des Krieges müde sind und die ausländischen Besatzungstruppen zum Teufel wünschen, setzen die USA und ihre NATO-Verbündeten die bellizistische Okkupation im Dienst der von ihnen angestrebten Vorherrschaft in dieser Weltregion zwischen Rußland und China auch im neunten Jahr massiver denn je fort. Den Preis zahlt die Bevölkerung mit einer wachsenden Zahl von Toten und Verletzten, mit steigender Unsicherheit und nicht zuletzt massiver Verelendung. Kontrastiert man die ungeheuren Geldmittel, welche die Besatzungsmächte in ihre Kriegsführung investieren, mit dem hohen Anteil hungernder und in bitterster Not lebender Menschen in diesem Land, zerplatzen die Propagandablasen fiktiver Vorwände ausländischer Präsenz am Hindukusch.

Vor der großen Offensive in Kandahar, die von den Okkupationsmächten zum Wendepunkt des Krieges hochstilisiert wird, haben die US-Streitkräfte eine Meinungsumfrage in dieser Stadt durchgeführt. Deren befragte Bewohner sprachen sich zu 94 Prozent für Verhandlungen mit dem Widerstand aus, was die fast vollständige Ablehnung der militärischen Konfrontation unterstreicht. In Kandahar hassen viele Menschen die ausländischen Soldaten, die Zivilisten töten, die Bewegungsfreiheit einschränken und zur größten Gefahr für die Bevölkerung werden. [1]

Das gilt nicht nur für den eingeleiteten Angriff auf die Hochburg der Taliban, sondern offenbar inzwischen weithin im Land. Wie die New York Times kürzlich berichtete, würden in etlichen Landesteilen die Konvois der Amerikaner und der NATO von der einheimischen Bevölkerung für gefährlicher erachtet, als versteckte Sprengfallen an den Straßen oder Kontrollposten des Widerstands. Daher stelle sich die Frage, ob das durch die anhaltende Tötung von Zivilisten ramponierte Ansehen der US-Truppen überhaupt in nennenswertem Umfang verbessert werden kann.

Berücksichtigt man, daß im Haushalt der afghanischen Regierung für 2011 nicht weniger als 11,6 Milliarden Dollar für Armee und Polizei vorgesehen sind, die aberwitzigen 61 Prozent des erwarteten Bruttsozialprodukts entsprechen, liegt auf der Hand, daß von dem vielzitierten Aufbau des Landes und der Hebung des Lebensstandards keine Rede sein kann. Demgegenüber wenden die Vereinigten Staaten als weltweit größte Militärmacht, die für ihre Streitkräfte so viel Geld ausgeben, wie der Rest der Welt zusammen, rund 5 Prozent des Bruttosozialprodukts für den Kriegshaushalt und weniger als ein Prozent für die Polizei auf. Es liegt auf der Hand, daß die Bevölkerung keines Landes eine derart massive Subventionierung des Krieges wie jene in Afghanistan gutheißen kann, die ihr von äußeren Mächten aufgezwungen wird.

Neben der zunehmenden Verelendung sind es vor allem die fortgesetzten Angriffe der Besatzungstruppen auf Zivilisten, welche die Behauptung ad absurdum führen, die ausländischen Soldaten seien gekommen, um die Bevölkerung zu schützen. Von Massakern wie dem bei Kundus abgesehen, sind es vor allem die Umtriebe der U.S. Special Operations, die in jüngerer Zeit zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern und von den Afghanen als größte Bedrohung eingestuft werden. Jüngst mußte die NATO nach anfänglichen Vertuschungsversuchen zugeben, daß die Special Forces fünf Zivilisten, darunter zwei schwangere Frauen, ermordet hatten. Und dies war nur eine solche Greueltat unter vielen bekannten Übergriffen der Besatzungssoldaten.

Nicht nur aus Perspektive der betroffenen Afghanen muß man längst von Todesschwadronen der NATO sprechen, die ihr vor allem nächtliches Unwesen treiben, gewaltsam in die Häuser eindringen, deren Bewohner zusammentreiben und nicht selten kurzerhand umbringen. Irgend jemand behauptet, es handle sich um "Taliban", und schon fallen Schüsse, werden Menschen verschleppt und gefoltert. Diese Todesschwadrone sind der Alptraum der Afghanen, wie Zivilisten in zahlreichen Landesteilen berichten.

Im Vorfeld des Angriffs auf Kandahar schwärmten Sondereinsatzkräfte aus, um in der Region führende Kräfte des Widerstands ausfindig zu machen und zu liquidieren. Der Oberkommandierende der US-Truppen und NATO in Afghanistan, General Stanley McChrystal, will die Operation in der Stadt selbst im wesentlichen von der afghanischen Armee und Polizei durchführen lassen. Er geht natürlich recht in der Annahme, daß sich NATO-Soldaten besser nicht in Kandahar blicken lassen sollten, irrt aber in der Schlußfolgerung, einheimische Einheiten könnten das Problem lösen. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind im Süden des Landes vielerorts so verrufen, daß ihre Vertreibung durch die Taliban als Erleichterung und Fortschritt wahrgenommen wurde. Abgesehen davon sind sie noch nie in zugesagter Truppenstärke zu einer Operation erschienen, so daß es zwangsläufig zu einem Desaster kommen wird. Am Ende werden die US-Truppen doch in die Stadt Kandahar einrücken und dort - so steht zu befürchten - Zivilisten in großer Zahl abschlachten. [2]

Todesschwadrone und ethnische Säuberungen waren das Geschäft McChrystals im Irak, und diese Strategie verfolgt er auch in Afghanistan. Dabei kommt die sogenannte Joint Prioritized Engagement List (JPEL) zur Anwendung, bei der es sich um eine Todesliste handelt, deren Zielpersonen zur Ermordung freigegeben werden. So arbeiten die Besatzungsmächte mit Bestechung, Zwang und Eliminierung daran, das Unmögliche doch noch möglich zu machen. Wenngleich wie in jedem Guerillakrieg nur ein geringer Bruchteil der Bevölkerung im Widerstand gegen die Besatzungstruppen kämpft, handelt es sich doch um einen Krieg der Okkupationsmächte gegen Afghanen, die sich nicht aus ihrem Land vertreiben lassen, sondern die fremden Truppen hinauswerfen wollen.

Daß den USA der Versuch, verschiedene Fraktionen gegeneinander auszuspielen und darüber eine kontrollierbare Situation herzustellen, im Irak gelungen wäre, kann man schlechterdings nicht behaupten. Immerhin reichte diese Strategie so weit, daß ein Teil der Truppen abgezogen werden konnte, die dringend in Afghanistan benötigt wurden. Dort ist jedoch nach fast neun Jahren Krieg und Besatzung eine vergleichbare Situation nicht abzusehen. Die Kandahar-Offensive könnte daher tatsächlich der Auftakt zur Wende im Afghanistankrieg sein - jedoch nicht im Sinne der USA und ihrer Verbündeten. Vielleicht wird man sogar eines Tages in den Geschichtsbüchern lesen, daß das Scheitern dieses Angriffs das Vorspiel des letztendlichen Abzugs der Besatzungstruppen war.

Anmerkungen:

[1] The Pressure is Building. Will a Congressional Rebellion Bring the Afghan War to an End? (26.04.10)
Counterpunch

[2] A US-Sponsored Terror Network. Death Squads in Afghanistan (27.04.10)
Counterpunch

5. Mai 2010