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MILITÄR/841: Afghanistan, Irak und Libyen droht Dauerbesatzung (SB)


Afghanistan, Irak und Libyen droht Dauerbesatzung

Die Botschaft des Pentagons lautet: Widerstand ist zwecklos


Ungeachtet aller Diskussionen über den politischen Sinn oder die Rechtmäßigkeit der Kriege in Afghanistan, im Irak und in Libyen setzt sich die Integrierung aller drei Länder in das weltumspannende Basenimperium der USA langsam, aber unerbittlich fort. Der Drang des Pentagons, den Globus zu kontrollieren, "full spectrum dominance" auszuüben und das Aufkommen eines "peer competitor" - vergleichbar der Sowjetunion im Kalten Krieg - zu verhindern, erklärt, warum sich die NATO ständig erweitert und weshalb der Wehretat der USA höher liegt als der aller anderen Staaten zusammen und durch die fiskalischen Konsolidierungsbemühungen der Regierung Barack Obamas nicht ernsthaft von Kürzungen bedroht ist. Die jüngsten Meldungen aus Afghanistan, dem Irak und Libyen sprechen für die Richtigkeit dieser These.

2008 hatte US-Präsident George W. Bush mit dem irakischen Premierminister Nuri Al Maliki ein State Of Forces Agreement (SOFA), wie die Stationierungsverträge Washingtons mit Gastgeberländern heißen, abgeschlossen. Damals haben sich die Amerikaner formell zum Abzug aller US-Streitkräfte bis Ende 2011 verpflichtet. Ein großer Schritt in diese Richtung wurde im vergangenen Sommer durch das Einlösen von Barack Obamas Versprechen, alle amerikanischen "Kampftruppen" aus dem Irak abzuziehen, unternommen. Gab es zum Ende der Präsidentschaft von Bush jun. 130.000 US-Soldaten im Irak, so sind es heute 45.000.

Seit Monaten setzen amerikanische Politiker und Militärs die Regierung in Bagdad unter massivem Druck, einen Restposten von mindestens zehntausend Soldaten noch im Lande zu lassen. Sie sollen auf mehreren großen Militärstützpunkten stationiert werden, von denen aus die US-Bodentruppen im Irak notfalls selbst aktiv werden können und die US-Luftwaffe "power projection" über die Grenzen des Zweistromlandes hinweg betreiben kann. Wegen der großen Ablehnung, welche die Vorstellung einer dauerhaften US-Militärpräsenz bei den meisten Irakern auslöst, hat Premierminister Nuri Al Maliki dem Druck bislang überraschend standgehalten.

Inzwischen hat der Abzug der letzten US-Truppenkontingente aus dem Irak offiziell begonnen. Dies haben Vertreter der Obama-Regierung Maliki vor wenigen Tagen mitgeteilt, berichtete am 6. September die Nachrichtenagentur Associated Press unter Verweis auf amtliche Quellen in Bagdad. Und weil es bislang kein Ersuchen seitens der Iraker gegeben hat, die Amerikaner mögen so und so viele Soldaten im Lande behalten, soll die Obama-Administration eigenhändig den Verbleib von 3000 "Ausbildern" beschlossen haben. Dies berichtete ebenfalls am 6. September der konservative US-Nachrichtensender Fox News. Ihm zufolge hat der neue US-Verteidigungsminister Leon Panetta den Plan bereits abgesegnet, auch wenn der ehemalige CIA-Direktor am selben Tag bei seinem ersten Besuch im Irak als Nachfolger von Robert Gates und Donald Rumsfeld dies bestritt.

Bei den Militaristen im Washingtoner Kongreß hat die Nachricht von der stark geschrumpften Anzahl der im Irak dauerhaft zu stationierenden GIs Entsetzen ausgelöst. In einem offenen Eilbrief an das Weiße Haus kritisierten die republikanischen Senatoren John McCain aus Arizona und Lindsay Graham aus South Carolina sowie ihr parteiunabhängiger Kollege Joseph Lieberman aus Massachusetts, die sich seit Jahren als Wasserträger des militärisch-industriellen Komplexes hervortun, die Anzahl von 3000 Soldaten als "um ein vielfaches niedriger als das, was unseren Militärkommandeuren" zufolge "erforderlich wäre, um den Irak bei der Sicherung der hart erkämpften Fortschritte, die unsere beiden Nationen mit einem sehr hohen Preis erzielt haben, zu unterstützen."

Offenbar wird in der Stationierungsfrage weiterhin munter gepokert, während im Irak der Abzug der US-Streitkräfte tatsächlich läuft. Auch wenn der schiitische Geistliche Muktada Al Sadr, auf die Unterstützung seiner Anhänger im irakischen Parlament Premierminister Maliki angewiesen ist, keinen Millimeter von seiner kategorischen Forderung nach einem Irak ohne ausländische Militärpräsenz zurückgewichen ist, bleibt ein solches Szenario für den 1. Januar 2012 kaum vorstellbar. Zeitgleich mit dem Besuch Panettas im Irak hat sich Massud Barzani, Präsident der drei autonomen kurdischen Provinzen im Norden Iraks, in einer Fernsehansprache für einen Verbleib der Amerikaner und eine entsprechende Revidierung des SOFA stark gemacht. Nur mit Hilfe der USA könnte der Irak vor ausländischer Aggression und einem erneuten Ausbruch eines Bürgerkrieges zwischen Kurden, Schiiten und Sunniten bewahrt werden, so Barzani. Man kann davon ausgehen, daß bis zum Ende des Jahres eine Lösung gefunden wird, die allen Seiten das Gesicht wahren läßt und bei der private "Sicherheitsdienste" eine wichtige Rolle spielen werden. Bereits jetzt steht fest, daß ab kommendem Jahr die US-Diplomaten im Irak von einer schwerbewaffneten Privatarmee aus 5100 Söldern geschützt werden.

In Afghanistan gilt, jedenfalls offiziell, die Leitlinie, derzufolge die neue einheimische Armee und Polizei nach gründlicher Ausbildung à la NATO 2014 die Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernehmen sollen, woraufhin sich die fremdländischen Streitkräfte verabschieden werden. Doch wer das glaubt, wird selig. Auch in Afghanistan richtet der Pionierkorps der US-Armee mehrere gigantische "dauerhafte" Militärstützpunkte samt Start- und Landebahnen ein. Und weil die Taliban um den einäugigen Mullah Muhammed Omar einen Verbleib der ausländischen Militärs in Afghanistan strikt ablehnen, sind bislang alle Verhandlungen um eine Beilegung des Konflikts gescheitert. Vor diesem Hintergrund überrascht die Meldung des konservativen britischen Daily Telegraph vom 18. August, Vertreter Kabuls und Washingtons verhandelten bereits über einen Verbleib Zehntausender US-Militärs in Afghanistan bis mindestens 2024, in keinster Weise. Gleiches gilt für die jüngsten Ausführungen des US-Botschafters in Kabul, Ryan Crocker. In einem am 5. September veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters erklärte der Gesandte Hillary Clintons, die Anwesenheit amerikanischer Militärs in Afghanistan sei "die ultimative Garantie, daß es kein zweites 9/11 geben" werde, eine Beendigung der Besatzung stelle ein Risiko dar, "das keine vernünftige Person freiwillig eingehen" würde.

Und auch in Libyen, wo die NATO nach monatelangen Luftangriffen und mit Hilfe offenbar gemäßigter Al-Kaida-"Terroristen" gerade das "Regime" Muammar Gaddhafis gestürzt hat, deutet vieles daraufhin, daß das US-Militär dort schon bald sein neues Regionalkommando für den afrikanischen Kontinent, für das sich bisher trotz energischen Bemühens Washingtons kein "Gastgeberland" finden ließ und das deshalb bisher in Stuttgart angesiedelt ist, einrichten wird (Der Stützpunkt Mitiga bei Tripolis, wo die US-Luftwaffe bis 1970 den Fliegerhorst Wheelus unterhalten hatte, dürfte sich hierfür bestens eignen). Am 5. September erklärte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen auf einer Pressekonferenz in Brüssel, "Gaddhafis Streitkräfte stellen weiterhin eine Bedrohung der Zivilbevölkerung Libyens dar" und die Operation der westlichen Mächte in dem nordafrikanischen Land würde solange andauern, bis nämliche Bedrohung "nicht mehr existiert". "Die NATO und unsere Partner (Katar, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate - Anm. d. SB-Red.) werden da sein, solange wir gebraucht werden, aber keine Minute länger", so der ehemalige dänische Premierminister. So spricht ein Vollblutpolitiker, der den Eindruck einer kategorischen Aussage erzeugt und sich gleichzeitig alle Optionen offen hält.

8. September 2011